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Blick zurück nach vorn. Gina Lückenkemper trainiert nun auch in den USA.

© Oliver Weiken/dpa

Sprinterin trainiert bei umstrittenem US-Coach: Gina Lückenkemper begibt sich in die Welt der Schmerzen

Sprinterin Gina Lückenkemper trainiert nun auch in den USA. Ihr Trainer hat einen zweifelhaften Ruf. Aus dem Gefängnis coachte er einen späteren Dopingsünder.

Gina Lückenkemper hat ihren jüngsten Eintrag auf Facebook mit einem Zitat des Malers Vincent van Gogh garniert. „Was wäre das Leben, hätten wir nicht den Mut, etwas zu riskieren?“, lautet es. Lückenkemper will also etwas wagen. Und der Schritt ist wahrlich ein großer für sie. Die 22-Jährige trennt sich nach fünf Jahren von ihrem Trainer Uli Kunst. Die schnellste deutsche Sprinterin wird künftig von dem US-Amerikaner Lance Brauman trainiert. Große Teile ihrer Vorbereitung auf die Olympischen Spiele nächstes Jahr in Tokio wird sie im US-Bundesstaat Florida absolvieren. „Ich möchte Fuß fassen in der Weltspitze und bin bereit, den entsprechenden Aufwand dafür zu betreiben“, sagt sie.

Nach Konstanze Klosterhalfen, die zum umstrittenen und inzwischen eingestellten Nike Oregon Projekt in die USA gewechselt war, verlässt damit die zweite deutsche Topathletin ihr Heimatland. Offenbar glaubt auch Lückenkemper nicht, dass sie es in Deutschland mit ihrem alten Trainer Uli Kunst zur Weltspitze schaffen kann. Der 68-Jährige war so etwas wie ein väterlicher Freund für sie geworden. Vielleicht war gerade das ein bisschen das Problem. „Wenn ich Gina ansehe, dass sie müde ist, dann sage ich schon mal zu ihr: ’Du, lass jetzt lieber mal ’nen Kaffee trinken gehen statt zu trainieren’, hatte Kunst einmal dem Tagesspiegel erzählt. Kaffee trinken statt trainieren wird es für Lückenkemper in den USA eher nicht geben. Dabei hatte eben jener Kunst nach vielen enttäuschenden Jahren im Sprint hierzulande mal wieder eine deutsche Läuferin nach oben gebracht.

Bei der Leichtathletik-WM in London vor zwei Jahren rannte Lückenkemper in 10,95 Sekunden über 100 Meter ins Ziel, und vor einem Jahr gewann sie die Silbermedaille bei der EM in Berlin. Nach dem Rücktritt von Diskuswerfer Robert Harting hatte die deutsche Leichtathletik eine neue Vorzeigeathletin. Der Diplomsportlehrer Kunst schaffte es mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln, Lückenkemper an die Schwelle zur Weltspitze zu führen. „Ich bin stolz darauf, was wir beide erreicht haben“, sagt Kunst am Mittwoch dem Tagesspiegel.

Doch die vergangene Saison war eine große Enttäuschung für beide. Lückenkempers schnellste Zeit waren 11,14 Sekunden, damit landete sie auf Platz 41 der Weltjahresbestenliste. Dementsprechend schaffte sie es auch nicht ins Finale bei den Weltmeisterschaften in Doha. Kunst sagt, dass er Lückenkemper in dem Wunsch unterstützt habe, etwas zu verändern. „Ein Trainer sollte wissen, was er kann und was er nicht kann“, findet er.

"Die nächsten Wochen werden weh tun"

So kann er Lückenkemper nicht die Bedingungen zur Verfügung stellen, wie sie sie in Florida bekommt. Dort ist nicht nur das Wetter ideal für Sprinter. Zur Laufgruppe des Cheftrainers Lance Brauman gehören unter anderem die 400-Meter Olympiasiegerin Shaunae Miller-Uibo sowie der US-Amerikaner Noah Lyles, der schillerndste und talentierteste Sprinter, den es derzeit gibt. Für Lückenkemper ist die Teilnahme in der Gruppe von Brauman auch eine Auszeichnung, die man sich erst einmal verdienen muss.

Sie könne jetzt schon sagen, teilte Lückenkemper mit, „dass die nächsten Wochen weh tun, sehr weh tun“. Die Trainingsmethodik der US-Amerikaner, so auch bei Brauman, unterscheidet sich wesentlich von der Philosophie hierzulande. Die Einheiten sind in der Regel kürzer, dafür aber um ein Vielfaches intensiver. Die Sportler gehen schon im Training an ihre Grenzen und darüber hinaus. Eine sukzessive Belastungssteigerung hin zu den wichtigen Wettkämpfen wird weniger stringent verfolgt als in Deutschland. Man könnte auch sagen: Das Training in den USA ist rücksichtsloser für den Körper. Diejenigen, die die Knochenmühle überstehen, haben gute Erfolgsaussichten. „Es herrschen chinesische Verhältnisse in der US-amerikanischen Leichtathletik“, sagt Kunst. „Es gibt eine große Masse und einer kommt durch.“

Brauman fungiert dabei eher als Koordinator und Organisator der Laufgruppe. Das tägliche Training leiten meist seine Mitarbeiter. Brauman gilt als eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Doch den allerbesten Leumund hat er nicht. Seine Vergangenheit ist nicht frei von Verfehlungen. So musste er Ende 2006 eine zehnmonatige Haftstrafe im US-Bundesstaat Texas absitzen, weil er talentierten Sportlern am College illegale Stipendien verschaffte. Zu jener Zeit war Brauman Coach von Tyson Gay, der damals größten Sprinthoffnung der Welt. 2013 wurde Gay wegen Dopings gesperrt. Brauman wollte von den Betrügereien seines Schützlings nichts gewusst haben. Auch Gay beteuerte, dass Brauman nicht in die Dopingpläne eingeweiht gewesen war. Aber wie glaubhaft ist es, dass der Coach nichts davon wusste? In den USA jedenfalls war Brauman trotz dieser Vorfälle schnell rehabilitiert. Inzwischen ist er einer der erfolgreichsten Sprinttrainer der Welt.

Die alte Geschichte um ihren Trainer dürfte Gina Lückenkemper noch ein paar Mal zu hören bekommen in der nächsten Zeit. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass durch das Engagement einer deutschen Athletin in den USA hierzulande sehr kritisch auf die dortigen Methoden geblickt wird.

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