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Zweitliga-Tempel. Das Hamburger Volksparkstadion im Stadtteil Stellingen.

© imago/Waldmüller

Sportstadt Hamburg: Zweitklassig auf vielen Ebenen

Weil es keinen großen Erstligisten mehr gibt, soll der Breitensport das Image der selbsternannten Sportstadt an der Elbe retten.

Am Fuße Uwe Seelers, einer fünf Meter hohen Bronzestatur im Hamburger Volkspark, ist ausnahmsweise fachfremdes Fanvolk unterwegs. Ihre Mannschaften heißen „Löwen“ oder „Recken“, sie spielen den Ball nicht mit dem Fuß, sondern ausschließlich mit der Hand. Drinnen in der Arena, nur wenige Meter entfernt von der Bushaltestelle Sylvesterallee, die im Minutentakt Verkleidete aller Lager ausspuckt, veranstalten die Fans einen Höllenlärm. Die Organisatoren des Finalturniers um den Pokal des Deutschen Handball-Bundes (DHB) haben den Anhängern der vier teilnehmenden Teams nach alter Tradition separate Blöcke in den Ecken der Halle reserviert, einfach zu erkennen an den Vereinsfarben und anderen kreativen Utensilien.

Noch bevor der erste Ball ins Netz fliegt, erreicht der Lautstärkepegel einen Ausschlag, wie er bei Handball-Spielen bundesweit seinesgleichen sucht. „Die Atmosphäre ist wirklich einmalig, Jahr für Jahr“, sagt auch Frank Bohmann, der Vorsitzende des Bundesliga-Dachverbands HBL, und lässt seinen Blick zufrieden durch die Arena wandern. Die Bedeutung des Final-Four-Turniers für seine Sportart gießt Bohmann anschließend in einen wunderbaren Satz: „Was Berlin und das Pokalfinale für den Fußball sind, ist Hamburg für den Handball.“ Also eine Art verbindliches Familientreffen am ersten Mai-Wochenende, bei dem sich alle Größen der Branche sehen lassen, selbst die Manager jener Klubs, die sportlich an der Qualifikation gescheitert sind.

Wenigstens hochklassigen Handball gibt es also weiterhin zu sehen in Hamburg – wenngleich nur einmal im Jahr und nicht mehr Woche für Woche. Wie es früher einmal war.

Vor gar nicht allzu langer Zeit tummelten sich hier, zwischen Fußball-Stadion und Multifunktionsarena, noch drei ambitionierte Bundesligisten aus populären Teamsportarten. Mittlerweile ist das einstige Epizentrum des Hamburger Sports immer häufiger verwaist. Die Handballer des HSV, 2013 Champions-League-Sieger, sind nach ihrer Insolvenz in der sportlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die Hamburg Freezers aus der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) hat es noch härter erwischt: Nach dem Rückzug der Anschutz Entertainment Group wurde die Mannschaft 2016 komplett vom Spielbetrieb abgemeldet. Und selbst der vermeintlich unabsteigbare Hamburger SV spielt nun in der Zweiten Liga um Punkte. So hat Hamburg in keiner großen Sportart mehr einen Bundesligisten.

54 Millionen Euro Verlust

Wie konnte das passieren? Was ist nur aus der stolzen Sportstadt Hamburg geworden, die das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) 2015 noch Berlin vorzog, als es nach einem potenziellen deutschen Bewerber für die Olympischen Spiele 2024 fahndete? „Wenn ich mir die Entwicklung ansehe, tut mir das wirklich weh“, sagt Hans Lindberg. Fast zehn Jahre lang hat der Däne das Trikot des HSV Handball getragen, mittlerweile ist er bei den Füchsen Berlin untergekommen. Seine einstige Wahlheimat trägt Lindberg trotzdem weiter im Herzen. „Ich habe genau verfolgt, was da passiert ist“, sagt er. Schließlich teilten sich Hamburgs Profisportler viele Jahre den Arbeitsplatz und liefen sich entsprechend regelmäßig über den Weg. „Da sind Freundschaften entstanden, wir wussten immer, wie die anderen Klubs gespielt haben“, erzählt Lindberg. „Und wir haben ja auch versucht, die Vereine zu retten.“

Früher und heute. Die Handballer vom HSV Hamburg gewannen die Champions League. Inzwischen spielen sie nicht mehr in der Bundesliga.
Früher und heute. Die Handballer vom HSV Hamburg gewannen die Champions League. Inzwischen spielen sie nicht mehr in der Bundesliga.

© picture alliance/dpa

Christoph Schubert etwa, der langjährige Freezers-Kapitän, rief eine Spendenaktion ins Leben und sammelte mit prominenten Unterstützern wie Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste innerhalb kurzer Zeit 1,2 Millionen Euro. Im Vergleich zum Bilanzverlust der Betriebsgesellschaft von 54 Millionen Euro konnte man mit dieser Summe nicht viel ausrichten.

Bei den HSV-Handballern lief es ähnlich. „Wir haben damals alle angeboten, auf Gehalt zu verzichten, damit wir weiter in Hamburg bleiben können“, erzählt Lindberg. Die finanzielle Lage des Vereins war allerdings nicht mehr zu begradigen. Als HSV-Mäzen Andreas Rudolph, ein ehemaliger Handball-Profi und reicher Geschäftsmann aus dem Gesundheitsmanagement, die Lust an seinem Spielzeug verlor, war das Ende des HSV Handball besiegelt. Lindberg und Kollegen standen plötzlich ohne Verein da.

Die Parallelen sind in allen Fällen ebenso wenig zu leugnen wie ihre Ursachen. Der Sportmarketing-Experte Raphael Brinkert sieht vor allem einen Grund für den Niedergang. Alle Vereine seien in die „Flamingo-Falle des Sports getappt“, sagte Brinkert dem „Handelsblatt“. Wie der Wasservogel, der nur auf einem Bein steht, hätten sie sich ausschließlich auf einen Hauptsponsor verlassen, führte der frühere Geschäftsführer der Agentur Jung von Matt/Sports weiter aus, der mittlerweile eine Firma mit dem ehemaligen Fußball-Nationalspieler Christoph Metzelder betreibt. „Es ist nicht mehr zeitgemäß, sich als Verein von einem Unternehmen abhängig zu machen“, sagte Brinkert.

Masterplan "Active City"

Auch Klaus-Michael Kühne, der Hauptgesellschafter des gleichnamigen Logistik-Dienstleisters und HSV-Edelfan, hat in den vergangenen Jahren immer wieder die Geldbörse geöffnet und dem Vernehmen nach um die 100 Millionen Euro in den Klub investiert. Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt.

Um jenseits der populären Teamsportarten und des um seine einstige Bedeutung kämpfenden Tennisturniers am Rothenbaum trotzdem optimistisch in die Zukunft blicken zu können und den Standort als Sportstadt zu wahren, gibt es in Hamburg seit einiger Zeit unterschiedlichste Bemühungen. So hat etwa der Senat den Masterplan „Active City“ ins Leben gerufen. Er soll die Anregungen und Impulse der gescheiterten Olympiabewerbung aufgreifen – mit einem übergeordneten Ziel: die Entwicklung respektive den Ausbau eines vielfältigen Sportangebots in Hamburg. So absurd es im ersten Moment auch klingen mag: Die gescheiterte Olympia-Bewerbung im November 2015 hat neue Kräfte freigesetzt und das Bemühen verstärkt, hochklassige Veranstaltungen an die Elbe zu holen.

Für 2019 zum Beispiel hat die Stadt dem Deutschen Volleyball-Verband (DVV) einen Herzenswunsch erfüllt. Dann findet in Hamburg die Weltmeisterschaft im Beachvolleyball statt, und es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich die Atmosphäre bei der Veranstaltung vorzustellen, die ein Heimspiel für das deutsche Duo Laura Ludwig und Kira Walkenhorst werden soll. „Ich wünschte mir, auch andere Städte in Deutschland, die sich gern Sportstadt nennen, würden so handeln wie Hamburg“, jubilierte DVV-Präsident Thomas Krohne nach der Vergabe. Weitere ambitionierte Ziele für die nächsten Jahre sind die Ausrichtung der EM im Spring- und Dressurreiten 2021, einer Hockey-WM sowie der Triathlon-EM über die Ironman-Distanz.

Läuft. Die Triathleten genießen den Kurs entlang der Außenalster.
Läuft. Die Triathleten genießen den Kurs entlang der Außenalster.

© dpa

Überhaupt sieht sich die Stadt mittlerweile gern als „Hauptstadt des Ausdauersports“. Wie groß die Begeisterungsfähigkeit der Hamburger ist, zeigte sich vor drei Wochen beim Ironman-Triathlon. Geschätzte 175 000 Zuschauer säumten die Strecke und feuerten jene 2150 Starter an, die aus insgesamt 69 Ländern nach Deutschland gekommen waren. Nicht nur Läufer und Fans schwärmten hinterher von der Atmosphäre, auch die Organisatoren zeigten sich zufrieden. „Die vier wichtigsten Ausdauerveranstaltungen in einer Stadt auszutragen, ist ein weltweites Alleinstellungsmerkmal“, sagte Björn Steinmetz, der Geschäftsführer von Ironman Germany. Seit vielen Jahren messen sich in Hamburg Profis und Hobbyathleten im Marathon, Triathlon (über die Sprint- und Olympiadistanz) und auf den Radkursen der Cyclassics. Seit zwei Jahren ist auch noch der Triathlon über die längere Ironman-Distanz dazugekommen, der 2018 gleichzeitig als Qualifikation für die WM am 14. Oktober auf Hawaii diente.

"Nur noch Oberliga", titelte der Spiegel

Das anhaltend große Interesse der Teilnehmer und Besucher liegt nicht zuletzt darin begründet, dass Hamburg – vor allem bei seinen Ausdauerevents – mit im Sport herkömmlichen Strukturen gebrochen hat. Ein elementarer Bestandteil des Masterplans „Active City“ ist etwa die Entscheidung, die Wettkämpfe wieder dorthin zu verlegen, wo Menschen für gewöhnlich leben, arbeiten oder einkaufen: also direkt in die Innenstadt, ins Zentrum der Millionen-Metropole.

Die Sportveranstaltungen der Stadt sind längst zu Exportschlagern geworden, die weltweit Beachtung und Anerkennung finden. In Anlehnung an die Rehabilitationsmaßnahmen nach einer Arbeitsunfähigkeit ist in den Hinterzimmern der großen Sportverbände in diesem Zusammenhang bereits vom „Hamburger Modell“ die Rede. Sport findet Stadt, sozusagen.

Ob das die Fans der großen Mannschaftssportarten in Hamburg besänftigt, darf zwar entschieden bezweifelt werden. In jedem Fall aber haben sich die düsteren Prognosen nicht bewahrheitet, die vor zwei Jahren, nach dem Aus der Handballer und Eishockeyspieler, laut wurden. „Warum die Sportstadt Hamburg nur noch Oberliga ist“, titelte der „Spiegel“ im Mai 2016.

Im Sommer 2018 klingt das schon ganz anders, jedenfalls bei Peter Tschentscher. „Wir haben andere Sportarten, bei denen wir international sehr beachtet werden“, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister der Deutschen Presse-Agentur nach dem Abstieg des Hamburger SV in die Zweite Liga. Darüber hinaus appellierte Tschentscher an die Einstellung seiner Mitbürger. „Lebensmut und Optimismus zu vermitteln ist etwas, das uns als Hansestadt seit Jahrhunderten ausmacht“, sagte er, „ein positiver Blick in die Zukunft – und keine Jammerhaltung.“ Uwe Seeler hätte es kaum trefflicher formulieren können.

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