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Kraftakt bewältigt. Ausgelaugt feiert Mikaela Shiffrin ihr Gold.

© AFP

Ski-Star Mikaela Shiffrin: Wunderkind mit Hang zum Pathos

Die US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin zeigt bei der Ski-WM in Vail, dass sie mit dem enormen Druck umgehen kann.

Die Reaktion war so gar nicht dem Ereignis angemessen, sie passte auch nicht zum verrückten Treiben auf der Tribüne. Mikaela Shiffrin schwang ab und wusste, sie war Weltmeisterin im Slalom. Ihre Landsleute tobten, schrien, kreischten. Ohrenbetäubender Lärm herrschte im Red-Tail-Skistadion. Aber Shiffrin stand ein paar Sekunden fast regungslos im Zielraum. Kein erlösender Jubel, kein Freudenschrei, einfach nichts. Erst als die zwei anderen Medaillengewinnerinnen am vorletzten Wettkampftag der Ski-WM in Vail auf sie zukamen, huschte ein Lächeln über ihre Lippen. Als die Schwedin Frida Hansdotter und Sarka Strachova aus Tschechien gratulierten, kehrte die Shiffrin wieder zurück in die Realität.

Dabei hatte sie in den vergangenen Tagen alle Jubelgesten verfolgt und sich Gedanken gemacht, was sie veranstalten würde, wenn sie ihren Erfolg von der WM in Schladming vor zwei Jahren wiederholen sollte. „Ich wollte etwas Episches tun, damit ich die Leute zum Weinen bringe“, sagte Shiffrin, die nur ein paar Kilometer von der Strecke entfernt daheim ist. Aber das hatte sie in diesem Moment vergessen, oder sie war ganz einfach nicht in der Lage dazu. „Ich kann meine Emotionen nicht so zeigen“, gab sie zu. „Da bin ich ein bisschen ein Trottel.“

Der Sieg war ein Kraftakt. „Ich hatte keine Energie mehr“, sagte sie. Aber den Willen, diesen Titel zu holen: „Denn es ist etwas wirklich Spezielles, die Medaille daheim zu gewinnen.“ Zwischen den beiden Durchgängen hatte sie versucht, den Druck nicht zu groß werden zu lassen. Sie machte ein Nickerchen, aß eine Pizza und legte sich zur Entspannung in den Schnee. „Ich habe mir gesagt: Das Leben geht auch ohne Gold weiter.“ Als sie dann am Start stand, „war mir aber klar, dass ich dieses besondere Gold unbedingt will“. Sie wurde trotz schwindender Energie im letzten Teil immer schneller. Im Ziel lag sie wieder vorne.

Eine knappe Stunde später wirkte sie endlich befreit, fast ein bisschen überdreht. Shiffrin war für ein paar Momente plötzlich der Teenager, der sie eigentlich noch ist. In vier Wochen wird sie 20 Jahre alt, aber nur ganz selten benimmt sie sich wie ein junges Mädchen, und erst recht redet sie nicht so. Sie ist für ihr Alter erstaunlich reif und weiß genau, was sie tut. Und sie wusste, was sie bei diesen Titelkämpfen zu tun hat: Gold gewinnen.

Es war keine einfache Saison für Shiffrin. Nach ihrem Olympiasieg 2014 wollte sie den nächsten Schritt in ihrer Karriere anpeilen. Starts im Super G waren angedacht, und sie glaubte, bereits mithalten zu können. „Das war arrogant von mir“, gab sie zu. Das Wunderkind bekam Grenzen aufgezeigt. Nach ihrem ersten Riesenslalomsieg beim Saisonauftakt in Sölden schaffte es Shiffrin vor Weihnachten nicht mehr auf das Podest.

Sie habe sich im Slalom zum ersten Mal nicht mehr wohlgefühlt, sagte sie. Ende Dezember tüftelte sie wieder viel am Material. Außerdem versetzte der Verband den für Shiffrin zuständigen Techniktrainer Roland Pfeifer zu den Männern. Es heißt, es habe teaminterne Probleme gegeben. Pfeifer und Mikaelas Mutter hatten unterschiedliche Ansichten. Eileen Shiffrin begleitet ihre Tochter im Weltcup, und sie soll manchmal Druck ausüben. Aber Alpinchef Patrick Riml akzeptiert diese Einmischung. Er weiß, wie wichtig es für Mikaela Shiffrin ist, eine Bezugsperson um sich zu haben.

Als alle Unstimmigkeiten behoben waren und das Material passte, siegte Shiffrin wieder. Als einzige Slalomläuferin gewann sie zwei Rennen in dieser Saison. Und jetzt auch den wichtigsten Wettbewerb des Winters. „Diese Goldmedaille“, sagte sie, „wird für den Rest meines Lebens in meinem Herzen bleiben.“ Zu so einem Tag gehört auch ein bisschen amerikanisches Pathos.

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