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Zwischen Style und Sport: Skateboarder haben bei den alteingesessenen deutschen Sportverbänden keinen guten Ruf.

© Bernd Thissen/DPA

Skateboarden und Breakdance bei Olympia: Der Kampf der Kulturen im Sport

Breakdance und Skateboarden sind olympisch. Mit dem klassischen Höher, Schneller, Weiter haben sie wenig gemein. Konflikte mit Verbänden sind unausweichlich.

Ein Besuch am kleinen Skatepark in der Berliner Hasenheide offenbart das ganze Problem. Es ist ein schöner Tag im Oktober, ein paar 15- bis 20-Jährige versuchen sich eher schlecht als recht an den Rampen. Wenige Meter entfernt sitzen zwei Jungs und ein Mädchen. Sie rauchen einen Joint. Einer von ihnen steht wenig später auf, knapp fünf Minuten rollt er mit seinem Board durch den Skatepark. Dann setzt er sich wieder hin und bekommt den letzten Zug. Ein bisschen rumhängen, ein bisschen kiffen und ab und zu mal aufs Brett steigen: Was klingt wie ein Klischee, beschreibt bisweilen akkurat, wie der Alltag mancher Skateboarder aussieht.

Mit dem klassischen Sportverständnis, das die Leistung und den Wettbewerb beinhaltet, hat Skateboarden wenig bis gar nichts zu tun. Es ist in erster Linie ein Lifestyle, allerdings ein derart populärer, dass die Olympische Bewegung ihn nun auch für sich vereinnahmen will. Skateboarden wird bei den nächsten Olympischen Spielen – wann immer sie stattfinden – als Sportart vertreten sein. Bei den Sommerspielen 2024 in Paris soll erstmals auch Breakdance im Programm auftauchen, das Internationale Olympische Komitee (IOC) wird in diesem Dezember endgültig über die Aufnahme der ersten Tanzdisziplin entscheiden.

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Sehr bald werden also wohl auch deutsche Skateboarderinnen und Skateboarder sowie deutsche B-Girls und B-Boys Olympia ein jüngeres, moderneres, urbaneres Gesicht verleihen und um Medaillen kämpfen. Ob sie gegen die starke internationale Konkurrenz Chancen haben, wird sich zeigen. Sicher ist nur, dass dem Ganzen etliche verbandspolitische Kämpfe vorausgegangen sein werden. Die sogar Einfluss darauf haben könnten, ob tatsächlich auch die besten Athletinnen und Athleten an den Start gehen. Hans-Jürgen Kuhn jedenfalls hat genug von dem Zirkus der vergangenen Monate. „Ich werde ganz sicher nicht mehr in irgendeiner Form als Funktionär auf Bundesebene in diesem Bereich tätig sein“, sagt er.

Kuhn ist ein Skateboarder der ersten Stunde. In Berlin gründete er den ersten Skateboardverein in den achtziger Jahren. Er war für die Szene der Skateboarder mit seiner sportpolitischen Erfahrung als früherer Berliner Sport-Staatssekretär die ideale Figur, um das olympisch gewordene Skaten bundesweit zu vertreten. Doch es ging alles schief, was schiefgehen konnte. Eine 2016 neu gegründete und von Kuhn angeführte Skateboardkommission sollte die Interessenvertretung der Skateboarder im Deutschen Rollsport und Inline-Verband (DRIV) sein.

„Skateboarder verstehen sich nicht in erster Linie als Leistungssportler“

Der DRIV, ziemlich ahnungslos und unerfahren mit der „Sportart“ Skateboarden, versuchte viel Einfluss zu nehmen. Der Verband redete in den Ablauf von Deutschen Meisterschaften hinein, bestand auf die im Rollsport gängigen Abläufe, also auf Anmeldeschlüsse der Teilnehmer vor Beginn der Meisterschaften, auf geordnete Teilnehmerpässe und – natürlich – auf Drogentests. „Wir sind nun einmal an Regularien gebunden“, sagt DRIV-Sportdirektor Stephan Reifenberg. „Und Teilnehmer, die unter einem Pseudonym antreten oder sich weigern, die Doping-Regularien anzuerkennen, das können wir im Sinne eines fairen, dopingfreien Sports als Verband nicht akzeptieren.“

Derlei Maßnahmen empfindet ein Großteil der Skateboarder wiederum als nicht zu akzeptierenden Eingriff in die Freiheit und Individualität, für die das Skateboarden steht. So entscheiden sich die Top-Skateboarder in der Regel erst wenige Tage vor einem Event, ob sie daran teilnehmen. Spontanität ist alles. Und es ist Usus, dass viele Skater vor dem letzten Tag eines mehrtägigen Wettkampfs Party machen, Bier trinken und Joints rauchen. Das mag man verurteilen. Aber so läuft es in der Szene seit vielen Jahren.

„Skateboarder verstehen sich nicht in erster Linie als Leistungssportler“, erzählt Kuhn. Der Konflikt zwischen dem Verband und den Skateboardern führte dazu, dass vor einem halben Jahr die Skateboardkommission unter der Leitung von Kuhn vom DRIV aufgelöst wurde. Selbst beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) empfand man das Vorgehen des DRIV gegen Kuhn und die Skateboardkommission, so hört man, als viel zu harsch. Geblieben ist böses Blut. Nicht nur Kuhn wurde in seiner Funktion abgelöst, bald dürfte der DRIV einen Nachfolger für den Präsidenten Egbert Schulze wählen. Kuhn sagt: „Wenigstens werden bald die, die uns das eingebrockt haben, nicht mehr diesen Verband anführen.“

Zwischen Verband und Basis gibt es einen sportkulturellen Clash

DRIV-Sportdirektor Stephan Reifenberg, nun Hauptverantwortlicher für die Skateboarder, ist dagegen der Meinung: „Hans-Jürgen Kuhn ist nicht bereit, die Strukturen im Leistungssport zu akzeptieren.“ Die Liaison der fremdelnden Parteien konnte nicht gutgehen – und das tat sie auch nicht. So haben die im Verband organisierten Skateboarder keine eigene Vertretung mehr im DRIV. Reifenberg ist nun der starke Mann der Skateboarder – formell zumindest. Ihm untersteht das gesamte Leistungssportpersonal, zu dem unter anderem in der Sportart Skateboard die Bundestrainer und der Leistungssportreferent zählen. Ein Dutzend Top-Skater, die Deutschland bei den Olympischen Spielen vertreten sollen, werden mit einer halben Million Euro gefördert.

Frieden zwischen dem Verband und den Skateboardern, das zeigen die Aussagen von Kuhn und Reifenberg, herrscht nach der Absetzung Kuhns keineswegs. Im Gegenteil: Mehr denn je wendet sich die ohnehin schon kritische Basis der Skateboarder vom Verband ab. „Es gibt einen großen sportkulturellen Clash zwischen den Skateboardern und den Vertretern vom DRIV“, sagt Kuhn.

Wer diesen Clash begreifen will, der muss nur in den Ausgaben des einflussreichen Skateboardmagazins „SOLO“ blättern. Dort wird die Zusammenarbeit mit dem Verband als „Zweck-WG“ bezeichnet, allerdings als eine, die man nur schwer akzeptiert. Dass etwa Top-Skater Justin Sommer auch mal mit ordentlich Restalkohol seine Contests gewinne, sei für die DRIV-Vertreter eine fremde Welt. Überhaupt akzeptiert die Basis den DRIV nicht. „Wenn man mit Skateboard zu tun hat, dann ist die (...) einzige wichtige Kompetenz, dass man Skateboard-Background hat“, heißt es in einem Artikel aus der „SOLO“. Deutschlands oberster Skateboard-Funktionär Stephan Reifenberg hat diesen Hintergrund jedenfalls nicht.

Viel verheerender für die Basis der Skateboarder ist aber, dass sich das neue verbandsorganisatorische Engagement bisher lediglich auf die zwölf geförderten Olympia-Skateboarder beschränkt, in der Breite aber wenig bis gar nichts passiert. „Was die Förderung von neuen Skateparks betrifft, bleibt hier alles im Schmalspurmodus“, erzählt Kuhn. Reifenberg wiederum verweist darauf, dass die Fördergelder vom Bundesministerium des Innern nun einmal zweckgebunden seien – für die Förderung der Skateboard-Kaderathleten. „Und nicht für neue Skateparks für den Freizeit- und Breitensport, so wie es Hans-Jürgen Kuhn gerne hätte.“ Es dürfte noch lange dauern, bis die Rollsportler und Inliner mit den Skateboardern zusammenwachsen.

Breakdance

Breakdance – beziehungsweise „Breaking“, unter diesem Namen wird der Tanzstil offiziell beim IOC geführt – hat noch vier Jahre mehr Zeit, um sich für Olympia aufzustellen. Es sieht allerdings nicht danach aus, als würde die Zeit bis zu den Spielen in Paris harmonischer ablaufen als bei den Skateboardern. Ähnlich wie Skateboarder sind nur wenige Breaker in Vereinen und Verbänden organisiert. Breakdance versteht sich weniger als Sport denn als globale Jugendkultur, als eine der vier Säulen des Hip-Hop: Ideell haben Breaker mehr mit Graffitisprühern, Rappern und DJs gemeinsam als mit Dressurreitern, Stabhochspringern oder Tontaubenschützen. Einflussreich in der Szene ist nicht, wer einen Posten als Landespräsident oder Sportentwicklungsausschussvorsitzender innehat, sondern wer sich den Respekt der Tänzerinnen und Tänzer am einzigen Ort erarbeitet hat, der für sie wichtig ist: auf der Tanzfläche.

Felix Roßberg hat das getan, mehrmals wurde der Dresdner unter seinem Künstlernamen „Rossi“ mit der Gruppe „Saxonz“ Deutscher Meister. Im vergangenen Winter war der 32 Jahre alte Breaker beteiligt, als sich deutsche Tänzer und Tänzerinnen zusammenschlossen und die „German Hiphop Culture Federation“ (GHCF) gründeten. „Unser Ziel war es, die Vorstellungen der Breaking-Szene in Richtung Olympia umzusetzen“, sagt Roßberg. „In einem Verband, in dem wir unsere Interessen demokratisch vertreten können.“ Roßberg wurde zum Vorsitzenden gewählt und machte sich an die Aufgabe, die Szene bundesweit zu vernetzen und Gespräche mit dem Deutschen Tanzsport-Verband (DTV) zu führen. Der DTV ist Mitglied im DOSB und im Welttanzsportverband – alle Olympiaplanungen müssen über ihn laufen.

Wollen sich nicht komplett verbiegen lassen wegen Olympia: die Breaker.
Wollen sich nicht komplett verbiegen lassen wegen Olympia: die Breaker.

© imago images/ITAR-TASS

Im Februar trafen sich Vertreter von GHFC und DTV in Frankfurt am Main, beide Seiten haben die Gespräche als positiv in Erinnerung. Davon ist nichts mehr übrig. Wegen Corona wurden weitere Treffen der GHFC-Verantwortlichen abgesagt. Der DTV schickte Anfragen per E-Mail – und wollte laut Roßberg die Antworten manchmal schon am kommenden Tag sehen. „Wir haben gesagt: Wir können unsere Entscheidungen nicht überstürzen. Die müssen zunächst mit Leuten aus der Szene abgesprochen werden“, sagt er. „Der DTV aber hat gesagt: Wir haben morgen einen Termin beim DOSB, wir brauchen sofort eine Antwort. Wahrscheinlich ging das für die alles zu langsam.“

Am 18. Mai teilte der DTV Roßberg per E-Mail überraschend mit, es werde keine weitere Kooperation geben, der Verband habe einen eigenen Breaking-Beauftragten ernannt. „Das war ein guter Schlag ins Gesicht“, sagt Roßberg heute.

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Beim DTV sieht man das naturgemäß ein bisschen anders. Verbandspräsidentin Heidi Estler betont, man sei immer offen für alle gewesen. „Wir als DTV haben von Anfang an gesagt: Wir wollen allen deutschen Breakern ermöglichen, den Weg Richtung Olympia mit uns zu gehen“, sagt Estler. „Aber eins ist klar: Dieser Weg geht nur über den nationalen Verband, das ist festgelegt vom IOC.“ Formell hätte der DTV den neu gegründeten GHFC als eigenen Fachverband aufnehmen müssen, analog etwa zum Deutschen Rock'n'Roll und Boogie-Woogie Verband oder zum Bundesverband für karnevalistischen Tanzsport. „Aber niemand aus der Szene hat die Verantwortung übernommen“, sagt sie. Auf simple Fragen habe man bisweilen zwei Monate lang keine Antwort erhalten, schon die Satzung des GHFC habe die Anforderungen nicht erfüllt.

„Die meisten Tänzer kennen sich mit Vereins- und Verbandsangelegenheiten nicht aus“

„Wir haben aber nun mal nicht endlos Zeit. 2024 steht auf dem Papier und wir müssen abliefern“, sagt Estler. „Sonst sagt das IOC: Ihr seid raus.“ Die Verantwortlichen im IOC wüssten ganz genau, dass jüngere, modernere Disziplinen wie Breaking oder Skateboarden nicht so organisiert sind wie die etablierten Sportarten.

„Es ist die Crux an der Sache, dass das IOC trotzdem fordert, dass sie in genau diese Strukturen reingequetscht werden.“ Grundsätzlich passe das nicht so wirklich zusammen, die nationalen Verbände müssten das regeln, unter großem Zeitdruck. Irgendwann, sagt Heidi Estler, „mussten wir die Reißleine ziehen“.

Die Tür sei weiterhin offen für alle, „aber die strukturelle Thematik mit dem Fachverband ist durch“. Der Zeitplan drängt, am Dienstag ernannte der DTV erstmals einen „Bundestrainer Breaking“: den gebürtigen Flensburger Marco Baaden alias „Mallekid“. Die Bewerbungsfrist für den Bundeskader endete am 18. Oktober, in zwei Wochen ist der erste Sichtungslehrgang geplant. Die neuen Bundesbreakerinnen und Bundesbreaker sollen schon bald die Olympiastützpunkte für Training, Karriereplanung und medizinische Betreuung nutzen, es geht auch um die Eingliederung in das Sportförderungssystem.

„Das Problem ist, dass die meisten Tänzer sich mit Vereins- und Verbandsangelegenheiten nicht auskennen – und das auch nie gebraucht haben“, sagt Felix Roßberg. „Diese Strukturen waren für uns nie relevant.“ Heidi Estler formuliert es so: „Die sind da halt anders als wir. Aber das ist auch gar nicht schlimm.“ Oder doch? Die Frage ist, inwiefern die Szene der angesehensten Tänzerinnen und Tänzer sich für das Olympiathema begeistern kann. Roßberg glaubt, dass viele nicht einmal etwas davon mitbekommen haben, dass die Bundestrainer-Stelle ausgeschrieben war. Dabei habe der Großteil ursprünglich hinter der Idee „Breaking Olympia“ gestanden. „Aber ich kann mir vorstellen, dass viele Leute abspringen, weil sie skeptisch sind und zu wenig Informationen bekommen.“

Noch bedauerlicher findet Roßberg allerdings, dass aufgrund der Vorgaben des DTV und der Eile langfristige Ziele in den Hintergrund rücken: „Es geht ja nicht nur um ein einziges Mal Olympia.“ Sein Verband wollte dauerhafte Strukturen aufbauen, die sportlichen Aspekte mit den kulturellen Aspekten der Szene verbinden, die Nachwuchsarbeit sollte unabhängig von Olympia funktionieren. Diese Entwicklung sieht er nun in Gefahr.„Vielleicht gewinnt in vier Jahren kein Deutscher“, sagt Roßberg. „Aber in acht Jahren, wenn man es richtig machen würde.“

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