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Jetzt geht’s los. Die deutsche Bogenschützin Lisa Unruh und der Ruderer Karl Schulze eröffneten das Sechstagerennen im Velodrom. Foto: dpa/Fischer

© dpa

Sixdays in Berlin: Das Sechstagerennen und die Sehnsucht nach Krücke

Das Sechstagerennen versucht den Spagat zwischen Tradition und Moderne – ein schwieriges Unterfangen.

Auch in diesem Jahr hat es Jürgen A. Schulz mit seinem Stand ins Velodrom geschafft. Er steht zwar in der hintersten Ecke und wie schon in den vergangenen Jahren hält sich die Begeisterung für seine Ware in Grenzen. Doch er ist sehr glücklich, hier beim Sechstagerennen sein zu dürfen. Schulz wirbt für das Friedensfahrtmuseum in Kleinmühlingen nahe Magdeburg und verkauft Autogrammkarten von Gustav-Adolf „Täve“ Schur, dem großen, dem größten Radrennsportler der DDR.

„Der alte Mann ist unser Aushängeschild“, sagt Schulz. „Was glauben Sie, was da los ist, wenn die Genossen mit dem Bus zu uns nach Kleinmühlingen fahren und sie den großen Täve treffen. Die haben Tränen in den Augen.“ Dann erzählt Schulz ergriffen, dass er schon als Kind, noch vor Mauerzeiten, das Rennen in „Westberlin“ besucht habe. „Da war noch Krücke da, der für Stimmung gesorgt hat. Das war toll.“

Krücke alias Reinhold Franz Habisch ist der Erfinder des Sportpalast-Walzers. Auf zwei Fingern pfeifend, wurde er bald zum Gesicht des Sechstagerennen. Krücke verstarb 1964, in dem Jahr, in dem Täve Schur seine Sportlerkarriere beendete. Und die Friedensfahrt, an die Schulz mit seinem ehrenamtlichen Engagement erinnert, fand zum letzten Mal vor 13 Jahren statt.

Das Berliner Sechstagerennen hat nicht nur Krücke, Schur und die Friedensfahrt über- und miterlebt, sondern auch zwei Weltkriege, die DDR, die Digitalisierung oder die Amtseinführung von Donald Trump. Es findet in diesem Jahr zum 106. Mal statt; und obwohl das Rennen eine „Institution des Berliner Sports ist“, wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller am Eröffnungstag sagte, kann es gut sein, dass Schulz darüber sehr bald nur noch in Erinnerungen schwelgen kann.

Das Sechstagerennen hat seit vielen Jahren zu kämpfen, die Zuschauer zieren sich. Das ist am Donnerstag, dem Beginn der Veranstaltung, nicht anders. Viele Plätze bleiben leer. Es ist noch nicht so schlimm, als dass man den Eröffnungstag als Reinfall bezeichnen könnte. Aber zu später Stunde, gegen 23.00 Uhr, sagt auch der neue Geschäftsführer Valts Miltovics: „Schade, dass schon die meisten Zuschauer nach Hause gegangen sind.“

Jung und Sechstagerennen passt in etwa so gut zusammen wie Schlager und House

Miltovics arbeitet für die Madison Sports Group. Eine britische Agentur, die vor gut einem Jahr die Rechte des Berliner Sechstagerennens kaufte.

Die Briten wollen den Bahnradsport wieder beleben mit einer Serie von Sechstagerennen, die möglichst bald auf der ganzen Welt, unter anderem in den USA oder Südamerika, stattfinden sollen. Es sind geradezu abenteuerliche Pläne angesichts des Aussterbens vieler Sechstagerennen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten; die Pläne gründen darauf, dass gerade in Großstädten wie Berlin das Fahrrad immer beliebter wird, vor allem bei jungen Menschen. Und da beginnt die Herkules- Aufgabe für Miltovics und seine Mitarbeiter.

Jung und Sechstagerennen passt in etwa so gut zusammen wie Schlager und House. Und genau das bekommen die vielen betagten Frauen und Männer in diesen Tagen im Velodrom zu hören. Neben Krückes legendärem Sportpalastwalzer ertönen laute Beats von DJ Tomekk, den die Veranstalter für die Sixdays, wie das Rennen jetzt offiziell heißt, gewinnen konnten.

DJ Tomekk ist aber nicht die einzige Veränderung. Das sportliche Programm ist gestrafft, ein riesiger Videowürfel schwebt über den Zuschauern und der neue Geist, der über dem Sechstagerennen schwebt, ist auch an Kleinigkeiten zu erkennen. Die gehäkelten Tischdecken wurden abgedeckt. Das Sechstagerennen soll jetzt mehr Club als Kneipe sein.

Aber reicht das, um junge Menschen dafür begeistern zu können? Die Kleinen und die Großen Jagden sind immer noch zentraler Bestandteil des Sechstagerennens. Bei der Großen Jagd fahren die Sportler 45 Minuten im Kreis. Das kann am Ende spannend und mitreißend werden, aber nicht unbedingt in den ersten 40 Minuten. Und dann ist auch die Frage, ob die Ansetzung der Sixdays noch zeitgemäß ist. Das Rennen findet vier Mal an einem Wochentag und es endet an diesen Tagen meist nicht vor Mitternacht. Vielen ist das viel zu spät.

Gut möglich daher, dass es das Sechstagerennen bald nicht mehr gibt. Auf der anderen Seite kämpfen die Mitarbeiter der Madison Sports Group leidenschaftlich für sein Weiterbestehen. Die meisten von ihnen kommen aus dem Radsport. Es sind mehr als bloße Floskeln, wenn sie sagen, dass es ihnen um die Sportart geht und nicht darum, alten Traditionen einen neuen Anstrich zu verleihen, um daraus wirtschaftliches Kapital zu schlagen.

Es ist daher noch nicht zu spät für das Sechstagerennen. Aber viel Zeit bleibt nicht mehr für weitere lebenserhaltende Maßnahmen.

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