zum Hauptinhalt
Selfie von der See: An Bord seiner „Seaexplorer“ war Boris Herrmann beim Vendèe-Arctique-Rennen unterwegs.

© Team Malizia

Siebter Platz in Vorbereitung auf das Vendée Globe: Wie Segler Boris Herrmann den Tücken des Ozeans trotzt

Segelsturz und Schotbruch – das Vorbereitungsrennen zum legendären Vendée Globe wird für Segler Boris Herrmann zur erwartet harten Materialprobe auf hoher See.

Das Unheil kündigt sich mit einem Sirren an. Als würde eine Angelschnur von der Rolle gehen. Sssirrrr! Was nicht gerade die Art von Geräusch ist, die Schlimmes verheißt. Im Gegensatz dazu hatte es bei Sébastien Simon zuvor ordentlich geknallt, als kurz nach dem Start des Vendée-Arctique-Rennens eines der beiden Flügelschwerter des Franzosen brach. Und auch an Bord von Isabelle Joschke krachte es gehörig, als der Großbaum entzwei ging.

Trotzdem ist auch ein ungewöhnliches Sirren nicht gut, und als Boris Herrmann es hört und an Deck seiner Rennyacht "Seaexplorer" eilt, um nachzusehen, was es bedeutet, da gleitet das Großsegel am Mast nach unten, fällt in sich zusammen wie ein Zelt, das seinen Halt verloren hat.

Reparatur gelang

Im ersten Moment glaubt Herrmann, dass das Rennen für ihn gelaufen sei. Denn wie sich herausstellt, ist der Einrastmechanismus gebrochen, mit dem der Kopf des Segels in 29 Metern Höhe am Mast verankert wird. Doch nach einem Kaffee und der Erkenntnis, dass er, selbst wenn er jetzt aufgeben würde, denselben Weg nach Hause segeln müsste, versucht er sich an der Reparatur. Es gelingt. Nach einigen Versuchen steht das Großsegel wieder. Und obwohl der deutsche Segler wertvolle Meilen auf seine Konkurrenten verloren hat, prescht er ihnen unverdrossen hinterher.

Wieder hat diese Vorbereitungsregatta auf das im November startende Vendée Globe eine seiner Wendungen genommen. Von den 20 Teilnehmern, die am 4. Juli in Les Sables D’Olonne losgesegelt sind, befinden sich noch 17 in dem Rennen, das sie nach stürmischem Beginn Richtung Island und dort um eine erste Wendemarke geführt hat. Es war in seinem ersten Teil die erwartet harte Materialprobe. Die Skipper, darunter vier Frauen, mussten achtgeben, ihre hochsensiblen Racer in dem hohen Wellengang nicht zertrümmert zu sehen.

Kopf-an-Kopf-Rennen

An die Spitze des Feldes setzten sich drei Boote der neuesten Generation. Jérémie Beyous pechschwarze "Charal", Thomas Ruyants "Linkedout" und Charlie Dalins "Apivia" liefern sich seither ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen, bei dem die Führung nach zehn Tagen immer wieder wechselt.

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Die drei Franzosen untermauern damit ihre Favoritenrolle. Die enge Leistungsdichte erlaubt keine Fehler mehr. Beyou, der das Volvo Ocean Race gewonnen hat und beim letzten Vendée Globe als Dritter ins Ziel kam, sagt, dass er "auch keine Ahnung habe, wie das hier ausgehen wird". Am Dienstagnachmittag war Ruyant in Sichtweite an ihm vorbeigezogen.

Hermann führte das Feld kurz an

Zwischenzeitlich konnte auch Herrmann zu dem Trio aufschließen, führte das Feld sogar kurz an, nachdem es auf seiner zweiten Etappe Richtung Süden von einer Schwachwindzone aufgehalten wurde. Solche tückischen Wetterbarrieren gab es einige zu bewältigen, so dass die zurückgefallenen Gruppen immer wieder aufschließen konnten. Herrmann führte die zweite Gruppe lange an. Sie bestand aus drei modifizierten Imoca-Yachten älteren Typs, die ebenfalls mit modernsten Foils ausgerüstet kaum Geschwindigkeitsnachteile zeigen.

Spritzig unterwegs: Boris Herrmann in Fahrt.
Spritzig unterwegs: Boris Herrmann in Fahrt.

© Loic Venance/AFP

So ist Herrmann denn auch äußerst zufrieden mit dem Test. Als einmal eine Schot brach und ein wild hin und her schlagender Ring das Kajütfenster zerschlug, ging das ebenso auf einen Bedienungsfehler seinerseits zurück wie der Bruch des Klemmmechanismus am Mast.

Zehn Tonnen Last zerren an dem Schlitten

Das Tuch aus Kevlar-Gewebe ist so steif und schwer, der Druck des Windes so enorm, dass zehn Tonnen Last an dem Schlitten zerren. Beim Hochziehen muss Herrmann den titanverstärkten Teil der Schiene um wenige Zentimeter verpasst haben, als die Apparatur einrastete.

Sie riss dann aus der Verankerung – und das Malheur war geschehen. Zwar kann Herrmann sein Großsegel einsetzen, aber für den letzten Teil der Reise nur mit verminderter Fläche. So fällt er auf den neunten Rang zurück, holt aber, als sich der Wind nach dem letzten Wegpunkt wieder verstärkt, kräftig auf. Mit dem höchsten Speed in der Nacht zu Dienstag und dem Glück des Tüchtigen schiebt er sich noch auf Position sechs, erreicht am Ende als siebter das Ziel.

Bei einer Weltumsegelung gibt es nur wenige Gelegenheiten, verpasste Chancen wettzumachen

Wie aussagekräftig dieser 3500-Meilen-Test für das Vendée Globe ist? Bei einer Weltumsegelung gibt es nur wenige Gelegenheiten, verpasste Chancen wettzumachen. Die tropischen Doldrums sind das einzige Nadelöhr, das die Karten neu mischt.

Wer jenseits davon im Südatlantik als erster eine Kaltfront erwischt, die wie ein langer Tentakel aus der Antarktis ausgreift, kann aus einem 50-Meilen-Vorsprung binnen weniger Stunden 500 Meilen machen. Die Tiefdruckgebiete des Südens wirken wie Schleudern, und wer das Vendée Globe gewinnen will, muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um ins Südpolarmeer katapultiert zu werden.

An Bord immer sicher gefühlt

Wie man das anstellt, ließ sich bei diesem sommerlichen Probelauf nicht herausfinden. Dennoch hat Herrmann wichtige Erkenntnisse gesammelt. Als Solosegler brauche er eine "360-Grad-Kompetenz", wie er es nennt. Besser werden könne er jetzt vor allem beim Feintuning der neuen Ausstattung, der Anstellwinkel des Foils im Verhältnis zum Neigewinkel des Kiels. Er muss lernen, wie viel Last der Foil aufnehmen sollte, um nicht überbeansprucht zu werden.

Das wichtigste aber ist wohl, dass er sich "an Bord immer wohl gefühlt" habe. Dass ihn die "Seaexplorer" nicht überrascht habe, so dass er auf ihre Zuverlässigkeit setzen kann. "Erfahrungsgemäß kommen die neuen Boote nicht alle an", sagt Herrmann mit Blick auf die vor ihm segelnden Spitzenreiter.

"Man muss natürlich in bestimmten Momenten sehr viel riskieren, um an einem Wettersystem dranzubleiben, das einen ansonsten abschütteln würde. Da muss ich noch genauer wissen, wie viel mehr an Belastung tragbar ist, weil ich jemand bin, der sehr früh vom Gas geht." Denn er will auf jeden Fall ankommen. Diesmal schneller.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false