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Shkodran Mustafi beim Training während der WM in Brasilien.

© p-a/dpa

Shkodran Mustafi im Interview: „Das ist nicht das richtige Leben“

Shkodran Mustafi spricht vor dem Länderspiel gegen Spanien im Tagesspiegel-Interview über seine Erfahrungen als Weltmeister, Besuche in Albanien und seinen Wechsel zum FC Valencia.

Herr Mustafi, wie ist das eigentlich, mit 22 Jahren plötzlich einen neuen Vornamen verpasst zu bekommen?

Welchen Vornamen?

Sie heißen jetzt nicht mehr Shkodran, sondern Weltmeister Shkodran Mustafi.

Ach, dieser Name. Wie konnte das nur passieren? Nein, Quatsch! Das kommt mir immer noch wie ein Traum vor. Ich sollte in Brasilien ja gar nicht dabei sein und bin erst im letzten Moment durch die Verletzung von Marco Reus noch in den WM-Kader gerutscht. Das ging alles so schnell, dass ich gar keine Chance hatte, zu realisieren, was gerade mit mir passiert. Plötzlich sitzt du im Flugzeug nach Brasilien und auf dem Weg zurück hast du diesen goldenen Pokal an Bord. Ich glaube, es wird auch noch eine Zeit dauern, bis ich richtig begriffen habe, was ich überhaupt erreicht habe.

Würden Sie so weit gehen zu sagen: Als Weltmeister erhält man eine neue oder zumindest andere Identität?

Ich habe jetzt auf jeden Fall eine bekanntere Identität. Bis zum Sommer hatte mich in Deutschland eigentlich niemand auf dem Radar. Aber als Weltmeister kennt dich jeder. Und trotzdem: Ich bin immer noch derselbe, der ich vor der WM war. Man darf als Sportler sowieso nie lange zufrieden sein. Du musst deine Leistungen ständig bestätigen und die Erwartungen erfüllen. Das ist auch Druck. Ich bin 22, aber plötzlich darfst du dir keine Fehler mehr erlauben, jedenfalls ist das die öffentliche Erwartung. Du bist ja Weltmeister. Damit muss man erst mal klarkommen.

Wie wirkt sich denn der WM-Titel auf Ihr tägliches Leben aus?

Man wird von allen erkannt. Und nicht nur wie früher in meiner Heimatstadt Bebra, sondern wirklich überall. In Frankfurt am Flughafen, in Düsseldorf am Flughafen, das war früher nicht so. Selbst deine Kollegen schauen dich mit anderen Augen an. Man läuft auch einfach mit einer etwas breiteren Brust durch die Gegend. Ich habe was erreicht, was die wenigsten erreichen, und bin natürlich auch stolz darauf. Ja, ich bin Weltmeister – und versuche trotzdem cool zu bleiben.

Sie haben selbst gesagt, dass man als Fußballer Gefahr laufe, blind zu werden für das normale Leben.

Das ist so. Man steht in der Öffentlichkeit, man wird, zumindest wenn es gut läuft, in den Medien groß erwähnt, bewegt sich auf einmal in ganz anderen Kreisen. Plötzlich ist es scheinbar normal, ein Auto für 200 000 Euro zu besitzen; ist es normal, abends mal mit der Familie oder Freunden für 400 Euro essen zu gehen. Du vergisst ganz schnell, dass du noch vor vier Jahren im Internat gerade mal 400 Euro für den gesamten Monat zur Verfügung hattest. Als junger Spieler einen solchen Titel zu holen, von allen Leuten gefeiert zu werden und trotzdem auf dem Boden zu bleiben – das ist nicht ganz einfach. Da hat man im Alltag schon mit zu kämpfen.

Wie gelingt Ihnen das?

Mir hilft es einfach, den Kontakt zu meinen Freunden und zu meinen Verwandten so eng wie möglich zu halten. Weil ich bei ihnen sehe, dass es normal ist, morgens um sechs Uhr aufzustehen und arbeiten gehen zu müssen. Weil ich sehe, dass jemand, der wirklich viel arbeitet, vielleicht 1800, 2000 Euro mit nach Hause nimmt – und am Ende des Monats trotzdem nichts übrig bleibt. Das ist eigentlich das richtige Leben. Und nicht das Leben, das ich führe. Das, was ich führe, ist ein Traum, den viele träumen, aber der sich für wenige erfüllt. Durch meine Wurzeln bin ich oft in Albanien, um meine Familie zu besuchen. Da leben Leute von 200, 300 Euro im Monat.

Zwingen Sie sich zu solchen Besuchen?

Zwingen nicht. Ich denke nicht: Ich muss jetzt mal wieder nach Albanien fahren, um mich auf dem Boden zu halten. Ich fahre gerne dahin, ich fahre auch jedes Jahr dahin. Obwohl es inzwischen etwas schwieriger ist.

Wieso?

Weil ich der erste Albaner bin, der Fußball-Weltmeister geworden ist. Dadurch sehen mich die Leute dort jetzt mit anderen Augen. Es ist nicht mehr so leicht, unerkannt durch die Gegend zu laufen. Aber es hilft mir, dort zu sein. Ich muss nicht alles vom Teuersten haben. Ich muss nicht das schönste Auto fahren. Ich brauche keine Wasserhähne aus Gold. Ich versuche schon, realistisch und normal zu bleiben.

Sie hätten auch für die albanische Nationalmannschaft spielen können. Warum haben Sie sich dagegen entschieden?

Das war nicht leicht. Albanien ist die Heimat meiner Eltern. Aber ich wollte nicht der Held einer Nation werden, ich wollte Karriere machen. Etwas erreichen. Deshalb bin ich mit 14 von zu Hause weg, um beim Hamburger SV zu spielen. Deshalb bin ich mit 17 zum FC Everton gewechselt, in ein fremdes Land, mit einer anderen Sprache, einer anderen Kultur.

Im WM-Achtelfinale gegen Algerien verletzte sich Mustafi schwer, das Turnier war für ihn beendet.
Im WM-Achtelfinale gegen Algerien verletzte sich Mustafi schwer, das Turnier war für ihn beendet.

© p-a/dpa

Jetzt sind Sie Weltmeister. Allerdings haben Sie sich im Achtelfinale gegen Algerien so schwer verletzt, dass Sie anschließend nicht mehr spielen konnten.

Der Doc hat mir gleich gesagt, dass die WM für mich auf jeden Fall beendet ist. Im ersten Moment war das natürlich eine Riesenenttäuschung. Aber es ändert nichts an meinem Gefühl, Weltmeister zu sein. Selbst wenn ich in Brasilien keine einzige Sekunde gespielt hätte, wäre ich jetzt einer der glücklichsten Menschen der Welt.

Haben Sie mal überlegt, nach der Verletzung nach Hause zu fliegen?

Ich habe mir tatsächlich viele Gedanken gemacht. Ich habe mit meinem Vater telefoniert, ich habe mit meinem Berater gesprochen, habe mich mit dem Bundestrainer zusammengesetzt, mit den Vereinsärzten telefoniert und mit meinem Trainer in Genua. Wir waren alle der Meinung, dass es einfach schlauer ist, in Brasilien zu bleiben und dort die medizinische Betreuung der Nationalmannschaft rund um die Uhr in Anspruch zu nehmen. Man findet einfach keine bessere. Aber abgesehen davon wollte ich auch gar nicht weg.

Hatten Sie im Hinterkopf, dass Sie sonst etwas Großes verpassen könnten?

Der erste Gedanke war: Wenn du plötzlich aus so einem großen Turnier raus bist und nach Hause fahren musst, bist du am Boden zerstört. Wahrscheinlich brauchst du anschließend einige Wochen, um erst einmal mit dieser Situation klarzukommen. Wenn du aber im Camp bleibst, hast du immer noch das Gefühl, ein Teil der Mannschaft zu sein. Also ist es vielleicht einfach cleverer, dabeizubleiben und sich weiter mit der Mannschaft zu freuen. Aber natürlich wussten wir auch, was wir können. Und wir wussten auch, dass wir in diesem Jahr mit dieser Mannschaft die Chance haben, das Ding zu holen. Es haben einfach alle Punkte dafür gesprochen, dass ich bleibe.

Das hört sich alles sehr rational an, sehr strukturiert und passt zu der Einschätzung des Bundestrainers. Joachim Löw hält Sie für extrem reif. Woher kommt das?

Mir hat es einfach geholfen, schon mit 14 im Internat auf mich allein gestellt zu sein und so früh selbstständig zu werden. Ich musste früh Entscheidungen treffen. Daraus habe ich gelernt.

Inwiefern?

Du merkst sehr schnell: Die Entscheidungen, bei denen du Zeit hattest, dir Gedanken zu machen, sind meistens positiv ausgegangen.

Wie viel Zeit hatten Sie im Sommer, um über Ihre berufliche Zukunft zu entscheiden?

Die Zeit habe ich mir genommen – weil ich immer gesagt habe, dass diese Entscheidung eine sehr schwierige sein wird. Aber unmittelbar nach der WM, unter dem Eindruck des Titels, mit meiner Verletzung, hatte ich einfach nicht den Kopf frei für eine solch weitreichende Entscheidung. Ich wusste: Diese Entscheidung kann ich nur mit freiem Kopf treffen, weil es um den nächsten Schritt in meiner Entwicklung geht, weil es vielleicht sogar der wichtigste für meine ganze Karriere ist. Deshalb habe ich erst einmal abgeschaltet, mich bewusst zurückgezogen, meinen Vater und meinen Berater arbeiten lassen. Ich habe mir anschließend alles angehört, und dann haben wir zusammen entschieden, dass der nächste Schritt nach Valencia geht.

Sie haben mal erzählt, dass Sie sich in England als Spieler körperlich entwickelt haben, in Italien die taktische Schule hinzugekommen ist – was lernen Sie in Spanien?

Tempo, Kurzpassspiel …

… die technische Komponente also?

Genau, aber bei hohem Tempo. Das Spiel ist in Spanien so schnell, dass du manchmal drei Pässe vorausdenken musst: Wenn der jetzt zu dem spielt, wo könnte der Ball als Nächstes landen. Sonst kämst du gar nicht hinterher. Diese Erfahrung hilft mir auch wieder, um mich weiterzuentwickeln, weil ich dieses Tempo aus Italien nicht kenne. Dadurch, dass der italienische Fußball so taktisch ist, geht die Geschwindigkeit einfach verloren.

Am Dienstag treffen Sie mit der Nationalelf auf Spanien. In Deutschland scheint sich gerade die Meinung zu verfestigen, dass die Ära der Spanier vorbei ist. Sehen Sie das ähnlich?

Natürlich merkt man, dass wichtige Spieler wie Xavi etwas älter geworden sind. Aber jede Mannschaft hat mal eine schwächere Phase. Ich bin der Meinung, dass Spanien immer noch eine Riesenmannschaft hat, mit einem Riesenpotenzial und unglaublich viel Talent. Aber vor allem eins hat mich fasziniert.

Nämlich?

Die Spanier sind mit fast demselben Kader erst Welt- und dann Europameister geworden. Dass das nicht ganz so einfach ist, bekommen wir gerade zu spüren. Das Spiel gegen den Weltmeister ist für alle Gegner das Spiel ihres Lebens. Damit muss man erst einmal zurechtkommen. Die Spanier haben das damals super gemeistert.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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