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Turnend leicht. Der Berliner Philipp Herder wurde 2017 Deutscher Meister am Boden.

© Ronald Wittek/dpa

Serie "Mein Sport und ich" (3): Kein Mann fürs Monotone

Auch einer der besten deutschen Turner muss sich täglich quälen – manchmal kostet es viel Überwindung. Dabei geht es ihm nicht nur ums Gewinnen.

Sport bedeutet Leidenschaft, harte Arbeit – und Verzicht. In unserer Serie erzählen Athleten ganz persönlich, wie viel Kraft das kostet und was sie für ihre Sportart auf sich nehmen. Diesmal der Berliner Turner Philipp Herder, 26, der 2017 Deutscher Meister am Boden wurde.

Ohne Leidenschaft für diesen Sport wäre längst alles vorbei. Ich habe schon als Kind trainiert wie ein Verrückter und tue es heute noch. Ich bin oft zuhause geblieben, wenn die anderen noch um die Häuser gezogen sind. Ich habe mich schon schlimm an der Bandscheibe verletzt und befinde mich auch aktuell wieder im Aufbautraining. Anfang Mai bin ich beim Training gestürzt und habe mich an der Halswirbelsäule verletzt. Ich verdiene für die Entbehrungen keine Millionen. Im Gegenteil: Ich komme damit über die Runden. Es braucht also viel Hingebung, um Profiturner zu werden - und zu bleiben. Denn im Alter nehmen die Verletzungen zu. Ich bin Philipp Herder und das ist die Geschichte über mich und meinen Sport.

Angefangen hat alles im Sportunterricht an der Wilhelm-Busch-Grundschule in Marzahn. Schon in der ersten Klasse waren bei uns Talentspäher an der Schule, einer war mein späterer Trainer Herr Ahnert. Ihnen war aufgefallen, dass ich Spaß an der Bewegung hatte. Vor allem aber: Ich war sehr klein. Perfekt für das Turnen. Da schlugen sie mir ein Schnuppertraining vor. Und schon nach der zweiten Klasse bin ich bei einer Kaderüberprüfung Zweiter von Berlin geworden. Dann ging es ab der dritten Klasse auf das SLZB, die Sportschule in Hohenschönhausen. Von da begann es im Grunde mit dem Leistungssport.

Ich war noch ein Kind, aber um 7.30 Uhr ging es los mit Turnen, anschließend hatte ich Schulunterricht, danach wieder Turnen. Gegen 20 Uhr war ich zu Hause. Und das unter der Woche jeden Tag. Meine Eltern hatten manchmal Sorge, dass es zu viel sein könnte mit dem Sport. Aber letztlich haben sie mich unterstützt und auch bestärkt, weiterzumachen, wenn ich keine Motivation mehr hatte. Die Phasen hat es natürlich gegeben. Gerade als ich in ein Alter gekommen war, in dem andere das Leben erst richtig entdecken. Wobei ich in der Hinsicht ein typischer Turner war.

Ich will nicht sagen retardiert, aber in meiner körperlichen Entwicklung war ich schon hintendran. Dennoch fand ich es schade, wenn ich wegen des vielen Trainings abends nicht so viel Freizeit hatte wie die anderen. In Zeiten, in denen der sportliche Erfolg nicht da war, kam schon mal der Gedanke, mit dem Sport hinzuschmeißen. Dann haben mir meine Eltern gesagt, ich solle es noch ein paar Wochen versuchen. Wenn ich dann immer noch aufhören wolle – so ihr Rat –, dann solle ich es tun. Doch so weit ist es nie gekommen. Zum Glück. Ich bin froh diesen Sport ausüben zu können. Es macht mir immer noch Spaß. Turnen ist etwas Besonderes.

Fabian Hambüchen war die große Ausnahme

Es hört sich vielleicht pathetisch an: Aber mir geht es beim Turnen nicht ums Gewinnen. Beim Turnen kommt es auf kleinste Details an, damit komplizierte und spektakuläre Übungen möglich sind. Gelingt das, ist das ein fantastisches Gefühl. Eigentlich geht es mir nur darum, besser zu werden und dieses Gefühl zu bekommen. Was die Sportart außerdem so attraktiv macht, ist die Bandbreite an Bewegungsmustern. Ich könnte mir niemals vorstellen, Leichtathlet oder Schwimmer zu sein und monoton meine Bahnen zu laufen oder zu schwimmen.

Deswegen bin ich der Bundeswehr sehr dankbar. Seit 2013 bin ich bei der Sportfördergruppe. Sie ermöglicht es mir, meinen Sport in der Intensität auszuüben. Anders hätte ich wohl keine Chance. Olympiasieger Fabian Hambüchen war die große Ausnahme. Er hat es ohne die Förderung der Bundeswehr oder der Bundespolizei geschafft. Klar, ein Bundesligafußballer bekommt mehr Geld und mehr Aufmerksamkeit als wir für – wenn überhaupt – gleichen Einsatz. Aber von solchen Vergleichen halte ich nichts. Letztlich gibt es auch viele Sportarten, die gerne so ein Standing wie das Turnen hätten.

Ich jedenfalls kämpfe für meine nächsten Ziele, die Teilnahme an der deutschen Meisterschaft und dann hoffentlich auch an der Weltmeisterschaft im Oktober im eigenen Land. Dafür trainiere ich neben meinem Studium der Physik jeden Tag fast sechs Stunden. Ich bin 26 Jahre alt und habe wahrscheinlich nicht mehr viele Jahre im Leistungssport. Ich will das nutzen und gesund bleiben. Das ist natürlich das Wichtigste. Jeder, der professionell turnt, kennt die schlimmen Geschichten wie etwa die von Ronny Ziesmer (Ziesmer ist nach einem Turnunfall im Jahr 2004 querschnittsgelähmt. Anm. d. Red.).

Ich mit meiner Vorgeschichte mit meiner schweren Bandscheibenverletzung vor neun Jahren und der Halswirbelverletzung vor wenigen Wochen bin da natürlich vorbelastet. Aber ich denke nicht oft daran, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Schon gar nicht unmittelbar vor oder während einer Übung. Da bin ich einfach nur fokussiert und jage diesem besonderen Gefühl nach.

Aufgezeichnet von Martin Einsiedler. Bisher erschienen: Laufen von Jan Fitschen (26.6.) und Bogenschießen von Lisa Unruh (2.7.).

Philipp Herder

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