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 Hölzer, Hölzer, Hölzer. Im Laden von Patrick Strahl gibt es eine riesige Auswahl.

© Kai-Uwe Heinrich

Serie Materialschlacht, Teil 9: Tischtennis ist eine Wissenschaft in Rot und Schwarz

Viel mehr als Ping-Pong: Bei Belägen und Schlägerhölzern gibt es eine riesige Auswahl. Daher wird getestet und getüftelt, was das Zeug hält.

Im Sport kommt es nicht immer nur auf den Athleten an. In unserer Serie „Materialschlacht“ beschreiben wir, wie viel durch Technik und Material in verschiedenen Sportarten bestimmt wird. Teil 9: Der Schläger beim Tischtennis.

Der Weg in die Tischtennis-Welt führt über den Hof eines ehemaligen Fabrikgebäudes am U-Bahnhof Osloer Straße. Im Laden – mit 350 Quadratmetern einer der größten in Deutschland zum Thema Tischtennis – stehen vier Platten, abgetrennt mit Banden. Rechts geht es in den Verkaufsbereich. Neue Kunden schauen sich gern erst einmal um. Der Blick fällt schnell auf Schlägerhölzer. Über 200 unterschiedliche in zwölf Reihen. „Da sind die meisten verwirrt“, sagt Inhaber Patrick Strahl. Tischtennis ist nicht Ping-Pong, „Tischtennis ist eine Wissenschaft“, so Strahl.

Der 39-Jährige bittet in sein Büro. Auf dem Schreibtisch liegt ein Katalog. 206 Seiten, ein Drittel mehr als vor knapp 15 Jahren. „Es gibt laufend neue Ideen der Industrie“, sagt Strahl. Er hat knapp 400 unterschiedliche Beläge auf Lager. Ein Belag kann 60 bis 80 Stunden gespielt werden. Das trainieren Profis fix herunter. Die Beläge sind rot oder schwarz. Demnächst dürfen sie auch grün sein, wie der Weltverband ITTF kürzlich beschloss. Sie sind aus Kautschuk und bestehen aus Obergummi und Schwammunterlage. Soweit die Gemeinsamkeiten. Tempo, Effet, Kontrolle, überall gibt es Unterschiede. „Es geht um Nuancen“, sagt Strahl.

Ein Beispiel: Stehen die Noppen im Belag enger zusammen, ist beim Schlag mehr Spin möglich. Liegen sie weiter auseinander, wird der Ball schneller. Auch bei den Hölzern gibt es eine riesige Bandbreite, von extrem offensiv bis sehr defensiv. Ein individuell zusammengestellter Schläger kostet im Schnitt um die 100 Euro. Doch auch das Dreifache ist möglich. Strahl beobachtet, dass Spieler, die in Parks oder Bars spielen, inzwischen ebenfalls gern Geld in gutes Material investieren. Diese Szene wächst stetig.

Im Tischtennis-Laden von Patrick Strahl wird der Belag von einem Schläger entfernt. Im Laden wird sehr viel getestet und experimentiert.
Im Tischtennis-Laden von Patrick Strahl wird der Belag von einem Schläger entfernt. Im Laden wird sehr viel getestet und experimentiert.

© Kai-Uwe Heinrich

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Sportart stark verändert. Erst kürzere Sätze und größere Bälle für die TV-Tauglichkeit, dann Umstellung vom leicht entzündlichen Zelluloid- auf den Plastikball. Die neuen Bälle nehmen weniger Rotation an. Folge: noch mehr testen und tüfteln. Die meisten der über 500 000 Mitglieder des Deutschen Tischtennis-Bundes spielen zum Spaß. Doch experimentiert wird mit viel Liebe zu jedem Detail. „Im Hobbybereich wird mehr herumprobiert als in der Spitze“, sagt Strahl, der in der Oberliga beim TTC Düppel aktiv ist. Er war Berliner Meister, hat in der Zweiten Liga für Hertha BSC und Borussia Spandau gespielt.

Auch im Zeitalter der Online-Bestellungen laufen zwei Drittel des Verkaufs im Laden ab, die persönliche Beratung spielt eine große Rolle. Bis zu zehn Beläge werden manchmal getestet, bis Strahl und der Käufer zufrieden sind. In Ausnahmefällen will der Kunde jedoch zwei Wochen später etwas ganz anderes. „An einen neuen Schläger muss man sich gewöhnen, häufiges Wechseln bringt wenig“, sagt Strahl. Er enttäuscht auch jene, die denken, allein das gleiche Material wie Timo Boll zu haben, macht sie zum Könner: „Auch der beste Belag kann Training nicht ersetzen“, sagt Strahl, aber: „Mit einem Belag, der nicht zu einem passt, kann nicht das Maximum herausgeholt werden.“

Predator, Firestorm und Kamikaze

Jeder Belag hat einen eigenen Namen, mitunter klingen sie gefährlich: Predator, Firestorm oder Kamikaze. Es sind Beläge für Abwehrspieler. Da die Noppen außen sind, wird die Rotation verstärkt und der Ball bekommt eine ungewöhnliche Flugbahn. Früher sind Akteure mit diesem Stil Weltmeister geworden. Inzwischen wird regelmäßig das Ende des Abwehrspiels prognostiziert. Aufgrund der vielen Eingriffe von außen und weil Weltklassespieler die Bälle immer härter peitschen.

Qianhong Gotsch vom SV Böblingen kann beides, Abwehr und Angriff. In der Hauptrunde der laufenden Bundesliga-Saison hat sie die beste Bilanz gespielt. Im Alter von 50 Jahren. „Die Gegnerinnen wissen oft nicht, was ich als nächstes mache“, sagt die gebürtige Chinesin. Überhaupt sei Tischtennis eine höchst komplexe Angelegenheit: „Um bei einem Turnier mitspielen zu können, ist eine lange Ausbildung nötig. Und da reden wir noch nicht von Taktik.“ Und nicht von Belägen und Hölzern. Die sind ein eigener Teil der Wissenschaft namens Tischtennis.

Bisher erschienen: „Kufen beim Rodeln“, „Alpine Ski“, „Das Gewehr beim Biathlon“, „Schoner und Schlittschuhe beim Eishockeytorwart“, „Passgenaue Bobs“, „Die Anzüge der Skispringer“, „Das Motorrad beim Eisspeedway“ und „Die Schuhe beim Basketball“.

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