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Läuft und läuft und läuft. Karl-Heinz Neumann tritt jetzt kürzer und trainiert nur noch sechsmal pro Woche.

© Kitty Kleist-Heinrich

Senioren-Sprinter: Opa kann jetzt nicht

Der 77-jährige Karl-Heinz Neumann ist bereits elffacher Welt- und 13-maliger Europameister im Senioren-Sprinten. Doch der pensionierte Kriminalpolizist hat noch ein großes Ziel.

Eine Sache möchte Karl-Heinz Neumann unbedingt klarstellen: „Ich bin ein ehrgeiziger Typ und zielgerecht, früher im Beruf als Kriminalist und heute auch im Sport.“ Gleich muss der 77-Jährige wieder zum Training in die Rudolf-Harbig-Halle am Berliner Olympiastadion. Kurze Intervalle über 30 bis 50 Meter stehen auf dem Trainingsplan. Aus dem unteren Geschoss der zweistöckigen Wohnung hört man Neumanns Enkel mit seinem Spielzeug klappern. „Opa!“, ruft der Fünfjährige hoch. Doch Opa kann jetzt nicht.

Neumann sitzt oben unter dem Dach vor dem Computerbildschirm. „Ich habe die Ecke extra nicht unten im Wohnzimmer eingerichtet, sondern abseits nicht für Jedermann zugänglich “, betont der Pensionär. Seine Frau war dagegen. Und angeben will er ja auch nicht. Die Wand verdeckt ein großer Bilderrahmen, in dem sich Berichte über seine internationalen Wettkämpfe in Australien, Japan, den USA und Kanada überlappen. Darum herum die gebündelten Medaillen von seinen Erfolgen, auf einem Regal darunter die Pokale. Neumann zählt seine Erfolge auf: Elfmal ist er schon Weltmeister geworden, 13 Mal Europameister. Und er schafft es fast immer in die Medaillenränge, „vierte und fünfte Plätze liegen mir nicht so“. Neumann grinst. Der pensionierte Kriminalpolizist ist einer der erfolgreichsten deutschen Leichtathleten.

Als er mit 60 Jahren in den Ruhestand ging, suchte er sich gezielt den Sport aus als neue Herausforderung. „Zack! Da habe ich den Deutschen niedergemacht“, ruft Neumann plötzlich. Inmitten all der Reliquien seiner 37-jährigen Karriere als Sprinter werden Erinnerungen wach. Auf dem Foto ein Mini-Neumann mit schwarz-rot-goldener Kappe, der auf der Zielgeraden seinen Konkurrenten überholt und mit emporgereckter Faust die Ziellinie überquert. „Wir haben wie die Berserker gegeneinander gekämpft“, schwelgt Neumann. Das Bild ist mit „Europameisterschaften 2012 in Zittau Finale 200 m“ überschrieben, in 30,49 Sekunden hatte Neumann gewonnen. Der angestrengte Läufer auf dem Foto, der sich mit heruntergezogenen Mundwinkeln und aus dem Hals hervortretenden Sehnen ins Ziel quält, hat nur wenig Ähnlichkeit mit dem ordentlichen Herren, der nun in all den kopierten Zeitungsberichten und pixeligen Zielfotos kramt.

Karl-Heinz Neumann hat noch ein großes Ziel

Nur nicht alt werden – dieses Motto steht Karl-Heinz Neumann auf die Stirn geschrieben. Doch ganz spurlos ist das Alter auch an ihm nicht vorbeigegangen. „Nach den harten Trainingseinheiten muss ich unbedingt auf der Couch regenerieren“, erzählt Neumann. Seine Trainingspläne lässt er von einem Arzt erstellen, der wegen Verstrickungen ins DDR-Dopingsystem nicht mehr im Profisport arbeiten darf. Doch von Doping will der Rentner nichts wissen. Er habe einfach ein Talent fürs Laufen – und zielstrebig sei er dazu. Und gerade deshalb wolle er keine Zeit verlieren. Jedes Jahr zählt. Mit siebzig waren seine Zeiten natürlich noch wesentlich besser. Doch das ist für ihn kein Argument, seinem Körper eine Pause zu gönnen: „Trotz des höheren Alters macht es noch Freude, Leistung zu erbringen.“ Um Medaillen gehe es ihm dabei aber nicht vorrangig. „Die Freundschaften in unserer kleinen Gruppe der Seniorensprinter stehen für mich im Vordergrund.“

Mittlerweile läuft der Pensionär in der Altersklasse 75. Etwa 20 bis 25 Leute, so schätzt er, gibt es auf der Welt, die sich in dieser Klasse noch zum Sprinten berufen fühlen. „In meiner Altersklassen sterben natürlich auch einige Sportler, andere hören auf“, sagt er. Natürliche Auslese eben. An ein freiwilliges Ende denkt Neumann aber nicht. Er trete ja schon kürzer, sagt er, wegen der Familie. Die Sonntage hält er sich nun frei und auf die Senioren-WM im kommenden Jahr in Brasilien wird er wohl auch verzichten.

Doch an den übrigen sechs Tagen in der Woche zieht es ihn in die Halle, in den Wald oder in seinen hauseigenen Geräteraum, den er „seinen Ackerraum“ nennt. In der Kammer lagern Rudermaschine, Ergometer und Hanteln, ein Plakat erinnert an die Weltmeisterschaft in Brisbane 2001. Und sein großes Ziel bleibt: Mit 80 Jahren will er noch einmal international auftreten bei den Weltmeisterschaften in Lyon.

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