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Zeit für Veränderung? Senator Andreas Geisel und Hertha BSC stehen im Clinch bezüglich des Olympiastadions.

© Soeren Stache/dpa

Senator Geisel über neues Hertha-Stadion: „Der Standort Olympiapark ist hinfällig geworden“

Berlins Sportsenator Andreas Geisel über die Finals, mögliche Olympische Spiele in Berlin und die Konflikte mit Hertha BSC um ein neues Stadion.

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Andreas Geisel (SPD), 53, ist in Ost-Berlin geboren und drückt dem 1. FC Union die Daumen. Seit Ende 2016 ist er Senator für Inneres und Sport. Im Interview spricht er unter anderem über die anstehenden Berlin-Finals und erteilt Herthas Stadionplänen im Olympiapark eine Absage.

Herr Geisel, Hertha oder Union?
Oh, das ist gemein. Als Sportsenator muss ich offiziell neutral bleiben.

Und inoffiziell?
Schlägt mein Herz für Union. Ich kenne den Klub seit frühester Kindheit und wohne in der Nähe. Das hat also etwas mit meiner persönlichen Geschichte zu tun. Daher habe ich mich sehr über den Aufstieg gefreut. Wie die Menschen dort mit dem Herzen dabei sind, das ist schon eine tolle Geschichte. Aber Hertha soll sich jetzt nicht benachteiligt fühlen. Es ist völlig klar, dass das auf mein Wirken als Sportsenator keinen Einfluss hat.

Sie sind in der DDR geboren und groß geworden. Wie haben Sie den DDR-Sport damals erlebt und wie sehen Sie ihn in der Rückschau?
Bei einigen Ereignissen spüre ich noch so etwas wie emotionale Verbundenheit. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit meinen Eltern vor dem Fernseher saß und gebannt die Siege von Marathonläufer Waldemar Cierpinski verfolgt habe.

„Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge Waldemar“, sagte der Kommentator damals im DDR-Fernsehen.
Genau. „Junge Väter, fassen Sie sich ein Herz und nennen Sie Ihre Kinder Waldemar.“ Mütter kamen da noch nicht vor. Und dennoch: Leistungssport in der DDR war Politik. Die DDR wollte die Überlegenheit des Sozialismus durch den Sport zeigen. Ausgetragen wurde das auf dem Rücken der Sportler, die gesundheitlich darunter litten und teilweise bis heute darunter leiden. Von daher sehe ich den DDR-Sport differenziert: durchaus emotional für mich, aber der Verfehlungen bin ich mir natürlich bewusst.

Sie sind in einer sportgeschwängerten Welt sozialisiert worden. Spielt der Sport bei Ihnen privat noch eine Rolle?
Ich habe eine Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio. Die Termine dafür stehen in meinem Kalender. Aber regelmäßig kommt etwas dazwischen. Dafür bin ich als Zuschauer oft bei Veranstaltungen.

Dann freuen Sie sich schon in der kommenden Woche auf die Finals, die in zehn Sportarten gebündelten deutschen Meisterschaften in Berlin?
Riesig. Das wird hoffentlich ein neues Sommermärchen.

Ist das nicht ein bisschen hoch gegriffen?
Warum?! Ich meine das ernst. Ich war und bin begeistert von dem Konzept und auch darüber, dass ARD, ZDF und RBB viel Sendezeit eingeplant haben. Es geht doch darum, nicht alles dem Fußball zu überlassen. Gebündelte Meisterschaften können da sehr helfen.

Sie befürchten keine leeren Zuschauerränge im Olympiastadion?
Bei der Leichtathletik-EM im vergangenen Jahr wurden unsere Erwartungen übertroffen – weil die Berlinerinnen und Berliner sehr für den Sport zu begeistern sind. Sicher, dieses Mal sind es „nur“ die deutschen Meisterschaften. Deswegen wird auch lediglich der Unterrang geöffnet sein. Aber spannend sind auch die anderen Austragungsorte wie etwa die Kanuwettbewerbe auf der Spree entlang der Oberbaumbrücke. Das wird ein richtiges Event. Wir wollen Bilder transportieren, die es so noch nicht gegeben hat.

Klare Kante. Andreas Geisel (SPD) ist seit Ende 2016 Senator für Inneres und Sport.
Klare Kante. Andreas Geisel (SPD) ist seit Ende 2016 Senator für Inneres und Sport.

© Mike Wolff

Sie wollen den Status als Sportstadt unterstreichen?
Wir sagen gerne Sportmetropole, nicht Sportstadt – und ich finde, völlig zurecht. Wir haben 600 000 Menschen in Berlin, die in Vereinen organisiert sind. Hinzu kommen diejenigen, die unorganisiert in Parks oder in kommerziellen Studios Sport treiben. Die Vielfalt hier ist riesig. Und dann kommen noch die internationalen Sportereignisse dazu, die wir Jahr für Jahr in Berlin haben. Diese Bandbreite ist in Deutschland beispiellos und auch weltweit gibt es wenige Städte, die da mithalten können. Wir spielen schon in einer Liga mit London und Los Angeles.

Dann würde es auch naheliegen, Olympische Spiele in Berlin auszutragen. Warum sind die meisten Berliner trotzdem gegen Olympia in ihrer Stadt?
Ich kann die skeptische Haltung nachvollziehen, wenn es um Gigantomanie und das zweifelhafte Vergabeverhalten des IOC geht. Und es stellt sich auch immer die Frage, wer auf den Kosten sitzenbleibt. Ich finde es aber eine Riesenbigotterie, gegen Spitzensportveranstaltungen wie Olympia zu sein, aber gleichzeitig wie wild die Medaillen zu zählen und dann zu kritisieren, dass Deutschland nicht mehr an der Spitze steht. Man muss erkennen, dass Breitensport nicht ohne Spitzensport funktioniert.

Inwiefern?
Wenn es keine Helden gibt, gibt es auch nicht das Bemühen, jemandem nachzustreben. Ein gutes Beispiel sind die Eishockeyspieler, die in Südkorea bei Olympia sensationell gespielt haben und im Finale nur ganz knapp an Russland gescheitert sind. Danach gab es unglaublich viele Kinder, die bei den Eisbären oder den Preussen Eishockey spielen wollten. Was ich sagen will: Wenn man kein Ziel hat, auf das man hinarbeitet, kann man die Menschen nicht begeistern.

Und was ist mit den horrenden Kosten?
Was ich nicht will, sind die Spiele, die für vier Wochen Spaß Milliarden verschlingen. Aber in Berlin ist ja eigentlich alles vorhanden, hier geht es mit einem anderen Konzept, das sich wiederum für die Stadtentwicklung lohnt. Gerade sportliche Großveranstaltungen geben uns die Möglichkeit, der Infrastruktur einen Schub zu verleihen.

Das wäre jedenfalls dringend nötig. Viele Sportstätten in der Stadt sind marode oder fehlen ganz.
Ich möchte nicht verhehlen, dass es Probleme gibt. Aber schon allein die Finals zeigen, dass wir gut aufgestellt sind. Wir können einfach mal so diese zehn Meisterschaften an einem Wochenende durchführen, weil wir die Infrastruktur haben. Die ist da, ohne dass wir etwas investieren mussten.

Unterhalb dieser Leistungssportebene sieht es aber anders aus.
Berlin hat sehr viele Sporthallen und Sportanlagen. Und natürlich muss man immer Geld in die Sanierung stecken. Wir haben hierfür das Sanierungsprogramm verdoppelt. In Sportstätten muss man immer Geld in die Sanierung stecken, genauso wie in Schulen oder in in Bäder. Da ist der Sanierungsstau momentan besonders groß.

Auch der Platz in der Stadt wird umkämpfter und teurer. Wie kann sich der Sport unter diesen Bedingungen behaupten?
Das ist nicht einfach. Um die gedeckten Sportstätten, also die Hallen, mache ich mir weniger Sorgen, weil deren Anzahl mit dem Bau von neuen Schulen weiter wächst. Aber die Sportanlagen im Freien haben ein Problem. In der Innenstadt gibt es kaum Möglichkeiten für neue Sportanlagen. Das heißt, wir müssen aus den bestehenden Flächen mehr herausholen.

Das käme vor allem Vereinen zugute. Was planen Sie für die vielen unorganisierten Sportlerinnen und Sportlern in der Stadt, die immerhin in der Mehrheit sind?
Zunächst einmal bin ich ein Fan von Vereinen, weil da Sekundärtugenden gelebt werden: Kameradschaft, Teamfähigkeit, Leistungsfähigkeit, Fairness. Deswegen fließt die staatliche Sportförderung in den Vereinssport. Aber es ist nicht so, dass wir die vielen vereinslosen Sporttreibenden vernachlässigen.

"Diesen Standort ins Spiel zu bringen, ist absurd"

Zeit für Veränderung? Senator Andreas Geisel und Hertha BSC stehen im Clinch bezüglich des Olympiastadions.
Zeit für Veränderung? Senator Andreas Geisel und Hertha BSC stehen im Clinch bezüglich des Olympiastadions.

© Soeren Stache/dpa

Woran merkt man das?
Zum Beispiel daran, dass wir Geld in die Parks investieren, um vielfältige Möglichkeiten für Sporttreibende zu schaffen. Seit ich Vater von zwei Töchtern bin, ist mir aufgefallen, dass unsere Parks sehr auf die männlichen Sportler ausgerichtet sind. Wir müssen umdenken und neue Angebote schaffen. Auch dabei können sportlichen Großereignisse helfen. Nehmen Sie nur die Special Olympics…

… das weltweit größte Sportereignis für Menschen mit Handicap, das Berlin im Jahr 2023 austrägt…
Das wird einen Effekt auf die Barrierefreiheit in der Stadt haben und die Gesellschaft beeinflussen. Davon muss es mehr geben. Ob es nun Olympische Spiele oder andere Großereignisse sind.

Was ist Ihr konkreter Plan für Olympische Spiele in Berlin?
Wir brauchen eine Vision und ein Stadtentwicklungsprogramm, das uns aus dieser bloßen Landesperspektive herausholt und die Stadt auf ein Ziel orientiert. Was wir nicht tun werden, ist eine einzelne Städtebewerbung Berlins, möglichst noch in Konkurrenz zu Nordrhein-Westfalen oder Hamburg. Wir haben nur mit einer nationalen Bewerbung eine Chance, hinter der die Bundesregierung steht. Wenn die sich nicht dazu durchringt, wird Berlin nicht aktiv werden. Und leider sehe ich diese Vision bei der Regierung derzeit nicht.

Tatsächlich hat Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Bewerbung Berlins für 2036 schon mit Verweis abgelehnt, man könne nicht 100 Jahre Nazi-Spiele feiern.
Wenn man mit so einer Haltung herangeht, kann man das gleich vergessen. Aber man kann es ja auch genau anders angehen. 100 Jahre nach dem größten Missbrauch einer solchen Veranstaltung durch die Nationalsozialisten ist Deutschland ein komplett anderes Land mit einer stabilen Demokratie – weltoffen, tolerant, bunt, vielfältig. Das zeigen wir der Welt. Sie brauchen für eine erfolgreiche Bewerbung ja eine Geschichte, die sie erzählen können, ein Narrativ.

Wäre es nicht vielleicht trotzdem einfacher, 2032 anzugehen?
Mir ist es egal, wann es soweit ist: 2032, 2036 oder wann auch immer. Einfach wird es nie. Ich möchte aber nicht, dass sportliche Großveranstaltungen irgendwann nur noch an autokratisch geführte Länder vergeben werden, weil es dort vermeintlich einfacher ist, sie zu realisieren.

Herr Geisel, ein näherliegendes Projekt beschäftigt Sie wahrscheinlich noch mehr: der geplante Stadionneubau von Hertha BSC. Der Bundesligist will spätestens 2025 aus dem Olympiastadion in ein eigenes reines Fußballstadion ziehen und dieses komplett privat finanzieren. Wie laufen die Gespräche mit dem Verein?
Wir sind nach wir vor in Gesprächen miteinander. Nachdem die Wohnungsbaugenossenschaft ihre Flächen nicht zur Verfügung stellt, ist der Standort Olympiapark allerdings hinfällig geworden.

Und diese Absage ist wirklich definitiv?
Ja.
Hertha fühlt sich von Ihnen hingehalten, weil keine Einigung für den Neubau zustande kommt.
Wir halten niemanden hin. Die Dinge brauchen Zeit, weil sie komplex sind. Für Hertha genauso wie für uns. Der Neubau im Olympiapark ist am fehlenden Baugrund gescheitert; die Lärmschutzverordnung wäre das nächste Problem gewesen, das war auch noch nicht geklärt. Und bei anderen Standorten auf dem Gelände wäre auch der Denkmalschutz verstärkt hinzugekommen.

Beim Maifeld zum Beispiel.
Diesen Standort ins Spiel zu bringen, ist absurd. Es steht vollständig unter Denkmalschutz.

Daran könnte man ja vielleicht arbeiten, oder?
Das ist nicht so einfach. Der Olympiapark zeichnet sich durch ein Gesamtbild mit einer entsprechenden Geschichte aus, das wir nicht der Beliebigkeit preisgeben können. Es wird bei anderen Standorten auf dem Gelände nur noch schwieriger.

Platz wird frei. Noch wird Tegel als Flughafen genutzt.
Platz wird frei. Noch wird Tegel als Flughafen genutzt.

© Ralf Hirschberger/dpa

Der Olympiapark scheidet also als Standort für ein neues Stadion komplett aus?
Ja. Wir können jetzt gerne noch mehrere Jahre ergebnislos über den Olympiapark reden, aber das bringt uns nicht weiter. Deshalb habe ich ja auch einen anderen Vorschlag unterbreitet.

Sie meinen Tegel. Bei Hertha kam das gar nicht gut an.
Demokratie lebt davon, dass man Vorschläge macht und Lösungen findet. Wenn Sie ein Stadion für 50 000 Zuschauer bauen wollen, mit allen dazugehörigen Auflagen, haben Sie dafür in Berlin keine freie Fläche, die ohne Konflikt ist. Aber die Fläche in Tegel hätte viele Vorteile, unter anderem, dass sie gut ans Bahnnetz angeschlossen werden könnte. Nach jetzigen Planungen für Tegel ist diese Fläche als Grünfläche vorgesehen und auch da gibt es politische Widerstände. Wenn Hertha und andere Tegel nicht wollen, dann wird es knapp mit freien Flächen, auf denen man ein Fußballstadion bauen kann.

Also geht es doch um eine Sanierung des Olympiastadions?
Das wäre meine Lieblingsvariante. Ich würde gerne mit Hertha darüber reden, wie wir das Olympiastadion noch schöner und besser gestalten könnten.

Aber die Laufbahn wollen und können Sie aus Kostengründen nicht ausbauen.
Wir haben entschieden, dass das Stadion in seiner ursprünglichen Gestaltung mit blauer Laufbahn bleibt.

Genau darum geht es Hertha aber: um ein reines Fußballstadion ohne Laufbahn.
Da kann ich Hertha auch verstehen. Es ist der letzte Bundesligist, der noch in einem Stadion mit Laufbahn spielt. Wenn Sie da in der letzten Reihe oben in der Kurve sitzen, sind sie 120 Meter weit weg vom Ball. Klar ist auch: Je voller das Olympiastadion ist, desto besser ist die Atmosphäre. Wenn Hertha als Hauptmieter Probleme mit dem Stadion hat, müssen wir die Gespräche weiterführen.

Das klingt nicht nach einer schnellen Einigung. Was machen Sie, wenn der Verein ernst macht und doch noch die Option wählt, das Stadion in Brandenburg hochzuziehen?
Das würde ich sehr bedauern. Ich finde, Hertha ist ein Berliner Verein und gehört nach Berlin. Wir brauchen eine Lösung, die Hertha nutzt, die aber auch Berlin nutzt.

Könnte es Ihre Meinung beeinflussen, dass der Klub jetzt mit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst ganz andere Möglichkeiten hat?
Ich habe den Eindruck, dass er nicht wegen des Stadionneubaus eingestiegen ist, sondern um die Mannschaft voranzubringen. Das finde ich gut.

Lesen Sie hier die Reaktion von Hertha BSC auf die Aussagen Geisels.

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