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Boris Herrmann ist bald schon wieder ganz allein auf dem Wasser.

© promo

Segler Boris Herrmann testet für das Vendée Globe: Einmal Arktis und zurück

Greta Thunberg brachte er sicher über den Atlantik. Jetzt startet Segler Boris Herrmann beim einzigen Vorbereitungsrennen zum legendären Vendée Globe.

Erst passierte lange nichts, und dann kommt mal wieder alles auf einmal. So ergeht es derzeit den 21 Soloseglern, die sich nach der Lockerung der Corona-Bestimmungen in Frankreich auf die einzige Testregatta vorbereiten, die ihnen vor dem Vendée Globe Race im Herbst geblieben ist. Auch Boris Herrmann durchkreuzte die Pandemie eine penible Jahresplanung und fesselte ihn wochenlang an sein Hamburger Zuhause, um ihm jetzt nur umso mehr abzuverlangen.

Vor wenigen Tagen erst ist der 39-Jährige Vater geworden, und schon hat er sein Training wieder aufgenommen an der französischen Atlantikküste, um seine im Winter generalüberholte Rennyacht neu kennenzulernen. An ihrem Bug prangt ein neuer Name. „Seaexplorer“ heißt die 60 Fuß lange Imoca-Yacht, seit der Hamburger Logistikkonzern Kühne & Nagel sich ein Herz gefasst und zur Unterstützung des ersten deutschen Vendée-Teilnehmers entschlossen hat.

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Eigentlich sollte die Partnerschaft zwischen dem Speditionsunternehmen und dem durch die Atlantik-Überquerung mit Umweltaktivistin Greta Thunberg weltberühmt gewordenen Segler im März mit Pomp verkündet werden, doch die Pressekonferenz musste ebenso abgesagt werden wie die für diesen Sommer angesetzten Transatlantik-Rennen, die ein Langstreckentest für die stark angewachsene Imoca-Flotte sein sollten.

Als Ersatz geht es am Samstag (4. Juli) auf eine ganz besondere Tour, die keiner der dafür antretenden Skipper kennt. Vom französischen Les Sables D‘Olonne aus segelt das Teilnehmerfeld nach Norden bis Island, wo es einen Wegpunkt umrundet, von dort geht es zu den Azoren und wieder zum Ausgangspunkt zurück.

Gemessen an den Marathonstrecken, die in dieser Klasse für gewöhnlich zurückgelegt werden, sind diese 3500 Meilen relativ kurz. Aber sie haben es in sich. Führen sie doch direkt hinein in die Sturmrouten des Nordatlantiks und wieder hinaus in die Schwachwindzone des Azorenhochs.

Boris Herrmann geht wieder auf große Fahrt.
Boris Herrmann geht wieder auf große Fahrt.

© dpa

Boris Herrmann wird, nachdem ihm zwei Monate Segelpraxis fehlen, reichlich Gelegenheit bekommen, alle möglichen Segelkonfigurationen zu optimieren und sein navigatorisches Geschick zu erproben. Was äußerst kraftraubend werden dürfte. Auch für den Kopf.

Um die Konkurrenzfähigkeit seines Bootes muss er sich weniger Gedanken machen, wie ein erstes kurzes Training am vergangenen Wochenende vor Port-la-Foret ergab. Der Umbau und die Ausstattung der bereits fünf Jahre alten „Malizia“ aka „Seaexplorer“ mit neuen Flügelschwertern bringen den erhofften Effekt.

Auf Videoaufnahmen vom Training ist deutlich zu erkennen, wie die neuen Foils das acht Tonnen schwere Gefährt weit aus dem Wasser heben. Herrmann berichtet von Spitzengeschwindigkeiten um 31 Knoten. Und noch mehr beeindruckte ih

n das hohe Tempo gegen den Wind.

Die Atlantik-Überquerung mit Greta Thunberg hat Boris Herrmann auch sportlich geholfen

Dieser Schritt kam gerade rechtzeitig. Lange hatte sich Boris Herrmann um einen Sponsor bemüht, der ihm als Nicht-Franzosen in einem französisch dominierten Sport den nötigen Refit ermöglichen würde. Sicher habe die Greta-Reise vergangenen Sommer geholfen, sagte Herrmann vor Wochen gegenüber dem Tagesspiegel, aus der „Nische des Nur-Segelns“ herauszutreten.

Dennoch war es 2018 durchaus ein riskanter Entschluss, das größte sportliche Ziel seiner Karriere mit dem Thema ,Nachhaltigkeit‘ zu verbinden. In Frankreich stehen Banken, Nahrungsmittel- und Versicherungskonzerne hinter den Sportlern. Aber es ändert sich was.

„Ein Segler, der einsam fernab der Öffentlichkeit um die Welt segelt“, sagt Herrmann, „berührt interessante Aspekte, aber für eine Firma ist es leichter, ihm ihre Unterschrift zu geben, wenn sich damit über das finanzielle Engagement hinaus ein gesellschaftliches Thema verbindet.“

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So hat sich die Imoca-Klasse als Verband mittlerweile den Klimazielen der Unesco verschrieben. Sechs Teams sind mit mobilen Laboren ausgerüstet, um Klimadaten zu sammeln an Orten, an die Forschungsschiffe normalerweise nicht gelangen.

Für Umweltaktivisten, so fürchtet Herrmann, mag seine Partnerschaft mit einem Speditionskonzern trotzdem anrüchig erscheinen. Wie könne sich einer, der seine sportliche Zukunft mit dem Ziel einer CO2-Wende verknüpft, jetzt einem großen Akteur in Sachen CO2-Ausstoß andienen? Andererseits, sagt er, werde es Schifffahrt und Seehandel immer geben, und das Seaexplorer-Projekt helfe der Industrie, ihre Emissionen zu reduzieren.

Die Partnerschaft hat den Deutschen vor dem Abgleiten in die sportliche Chancenlosigkeit bewahrt. Beim letzten Leistungsvergleich der Imoca-Elite im Herbst schaffte es Herrmann beim Transat Jacques Vabres nur auf einen 12. Rang, nachdem er in den Vorjahren mindestens unter die ersten sieben gekommen war.

Vor dem Rennen stehen noch die inzwischen im Sport obligatorischen Corona-Tests

Seine Foils entsprachen nicht mehr dem neuesten Stand der sich rasant entwickelnden „Flugtechnik“. 10.000 Arbeitsstunden hat das Malizia-Team im Winter in ein neues System gesteckt, neue Schwertkästen in den Rumpf gesetzt und die Hülle an belasteten Stellen mit einem schlagfesten Schaumkern verstärkt. Die Gefahr ist groß, dass die dünnwandigen Imoca-Rümpfe splittern, wenn sie aus der Höhe, auf die die Foils sie bringen, in Wellentäler abstürzen.

Für Frankreich ist der Start zum Arctic Race in Les Sables D’Olonne das erste sportliche Großereignis nach dem Corona-Shutdown. Sämtliche Segler werden am Freitag noch einmal auf das Virus getestet, bevor sie sich an Bord der startbereiten Schiffe in eine 24-stündige Isolation begeben. Fällt das Ergebnis am Samstagmittag negativ aus, dürfen sie sich auf die Reise machen. Und Boris Herrmann wird erst wieder lernen müssen, alleine klarzukommen. 

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