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Philipp Buhl, 26, startet an diesem Montag mit seinem Laser-Boot in die Vorrunde (ab 18 Uhr). Er lebt in Kiel und ist Sportsoldat.

© dpa

Segeln bei den Olympischen Spielen: Philipp Buhl: „Ich muss mich selbst austricksen“

Segler Philipp Buhl gilt als Medaillenkandidat. Hier erzählt er, wie er seinen Gedankenkanal trainiert, warum er nicht reich werden will und woher seine Abneigung gegen Anzüge kommt.

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Herr Buhl, der deutsche Cheftrainer David Howlett sagt, das deutsche Segeln brauche einen neuen Jochen Schümann. Er hat Sie als Kandidaten genannt. Wie formt er Sie zum neuen deutschen Segelstar?

Er ist eher im Hintergrund aktiv. Er bedrängt einen nicht permanent, man muss ihn fragen, aber dann steht er auch parat. Er ist eine Art allwissendes Buch. Und er hat unheimlich viele Kontakte.

Und Sie haben viele Fragen?

In manchen Bereichen. Zum Beispiel habe ich ihn gefragt, was ich tun kann, um meine Startquote zu verbessern. Er ist auch unheimlich gut, was technische Sachen betrifft. Durch diese Arbeit im Finn Dinghy mit Ben Ainslee hat er unglaublich viel Know-how entwickelt.

Sie segeln seit Jahren in der Weltspitze mit, 2015 waren Sie WM-Zweiter im Laser. In Rio traut Howlett Ihnen nun eine Olympiamedaille zu. Fühlen Sie sich bereit?

Ich bin nicht der absolute Dominator, aber den gibt es bei uns auch nicht. Ich sehe neun Leute, die Medaillenchancen haben. Vier bis sechs davon können aus meiner Sicht Gold gewinnen. Ich zähle mich in beide Kategorien. Aber es ist Olympia, das ist ein spezielles Revier. Die letzten Wettbewerbe wurden immer von anderen Leuten gewonnen. Die Leistungsdichte ist groß, Kleinigkeiten entscheiden über Sieg oder Platz zehn.

Was war die Kleinigkeit, die Sie bei der diesjährigen WM eine Medaille gekostet hat? In Mexiko wurden Sie Achter.

Das war der Kopf. Segeltechnisch war es gut, auch die Starts haben gepasst. Aber ich war manchmal zu nervös, habe unnötige Strafkringel bekommen, ich habe Gegner aus Unachtsamkeit berührt. Der Kopf wird hier in Rio der Schlüssel. Ich muss es schaffen, diesen ganzen Druck und die Nervosität in dieser riesigen Blase Olympia zu drosseln. Dann kann ich mein Potenzial entfalten.

Wie wollen Sie das schaffen?

Ich muss mich selbst austricksen. Eine Variante ist, so zu denken: „Okay, ich bin ohne Ende nervös. Das ist nicht schlimm. Den anderen geht es doch genauso.“ Wenn man sich das sagt und den anderen in die Augen guckt, dann sieht man diese Nervosität auch. Ich sage mir ständig so kleine Sprüche vor, um die Ruhe zu finden, die nötig ist. Ich darf nicht überdrehen, während des Segelns darf ich nur ans Segeln denken, wie im Training. Und nicht: „Oh, das ist jetzt Olympia!“

Das ist nicht so leicht. Es sind schließlich Ihre ersten Olympischen Spiele.

Richtig. Und bei Olympia weißt du: Es ist die einzige Chance in den nächsten vier Jahren. Wenn du da im Kopf blockiert bist, hast du nur noch die Hälfte des Gedankenkanals fürs Segeln übrig. Wer immer es schafft, den Gedankenkanal am freiesten zu bekommen, der hat die größten Chancen.

Haben Sie Ihren Gedankenkanal speziell trainiert?

Ich hoffe, dass mir die Erfahrungen von 2015 helfen. Da habe ich viele Medaillen gewonnen, wenn auch bei niederwertigeren Regatten. Aber ich habe mir bewiesen: Ich kann so etwas nach Hause fahren, wenn ich die Regatta anführe. Vorher war es so, dass ich als Zweiter keinerlei Probleme hatte. Aber wenn ich vorn lag, dann wollte ich plötzlich nur noch meinen Vorsprung ins Ziel retten.

Und das klappt nicht?

Nein. Verteidigen ist Mist. Eine Katastrophe, mental gesehen. Ich muss weiter angreifen und versuchen, meinen Vorsprung sogar noch zu vergrößern. Ich muss mir sagen: Das ist jetzt meine Chance. Und diesen Verteidigungsgedanken ausblenden, diese Hosenscheißerei auf dem Wasser. Das ist die Kunst.

Mit einer Olympiamedaille könnten Sie nicht nur das deutsche Segeln voranbringen. Sie könnten auch Ihre Karriere vorantreiben, sich für den America’s Cup empfehlen. Dort wird das große Geld verdient.

Ich habe kein Interesse daran, reich zu werden. Klar, der America’s Cup ist ein langfristiger Traum, er ist der technische Gipfel des Segelns. Wenn sich 2017 durch eine Olympiamedaille die Chance ergibt, würde ich da auch mal reinspringen. Aber danach würde ich wieder zurückgehen ins olympische Segeln. Das reizt mich mehr, als von einem Multimilliardär die geilste Karre hingestellt zu bekommen und alle drei Jahre so eine silberne Kanne zu gewinnen. Diese primitive Bootsklasse Laser hat einen krassen Reiz für mich. Das reine, pure Segeln, gleiche Boote für alle, Kampf um Millimeter, am Ende entscheidet der beste Athlet.

Sie segeln schon, seit Sie ein Kind sind. Viele steigen irgendwann zu Teenagerzeiten aus, weil sie das Leben an Land leben und die Partys mitfeiern wollen. Haben Sie diese Erlebnisse nie vermisst?

Klar tauchte all das irgendwann in der Schule auf. Die fingen alle an zu rauchen, zu saufen. Mit 16 hatte ich dann auch eine Freundin, aber der Rest hat mich nicht interessiert. Über diese Phase bin ich sozusagen hinweggeflogen.

Und kommt jetzt die späte Reue?

Nein. Früher hat es mir einfach nur Spaß gemacht, auf dem Wasser zu sein. Aber seit ein paar Jahren bin ich erwachsen genug zu sehen, was die Alternative für mich wäre. Wonach alle Jugendlichen streben, ist drei Jahre Party, Freunde, vielleicht Studium und dann ein Bürojob. Ich habe irgendwann gecheckt, dass das, was ich machen darf, ein absolutes Privileg ist. Ich muss nicht hinterm PC sitzen, ich darf in der Natur sein. Dafür bin ich dankbar, vor allem meinem Papa, der mir das ermöglicht hat.

Ihr Vater war auch Segler?

Ja, aber nie professionell. Mein Papa hat mir gesagt: „Segel erst mal! Wenn du eine Klasse wiederholen musst, dann wiederholst du die eben.“ Das muss man sich mal vorstellen! Wer sagt das denn heute noch?

So einen Vater wünscht sich jeder.

Ich finde, das wird von Eltern und Schule in Deutschland falsch kommuniziert. Jeder Schüler hört: Du musst schnell die Schule fertigbringen. Möglichst einen guten Abschluss machen, danach freiwilliges Jahr oder Bundeswehr, sofort Studium und am besten mit 22 arbeiten. Man sollte den jungen Leuten in dieser schwierigen Phase ein bisschen mehr mitteilen. Ihnen sagen: Wenn du mit der Arbeit drei, vier Jahre später anfängst, ist es auch egal. Schau erst mal, ob du deinen Traum zum Beispiel im Sport verwirklichen kannst. Wenn nicht, kannst du noch mit 30 anfangen zu arbeiten.

Vielleicht erscheint den meisten der Büroalltag trotzdem attraktiver. Segeln kann ein wahnsinnig harter Job sein.

Natürlich, manchmal sind wir Segler auch bei zehn Grad oder weniger auf dem Wasser und frieren uns halb die Finger ab. Das ist alles andere als spaßig. Aber es sind Erlebnisse. Wenn ich fast erfroren in die Dusche gehe und meine Zehen so kribbeln, dass ich kaum noch stehen kann, das bereichert mein Leben so viel mehr als dieser stupide Arbeitsalltag im Büro. Aus dem ist jetzt auch meine Schwester ausgebrochen. Die macht eine Weltreise mit dem Fahrrad.

Die Buhls sind fürs Büro nicht gemacht?

Wenn ich am Flughafen bin, sehe ich immer viele Anzugträger. Das soll nicht abwertend klingen, manche müssen in ihrem Job eben Anzüge tragen. Aber dann frage ich mich immer, was diesen Menschen dazu getrieben hat, zu dem zu werden, der er jetzt ist. Ich stelle mir das so vor: Man fängt an, sich im Anzug in der Firma hochzuarbeiten, von morgens bis abends, eine Stunde Fitnessstudio, abends noch einen Film, und dann war’s das. Das macht man, bis man 60 ist. Vielen macht das sicher sogar Spaß. Aber mir bringt das nichts. Ich bin froh, wenn ich in der Natur bin, die finde ich immer noch absolut grandios.

Aber wenn es nichts wird mit dem Segeln, wartet der Anzug auch auf Sie. Ihr Studium in International Management pausiert nur.

Klar, wenn es mit dem Segeln nicht weitergeht, würde ich mein Studium wieder aufnehmen. Wenn ich mich da reinhänge, kann ich das auch mit 35 immer noch zügig abarbeiten. Auch wenn ich dann der Älteste im Studiengang wäre.

Also: Je besser Sie segeln, desto länger vermeiden Sie den Anzug.

Genau. Ich trage ja auch mal ab und zu einen Anzug, so ist das nicht. Aber ich will das nicht jeden Tag machen müssen.

Das Gespräch führten Christian Hönicke und Kai Müller.

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