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Außer sich. Sebastian Vettel fährt nach der Zeitstrafe in Kanada aus seiner Haut.

© Christophe Simon/AFP

Sebastian Vettel und Co.: Warum die Fahrer in der Formel 1 immer wieder ausrasten

Ein einziger Ausrutscher ist in der Formel 1 oft nicht wiedergutzumachen – und kann noch schlimmere Konsequenzen haben als nur ein verlorenes Rennen.

Emotionen gehören nun mal dazu. Das sieht Sebastian Vettel auch zwei Wochen nach seiner Strafe beim Grand Prix in Kanada noch so: „Formel 1 ist Leidenschaft, und Leidenschaft ist ein elementarer Teil vom Sport“, sagt der Ferrari-Pilot. An diesem Sonntag startet er beim Rennen im französischen Le Castellet nach mehreren Patzern im Qualifying nur vom enttäuschenden siebten Platz. Die erste Startreihe gehört den Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas.

In Montreal hatte Vettel aus Wut über seine Zeitstrafe vor der Siegerehrung die Positionsschilder ausgetauscht. Beifall bekommt er von Helmut Marko: „Die meisten Piloten heute reden doch nur noch ihren Rennställen nach dem Mund“, findet der Red-Bull-Chef. „Opportunismus soll vorbildlich sein? Bestimmt nicht! Ich will Fahrer haben, die fest zu ihrer Meinung stehen.“ Kritik von außen an solchen Emotionsausbrüchen wird hingegen schnell laut. Dabei gehören die schon immer zur Formel 1, kamen früher vielleicht sogar häufiger vor als heute – weil die Fahrer damals noch weniger auf ihre Außenwirkung getrimmt waren.

Nur war früher nicht überall eine Kamera dabei. Und dass der Boxenfunk in die TV-Übertragungen eingeblendet wird, ist ja auch recht neu. Wer in den legendären 80er Jahren, in Zeiten von Senna, Prost, Mansell oder Piquet nach kritischen Situationen und Entscheidungen bei den Teams nachfragte, was denn da über den Funk so geredet wurde, bekam Erstaunliches zu hören. Selbst zu Handgreiflichkeiten kam es, von Verbalattacken ganz zu schweigen. Heute bekommen die Zuschauer davon nicht allzu viel mit. Was sich im Mittel- und Hinterfeld abspielt, steht eben nicht so im Blickpunkt und wird von der TV-Regie eher ignoriert.

Insider haben im Gegensatz zu den Kritikern von außen meist sehr viel Verständnis für solche Ausbrüche. Mercedes-Sportchef Toto Wolff etwa meinte in Montreal, er hätte an Vettels Stelle die Positionsschilder nicht nur umgestellt, „sondern aus Wut komplett umgetreten“. Und auch Fia-Präsident Jean Todt versteht, was sich bei den Fahrern anstaut und irgendwann ein Ventil braucht: „Man muss immer die Emotionen und in solchen Fällen auch den Schmerz im Cockpit berücksichtigen und in Relation setzen“, sagt Todt. „Ich habe das in meiner Zeit bei Ferrari mit Michael Schumacher auch öfter erlebt. Solche Aktionen machen die Fahrer menschlich.“

Piloten in der Formel 1 in Ausnahmesituation

Gegenüber anderen Spitzensportlern befinden sich Formel-1-Piloten in einer Ausnahmesituation. Kaum eine andere Sportart erfordert es, über 90 Minuten lang ohne die geringste Pause volle Konzentration aufzubringen, ohne die Möglichkeit zur mentalen Entspannung oder Stressverarbeitung. Ein einziger Ausrutscher ist oft nicht wiedergutzumachen – und kann noch schlimmere Konsequenzen haben als nur ein verlorenes Rennen. Ein Tennisspieler könne leichte Fehler fast immer durch Traumbälle ausgleichen, erklären Fahrer wie Nico Hülkenberg oder Daniel Ricciardo, die selbst gerne zum Schläger greifen.

Und auch im Fußball ist nicht jeder Fehlpass gleich ein Drama – außerdem gibt es in der Halbzeit und auch auf dem Spielfeld immer mal ein paar Momente zum Verschnaufen. Als Fußballstar Neymar, ein guter Kumpel von Lewis Hamilton, beim Rennen in Barcelona zu Gast war, meinte auch er, dass die Formel-1-Piloten in vielerlei Hinsicht zumindest mental noch härter gefordert seien als die Fußballprofis. Ein kleines Detail, das ihm auffiel: „Dass die Fahrer in der Startaufstellung, so kurz vor einem ganz entscheidenden Moment, noch Interviews geben. Das wäre im Fußball undenkbar, darauf würde sich von uns niemand einlassen.“

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