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Ganz schön voll hier. Auch auswärts ist im Block des 1. FC Union in der Bundesliga kaum noch Platz.

© Federico Gambarini/dpa

Schwierige Fansituation: Der 1. FC Union spürt die Nebenwirkungen des Aufstiegs

Die Fanszene des 1. FC Union gilt als cool und vorbildlich. Doch der Aufstieg in die Bundesliga und die vielen neuen Fans führen auch zu Problemen.

Seitdem der 1. FC Union in der Bundesliga mitmischt, ist das Interesse am Verein riesig. Für die vielen alten Fans des Klubs gilt das ohnehin, auch für viele andere Berliner, die nun schauen, was so alles passiert in Köpenick. Aber auch außerhalb der Hauptstadt wird auf Union geschaut – weil es eben doch kein so gewöhnlicher Erstligist ist.

Die Atmosphäre im Stadion an der Alten Försterei wird allerorts gelobt, auch die Fannähe des Klubs, die vor allem von Präsident Dirk Zingler gelebt wird. Und die Fans selbst gelten in ganz Fußball-Deutschland als cool oder sogar vorbildlich. Aber sind sie das wirklich? Und wie sieht sie überhaupt genau aus, die Fanszene des neuen Bundesligisten?

Viele haben an der Coolheit der Fanszene durch verschiedene Vorfälle in dieser Saison so ihre Zweifel bekommen, auch wenn die Fälle bislang noch nicht vollständig öffentlich aufgeklärt worden sind. Vor dem Heimspiel gegen RB Leipzig soll ein Reporter des RBB mehrmals von Unioner Fans angegriffen worden sein. So soll eine Person dem Reporter das Handy entrissen und gemachte Videoaufnahmen gelöscht haben, berichtete der RBB. Eine andere Person soll dem Reporter ins Gesicht geschlagen haben.

Beim 3:1-Heimsieg gegen Borussia Dortmund sorgten dann Ultras des 1. FC Union für Unruhe, weil sie sich nach einer Choreografie auf dem Dach des Stadions befanden – und zwar über dem Gästefanblock. Dortmunder Anhänger berichteten von Panik in ihrem Bereich, es kam zu Ausschreitungen im Gästeblock. Und auch beim Drachenbootrennen der Fans leisteten sich einzelne Anhänger Verfehlungen. So sollen Helfer und Rettungsschwimmer durch Pyrotechnik an ihrer Arbeit gehindert worden sein. Die Polizei hat Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung aufgenommen.

Das Interesse an Union haben diese Vorfälle bisher nicht gemindert. Klar ist, dass durch den Aufstieg die Nachfrage nach Karten für ein Spiel in der Alten Försterei massiv gestiegen ist. Für Union interessieren sich jetzt eben nicht nur die, die schon seit Jahrzehnten in die Wuhlheide pilgern, in der Saison 2008/09 am Stadion mitgebaut und Ende 2011 eine Stadionaktie im Wert von 500 Euro erworben haben. Die Bundesligazugehörigkeit hat den Verein enorm wachsen lassen.

9000 Neueintritte seit dem Bundesliga-Aufstieg

Seit dem entscheidenden Relegationsrückspiel gegen den VfB Stuttgart am 27. Mai 2019 gab es mehr als 9000 Neueintritte. Zum 30. September ist die Mitgliederzahl auf 32.374 angestiegen. Damit hat Union fast schon Hertha BSC eingeholt. Der Lokalrivale aus dem Westen hatte Mitte August 36.900 Mitglieder.

Für die Anhänger führt es allerdings auch zu Problemen. Man muss Mitglied sein, um überhaupt ein Ticket zu bekommen, und selbst das ist dann noch nicht garantiert. Denn seit dieser Saison werden die Karten für die Heimspiele verlost. Sicher haben ihre Eintrittskarte nur die 11.500 Dauerkarteninhaber. Die anderen müssen darauf hoffen, zu den 5500 glücklichen zu gehören, die gewinnen. Die restlichen 3000 Heimtickets sind für Vips, Sponsoren, Mitarbeiter oder Beobachter reserviert.

Wer neu ins Stadion kommt, darf sich auf etwas gefasst machen. Egal, wann und wie der Neu-Unioner an sein Ticket gekommen ist, beginnt für ihn gleich eine Art Benimmschule. Es sind nicht nur ungeschriebene Gesetze, an die sich die Zuschauer halten müssen, wenn sie sich nicht von erfahrenen Nebenmännern und -frauen einen verbalen Rüffel einfangen wollen. Wer bei Union dazugehören will, pfeift die Mannschaft nicht aus, macht keinen einzelnen Spieler zum Sündenbock und verlässt auch nie das Stadion vor dem Abpfiff. So jedenfalls stellen sich die alteingesessenen Fans das vor. Geprägt wurden die Grundsätze von Daniel „Boone“ Blauschmidt Anfang der 2000er Jahre. Sie werden deshalb auch als „Boone’sche Gesetze“ bezeichnet.

Auf gutes Benehmen. Die Benimmregeln in der Fanszene des 1. FC Union verbieten es, die Mannschaft oder einzelne Spieler auszupfeifen.
Auf gutes Benehmen. Die Benimmregeln in der Fanszene des 1. FC Union verbieten es, die Mannschaft oder einzelne Spieler auszupfeifen.

© Andreas Gora/dpa

Dass ein Spieler verbal angegangen wird, ist eine Ausnahme beim 1. FC Union. „Als ich zu Union gekommen bin, habe ich gehört, dass unsere Fans nie pfeifen – selbst bei einem 0:7 nicht. Voraussetzung ist aber, dass wir Spieler die Grundtugenden zeigen“, sagt Kapitän Christopher Trimmel. „Es muss zu sehen sein, dass wir laufen und beißen, dass wir wollen, auch wenn es nicht funktioniert. Es gab auch Spiele, in denen wir einfach schlecht waren. Dann haben die Fans schon gefragt, was los war.“

Die Einstellung der Unioner beeindruckt auch gegnerische Trainer, Spieler und Anhänger. Für die Stimmung im Stadion ist nicht nur die führende Ultra- Gruppierung Wuhlesyndikat verantwortlich, die 2002 gegründet wurde. Auch HammerHearts (2004) und Teen Spirit Köpenick (seit 2006 Nachwuchsabteilung des Wuhlesyndikats) gelten als Anheizer. Trotzdem gerät manches durcheinander, bei Heimspielen verwischen die Grenzen, weil auf drei Stehplatztribünen gesungen wird. Dass die Capos, die Vorsänger, seit dieser Saison durch eine neue Lautsprecheranlage in vielen Bereichen des Stadions zu hören sind, soll die Anfeuerungen vereinheitlichen, gefällt aber längst nicht allen.

So ist es auch mit einigen anderen gravierenden Entscheidungen. Zum 15-minütigen Schweigeprotest gegen Rasenballsport Leipzig am ersten Spieltag wollten sich nicht alle durchringen. Das wird auf Fanklubtagungen besprochen, an denen führende Vertreter der mehr als 60 eingetragenen Fanklubs teilnehmen. Insgesamt sind rund 2800 Anhänger so organisiert. Auch Präsident Dirk Zingler soll sich regelmäßig blicken lassen.

Rechtes Problem wird selten thematisiert

Das Problem rechter Gesinnung wird dort in der Regel selten thematisiert, obwohl es sie gibt. In sozialen Netzwerken wird von Einzelpersonen berichtet, die diesbezüglich wegen ihrer Kleidung auffallen. Die regelmäßigen Strafen für das Abbrennen von Pyrotechnik wird der Klub sicher nicht gern zahlen, aber seit Jahren gehört der Verein zu den Befürwortern einer Legalisierung von Pyrotechnik.

Die Beziehung zwischen Vereinsspitze und aktiver Fanszene ist vermutlich ohnehin enger als bei anderen Vereinen. Denn im Prinzip sitzen auch in Führungsgremien etliche Fans, selbst wenn diese Anzüge tragen. Im Präsidium sind das neben Zingler die Vorstandmitglieder Jörg Hinze und Stadionarchitekt Dirk Thieme, der als Fanvertreter bis nach oben aufgestiegen ist. Mit Holger Keye gehört sogar ein Alt-Ultra zum Aufsichtsrat der Stadion-Betriebs AG. Dort hat auch Anhängerin Dagmar Wildebrandt einen Sitz.

Der Verein ist in der glücklichen Lage, die Verantwortung auf viele Schultern außerhalb der Fanbetreuung verteilen zu können. Damit werden aktive Unioner in die Arbeit eingebunden. Die Fan- und Mitgliederabteilung kümmert sich seit ihrer Gründung 2004 um Faninteressen innerhalb des Vereins. Ehrenamtlich organisiert der Supporter-Club „Eiserner V.I.R.U.S.“ seit Jahren Sonderzüge. Der Fanclub Alt-Unioner organisiert beispielsweise schon immer das Weihnachtssingen, auch wenn der Verein bei inzwischen 28 500 Besuchern die Planung professionell begleitet.

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