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Zlatan Ibrahimovic 2001 in Shorts von Malmö FF.

© imago/Bildbyran

Schwedens EM-Star auf der Spur: Zlatan Ibrahimovic, Ghetto-Superstar

Schwedens Ibrahimovic ist ein Star mit unerschütterlichem Ego. Geprägt hat ihn die Jugend in Malmös Problemviertel Rosengard. Doch werden die Kinder von heute in Zlatans Fußstapfen treten?

Zlatan Ibrahimovic hat große Fußstapfen hinterlassen in Malmö. Schuhgröße 47, eingelassen in sternförmigen Beton, daneben ein Autogramm. Die Füße zeigen auf den „Zlatancourt“, und damit trotz des Namens niemand daran zweifelt, wer diesen Bolzplatz spendiert hat, prangt an der Käfigwand eine schwarze Silhouette des Stürmerstars, überlebensgroß. Auf einer Plakette steht: „Hier ist mein Herz. Hier ist meine Geschichte. Hier ist mein Spiel. Bring’ es weiter. Zlatan.“

Ivica Kurtovic kennt die Geschichte, er hat Ibrahimovic trainiert. Er liest die Plakette, zuckt die Schultern und sagt: „Er mag es halt dramatisch.“

Um Sprüche war Zlatan Ibrahimovic nie verlegen. Der Stürmerstar hat sich schon als Jesus, als Ferrari, als Geschenk, als Gott und als den Größten nach Muhammad Ali bezeichnet. Aber das Großmaul hat auch 62 Treffer in 113 Länderspielen für Schweden erzielt und Meistertitel in vier Ländern gewonnen. Als Ibrahimovic sich zuletzt von Paris St. Germain verabschiedet hat, mit den Worten „Ich kam als König und ging als Legende“, haben die Fans ihn nicht ausgelacht. Sie haben applaudiert. Denn seine Tore sind noch weitaus wilder, schöner und verrückter als seine Sprüche.

Wie wird man wie Zlatan? So gut, so wild, so irre?

Woher kommt das Selbstvertrauen dieses Mannes? Wie wird man so? So gut, so wild, so irre? Die Plakette am Bolzplatz erklärt es den Kids der Gegend: Seid wie Zlatan! Ex-Coach Kurtovic sagt: „Er will dieser Ecke seinen Stempel aufdrücken.“

Diese Ecke war mal Zlatans Ecke. Rosengard, Malmös Problemviertel, die Heimat von Schwedens bestem Fußballer, dem drittbesten Torjäger der EM-Geschichte. Kurtovic nickt vom Käfig herüber zum Cronmans Väg 5a, wo Ibrahimovic aufgewachsen ist, unter anderem. Ein Backsteinbalkon wie viele hier, rund um den begrünten Innenhof.

Doch das ist nicht mehr seine Ecke. Auf dem „Zlatancourt“, auf dem Ibrahimovic das Kicken lernte, der nun Flutlicht und Gummiboden hat, spielt gerade niemand. „I am Muslim“ hat jemand an die Außenwand geschmiert, eine Frau in Burka schiebt einen Kinderwagen vorbei. „Das Viertel hat sich verändert“, sagt Kurtovic ganz ruhig.

Blond, blauäugig, braungebrannt, mit 56 Jahren fit wie seine Turnschuhe: Kurtovic sieht typisch schwedisch aus, aber kommt ursprünglich vom Balkan, wie viele hier, wie Ibrahimovic, den er damals trainierte. Zlatans Vater war Bosnier, die Mutter Kroatin. „Er war nicht der Talentierteste, aber er war stur. Wo andere mit dem kleinen Finger nicht hingegangen wären, hielt er den Kopf rein“, erinnert er sich an den zehnjährigen Zlatan. Dienstags trainierte der Junge bei Kurtovic und wenn er sauer auf den Trainer war, spielte er donnerstags bei einem anderen Team. Kontrolliert hat das keiner.

Wie auch? Es war schon damals chaotisch. Menschen aus 180 Ländern leben angeblich in Malmö, 30 000 Einwohner sollen es in Rosengard sein, gut 5000 davon illegal, über 60 Prozent Arbeitslose, aber wer weiß das schon so genau, wer erfasst das? Es gibt gut gemeinte Sozialstudien über das berüchtigste Ghetto des Landes, aber seit den Flüchtlingsströmen hat keiner mehr den Überblick. Malmö ist das Lampedusa Skandinaviens. Wer es über die Öresund-Brücke von Dänemark nach Schweden schafft, darf meist nicht weiter und strandet hier.

Rosengard ist eine eigene Welt. In seiner Biografie „Ich bin Zlatan“ schreibt Ibrahimovic, er sei mit 17 Jahren zum ersten Mal in Malmös Innenstadt gewesen. Rosengard? „Autos brennen da“, sagt ein Taxifahrer aus Vietnam, der skeptisch nachfragt. „Schweden wollen da nicht hin, ist nicht wie hier.“ Er deutet auf die gepflegten Gehwege im Zentrum.

Ist Ibrahimovic nur der schwedische Kevin-Prince Boateng?

Aber Rosengard ist immer noch Schweden. Ein wenig Müll auf dem Bürgersteig, aber sonst? Dreistöckige Backsteinhäuser, viel Grün, Vögel zwitschern. Wenn das ein Ghetto sein soll, sind Berlin-Wedding oder Hamburg-Altona auch welche. Ist Zlatan Ibrahimovic mit seinem Bad-Boy-Getue etwa nur der schwedische Kevin-Prince Boateng?

Fahrräder habe er geklaut, behauptet der heutige Weltstar, dazu Ladendiebstahl, Kopfnüsse, Platzverweise, ein Alkoholikervater, Jugendamt. Schwedische Eltern hätten Unterschriften gesammelt, damit er das Jugendteam verlässt. „Ich war der harte Typ aus Rosengard. Ich war anders. Das wurde meine Identität“, schreibt er in „Ich bin Zlatan“.

Öre wem Öre gebührt. Ibrahimovic hat seinen alten Bolzplatz in Rosengard aufmotzen lassen. Und ihn ganz uneitel „Zlatancourt“ genannt.
Öre wem Öre gebührt. Ibrahimovic hat seinen alten Bolzplatz in Rosengard aufmotzen lassen. Und ihn ganz uneitel „Zlatancourt“ genannt.

© AFP/Torkelsson

Auf dem Foto, das Ivica Kurtovic aus einer Mappe holt, lächelt der kleine Zlatansbraten eigentlich recht friedlich. Auch heute laufen Kinder in Fußballmontur über das Gelände des FC Rosengard, wie der Verein mittlerweile heißt. Viele arabische und afrikanische Kids, Kurtovic tätschelt ihre Köpfe, er arbeitet hier als Entwicklungsdirektor, wie er sagt. 300 Jugendliche trainieren im Klub. „Wir reden nicht über Integration, wir machen es einfach“, sagt Kurtovic. Der Verein beantragt Spielgenehmigungen für Flüchtlinge, trat die Vereinshalle monatelang als Not-Unterkunft ab.

Doch einfach ist es nicht. Kurtovic deutet auf ein Loch im Zaun. Flüchtlinge schneiden sich regelmäßig den Weg frei. Manchmal sind es Hunderte, die auf dem Kunstrasenplatz eigene Turniere abhalten und dabei illegal wetten. Oft gibt es Streit. „Ich habe sie eingeladen, mitzutrainieren, aber wenn es regnet, kommen sie nicht“, sagt Kurtovic, „sie wollen nach ihren Regeln spielen.“

Die kulturelle Kluft ist größer, als sie damals für Kurtovics kroatische Eltern war. Er hat eine Jugendtrainerin mit Kopftuch eingestellt, trotzdem dürfen nur wenige Mädchen mitspielen. Ibrahimovic und Kurtovic wollten nach dem Balkan-Krieg, der Familien zerriss, nicht mehr viel von Religion wissen. Die heutige Generation sieht das anders.

Bei Zlatans Rückkehr plötzlich ein lauter Knall

Kurtovic läuft durch das Viertel, aus dem er weggezogen ist, nachdem seine erste Tochter geboren wurde. Er hat Psychologie studiert, war Sportlehrer, aber er versteht die Jugend nicht mehr. „Früher gab es auch Stress, aber mit Fäusten, jetzt sind hier überall Waffen und Banden“, sagt er, während Teenager auf Hoverboards an ihm vorbeirollen. „Woher haben die das Geld?“, fragt er skeptisch.

Ibrahimovic wohnt längst nicht mehr in Malmö, sein Haus am Strand hat er verkauft, mit Verlust. Vor einem Monat war er am „Zlatancourt“, ein Werbedreh für Volvo. Es sprach sich herum im Viertel, Hunderte kamen. Dann ein lauter Knall, der Dreh wurde abgebrochen, Ibrahimovic floh. Er habe sich nur gefreut, Zlatan zu sehen, entschuldigte sich der Werfer des Böllers später. Auch der 34-jährige Fußballer versteht die Jugend hier nicht mehr.

Dabei steht doch ein Zlatan-Zitat über einer Bahnunterführung: „Du kannst den Jungen aus Rosengard holen, aber Rosengard nicht aus dem Jungen.“ Zlatans Vater wurde hier einst überfallen und niedergestochen. Kurtovic schaut auf das Zitat und denkt darüber nach, was Rosengard aus einem Jungen macht. „Du lernst hier, auf dich selbst aufzupassen“, sagt er schließlich. Das habe Ibrahimovic geprägt: Widerstand aushalten, aber clever sein. Er ließ sich von Trainern Taktik erklären, aber hörte nicht, wenn sie sagten, er solle abspielen und nicht alleine tricksen. So wurde aus ihm ein kämpfender Künstler. Die heutigen Jungs seien anders: „Sie vertrauen überhaupt niemandem, nicht einmal ihren Mitspielern“, sagt Kurtovic. Dann läuft er weiter.

In einer Fußgängerzone mit vielen arabischen Schildern trifft der Jugendtrainer einen Knirps im Trikot des FC Rosengard. Neun Jahre, Eltern aus Somalia, starker linker Fuß, betont Kurtovic. Er wuschelt ihm durchs Haar, fragt, wie das Spiel lief. Und, magst du Zlatan? „Ein bisschen“, sagt er schüchtern, „ich mag Neymar lieber.“ Dann läuft der Knirps weiter, allein durch die Fußgängerzone. Der Vater habe 20 Kinder, die er nichtmal alle kenne, teils in Dänemark, erklärt Kurtovic. Dem FC Rosengard sagte er, er habe kein Geld für Mitgliedsbeiträge. „Klar hast du kein Geld, wenn du 20 Kinder hast!“, sagt Kurtovic und schüttelt den Kopf. Kaum einer kümmert sich da um das einzelne Kind. Das Buch „Ich bin Zlatan“ verrät, dass all die Tricks nicht nur die Kids im Hof beeindrucken sollten. Zlatan wollte so gut werden, dass sein Vater bei einem seiner Spiele vorbeischaut. Irgendwann kam er.

Die Kinder Rosengards haben nicht einmal Träume

Doch wird eines der Flüchtlingskinder von heute der nächste Ibrahmovic? Werden sie einmal Schwedens Nationalteam prägen?„Ich glaube nicht“, sagt Kurtovic, er seufzt es fast. Bei den Mädchen vielleicht, die hätten Biss. Schwedische Spielerinnen seien zu brav. Aber die Mädchen dürfen ja nicht.

Auf einer Brücke hält er plötzlich an und sagt laut: „Wissen Sie, was das Schlimmste ist?“ Manchmal frage er die Kinder beim Training, was ihr Traum sei. „Dann sagen mir viele, sie hätten gar keinen.“ Er schüttelt den Kopf. Nicht jeder müsse Nationalspieler werden. „Aber man muss doch wenigstens ein Ziel haben!“ Doch nur wenige in ihrem Umfeld leben vor, dass harte Arbeit zu Erfolg führt.

Kurtovic weiß, woher der Erfolg von Ibrahimovic kommt. Was ihm an Talent fehlte, machte er mit Willen wett. Oft jonglierte er abends stundenlang den Ball, im Schein einer Straßenlaterne, bis er kaum noch etwas sah. Ohne Flutlicht am Bolzplatz.

Kurtovic trifft Ibrahimovic manchmal, bei Spielen, im Restaurant, sie grüßen sich, mehr nicht. Um Geld hat er den Star mit zuletzt 15 Millionen Euro Jahresgehalt nie gebeten. Obwohl der FC Rosengard nie mitkassiert hat bei den Klubwechseln in Zlatans Karriere, von Malmö nach Amsterdam, von Turin nach Mailand, von Barcelona nach Paris. Die Unterlagen, die belegen, wo er ausgebildet wurde, vernichtete ein feuchter Verbandskeller.

Wechselt Ibrahimovic zurück nach Malmö?

Aber Ibrahimovic hängt noch an seiner Heimat. Als er im letzten Herbst mit Paris St. Germain zu Gast bei Malmö FF war, mietete er den Marktplatz und spendierte ein Public Viewing. Der Junge aus dem Ghetto will immer noch vor allem eines: gesehen werden. Während der EM in Frankreich wird viel spekuliert: Wo liegt Zlatans Zukunft? Manchester United, Bayern München gar? Ibrahimovic selbst sagte bei einem Testspiel der Schweden in Malmö: „Ich werde hier spielen, wartet auf mich.“

Ibrahimovic schießt wieder Tore für Malmö FF! Wäre das nicht das positive Vorbild, das die Flüchtlingskinder von Rosengard bräuchten? Ivica Kurtovic ist am Vereinsheim angekommen und sagt: „Das wäre fantastisch. Aber dafür fehlt ihm die Demut.“ Wie zum Beweis reckt er die Nase nach oben. „Aber anderseits: Wenn er anders wäre, wäre er hier nie weggekommen.“ Vor dem Heim hebt er einen heruntergefallenen Ast auf und wirft ihn ins Gebüsch. Einer muss hier ja für Ordnung sorgen.

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