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Im Startblock. Mark Uth hat vermutlich nicht damit gerechnet, dass er überhaupt noch mal zur Nationalelf darf.

© imago/Matthias Koch

Schalkes Mark Uth vor seinem Länderspieldebüt: Mittelstürmer verzweifelt gesucht

Der Mittelstürmer ist schon für tot erklärt worden, nun erlebt er eine Renaissance – nur die deutsche Nationalmannschaft profitiert noch nicht davon.

So wie ein Verteidiger im Fußball positionsspezifische Eigenschaften benötigt, so muss ein so genannter Experte bestimmte Fähigkeiten mitbringen, um in seinem Job zu reüssieren. Meinungsstärke etwa ist dafür unerlässlich und echte Überzeugung natürlich. Lothar Matthäus ist in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel. Er ist klar in seiner Meinung und lässt sich auch von gegenteiligen Ansichten nicht irritieren. So hat sich Matthäus zuletzt ganz entschieden dafür ausgesprochen, Simon Terodde vom Zweitligisten 1. FC Köln in die Nationalmannschaft zu berufen. Es gibt auch Experten, die von einer solchen Idee eher wenig halten. Zweitligaspieler in der Nationalelf? Geht gar nicht! Bundestrainer Joachim Löw ist jedenfalls zuletzt dafür kritisiert worden, dass er unbeirrt an Teroddes Kölner Teamkollegen Jonas Hector festhält. Die Kritik kam von – Lothar Matthäus.

Nun kann man beide Fälle nur schwer miteinander vergleichen: Hector ist Linksverteidiger, und obwohl diese Position im deutschen Fußball als traditionell unterbesetzt gilt, gäbe es durchaus Spieler, die ihn ersetzen könnten. Terodde hingegen gehört der seltenen Spezies Stoß- oder Mittelstürmer an, und mit denen ist das Land von Gerd Müller und Horst Hrubesch derzeit noch weniger gesegnet als mit guten Außenverteidigern. Weil die letzten verbliebenen Exemplare aus der Bundesliga – Mario Gomez und Sandro Wagner – ihre Nationalmannschaftskarrieren für beendet erklärt haben, müsste man sich in der Tat in die Niederungen der Zweiten Liga begeben, wo es mit Simon Terodde (zwölf Tore in acht Spielen) und Pierre-Michel Lasogga (fünf Tore) noch zwei Vertreter der bedrohten Art gibt.

Der Mittelstürmer lebt wieder

Zufall ist das nicht. In den Jahren 2014 ff. ist in Deutschland der Tod des Mittelstürmers verkündet worden; jetzt lebt er plötzlich wieder. „Grundsätzlich kann man sagen, dass es eine Renaissance des Mittelstürmers gibt“, hat Jupp Heynckes, früher selbst Stürmer, der „Rheinischen Post“ gesagt. „Man muss ja nur auf die erfolgreichen Vereine in Europa schauen: Der FC Barcelona hat Suarez, Tottenham hat Kane, Manchester Lukaku, Turin Mandzukic, Real Madrid Benzema.“ Für die Nationalmannschaft aber kommt diese Volte ein bisschen zu früh.

In der Bundesliga ist die wundersame Wiederauferstehung der Mittelstürmer bereits klar zu erkennen. So viele Mittelstürmer gab es lange nicht – nur haben sie alle (Paco Alcacer, Dortmund, Alassane Plea, Borussia Mönchengladbach, Alfred Finnbogason, Augsburg, Vedad Ibisevic, Hertha BSC, Sébastien Heller, Frankfurt) eben keinen deutschen Pass. An der Nationalmannschaft geht diese Entwicklung daher immer noch komplett vorbei.

Gerade zehn Tore hat die Mannschaft von Bundestrainer Löw in den jüngsten elf Länderspielen erzielt, fünf Mal ging sie komplett leer aus. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass ihr ein echter Mittelstürmer fehlt; einer, dem Tore alles sind und der ohne Tore nichts ist. Bei den anstehenden Länderspielen an diesem Samstag in Holland und am Dienstag in Frankreich wird wohl Timo Werner die vordere Position besetzen. Wie der diesmal verletzte Dortmunder Marco Reus oder auch Thomas Müller ist Werner eher ein Hybridmodell, ein Spieler, der mit Tempo aus der Tiefe kommt und dessen natürlicher Lebensraum eben nicht ausschließlich der gegnerische Strafraum ist.

Mark Uth, erstmals in die Nationalmannschaft berufen, kommt diesem Typus schon ein bisschen näher; ein echter Brecher aber ist auch er nicht. „Ich denke nicht, dass ich der Mario Gomez bin“, sagt Uth. „Ich bin keiner, auf den man die langen Bälle kloppt, die er dann festmacht. Ich bin eher der mitspielende Mittelstürmer.“ Unabhängig davon dass Uth seit seinem Wechsel von Hoffenheim nach Schalke in nun zehn Einsätzen noch kein Tor erzielt hat, sind seine Fähigkeiten offenkundig. Uth hat ein ein gutes Spielverständnis, er erkennt gefährliche Situationen und verfügt unter anderem dank seines starken linken Fußes über ein intuitives Selbstverständnis beim Torabschluss.

Uth hat jetzt die Chance, sich zu zeigen

Trotzdem zählt Uth für Bundestrainer Joachim Löw zu der Kategorie Spieler, die zwar gehobenes Bundesliganiveau verkörpern, denen er das internationale Top-Niveau aber nicht unbedingt zutraut. Aussagen, dass Uth schon lange beobachtet werde, muss man nicht allzu ernst nehmen. Welchen Sinn hätte es, der Öffentlichkeit einen Stürmer vorzuenthalten, der beim nächsten großen Turnier, bei der EM 2020, schon 29 wäre? Uths Nominierung ist vor allem der personellen Not geschuldet. Sie eröffnet dem Schalker die Möglichkeit zu einer späten Karriere in der Nationalmannschaft, mit der er vielleicht selbst nicht mehr gerechnet hätte.

Vielleicht funktioniert es ja; vielleicht auch nicht. Dann sollte Joachim Löw noch einmal die Erklärung von Mario Gomez zu seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft zur Hand nehmen. „Wenn der Trainer in zwei Jahren bei der EM aus unwahrscheinlichen Gründen Bedarf sieht und ich mich auch wirklich noch in der Verfassung fühle, helfen zu können, werde ich dann selbstverständlich bereitstehen“, hat Mario Gomez geschrieben. Er weiß halt, wie es um den Stürmernachwuchs in Deutschland bestellt ist.

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