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Das Tor zum 4. Stern. In der 113. Spielminute des WM-Finals erzielt der eingewechselte Mario Götze an jenem 13. Juli 2014 im Maracana den Siegtreffer über Argentinien. Deutschland wird in dieser Nacht in Rio zum vierten Male Weltmeister.

© Zuma/Imago

Rückblick zum EM-Start gegen Frankreich: Legendäre Spiele in der Ära Joachim Löw

Beim Auftaktmatch gegen Frankreich wird Joachim Löw zum 195. Mal die deutsche Mannschaft betreuen. Ein Rückblick auf sieben besondere Spiele.

Mit dem EM-Auftakt der deutschen Nationalmannschaft gegen Frankreich beginnt für Joachim Löw an diesem Dienstag die letzte Etappe seiner Amtszeit als Bundestrainer. 194 Länderspiele liegen hinter ihm, mindestens drei, maximal sieben kommen noch hinzu. Wir blicken noch einmal zurück auf die Schlüsselspiele aus 15 Jahren Löw.

EM-QUALIFIKATION, MÄRZ 2007: Tschechien – Deutschland 1:2
Wie lange Löw schon Bundestrainer ist, erkennt man auch daran, welche Gegner die Deutschen zu Beginn seiner Amtszeit noch fürchten mussten: Tschechien zum Beispiel. Als die Nationalmannschaft 2007 in der EM-Qualifikation in Prag antritt, sind die Tschechen mit Tomas Rosicky, Jan Koller und Milan Baros mindestens ein Gegner auf Augenhöhe. Vor allem vor dem 2,02-Meter-Riesen Koller haben die Deutschen so großen Respekt, dass sogar darüber diskutiert wird, ob er in Manndeckung zu nehmen sei.

Doch Löw hat eine andere Idee: Er will den Stürmer neutralisieren, indem er die Zuspiele auf ihn effektiv unterbindet. Löws Aufmerksamkeit gilt daher nicht Koller, sondern dem Mittelfeld der Tschechen. „Nie hat eine deutsche Nationalmannschaft so organisiert und modern gespielt“, sagt Innenverteidiger Christoph Metzelder nach dem 2:1-Sieg seines Teams. Nicht die Tatsache, dass sie dieses Spiel gewinnt, macht es zu einem Meisterwerk aus Löws Frühphase. Sondern die Tatsache, wie sie es gewinnt. In 90 Minuten fällt Koller eigentlich nur einmal auf: als er an der Seitenlinie seine Kontaktlinsen wechselt.

EM 2008, VORRUNDE: Österreich – Deutschland 0:1
In den entscheidenden Stunden wird sogar der sonst so selbstsichere Joachim Löw vom Zweifel angeweht: Was, wenn es schief geht? Wenn die Nationalmannschaft gegen den EM-Gastgeber Österreich verliert und bei Löws erstem Turnier schon in der Vorrunde ausscheidet? Aber dann sagt er sich: „Die Österreicher werden wir schlagen, egal wie!“ Egal wie, das trifft es ganz gut. Es ist ein wuchtiger Freistoß von Kapitän Michael Ballack, der den Deutschen den 1:0-Sieg beschert, sie ins Viertelfinale bringt und Löw damit vermutlich den Job rettet. Ausgerechnet der alte Recke Ballack trägt mit seinem Freistoßtreffer, einem Akt roher Gewalt, dazu bei, dass Löw seinen Modernisierungskurs fortführen kann. Einen Kurs, dem Ballack schon bald zum Opfer fallen wird.

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WM 2010, HALBFINALE: Deutschland – Spanien 0:1
Überhaupt ist Löws Anfangszeit nicht frei von ironischen Wendungen. Die nächste gibt es im WM-Halbfinale in Südafrika gegen Spanien. Zu jener Zeit sind die Spanier nicht nur die absoluten Herrscher des Weltfußballs, sie sind auch das – noch unerreichbare – Vorbild für Joachim Löw. Schon beim 0:1 im EM-Finale 2008 war sein Team ihnen klar unterlegen. Zwei Jahre später in Durban sieht es nicht anders aus. Löws junge Mannschaft, die bis dahin auf manische Weise durch das Turnier gerauscht ist, läuft nur hinterher. Aber am Ende ist es keine jener flirrenden spanischen Kombinationen, die das Spiel entscheidet. Es ist ein Kopfballtor von Carles Puyol nach einer ganz profanen Ecke.

FREUNDSCHAFTSSPIEL, AUGUST 2011: Deutschland – Brasilien 3:2
Dass die Deutschen gegen die Spanier erneut chancenlos waren, das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Aber sie sehen nicht so aus, wie sie von Löw erwartet werden. Sein Plan heißt nicht: zurück zu den deutschen Tugenden. Sein Plan heißt: spanischer werden als die Spanier. Wie das aussehen kann, ist im August 2011 in Stuttgart zu beobachten, im Freundschaftsspiel gegen Rekordweltmeister Brasilien. „Brasilien liebt es eigentlich, selbst viel Ballbesitz zu haben. Den aber hatten wir“, sagt Toni Kroos nach dem 3:2-Sieg seiner Mannschaft. Und so schlagen die Deutschen Brasilien, meinen aber eigentlich Spanien. „Ewiger Ballbesitz, gesteuert aus der Tiefe des Mittelfeldes: Genau so sind die Spanier zur besten Mannschaft der Welt aufgestiegen“, schreibt der Tagesspiegel. „Dem Welt- und Europameister beizukommen, an dem die Deutschen zuletzt zweimal deutlich gescheitert sind – das ist Löws eigentliche Obsession.“

EM 2012, HALBFINALE: Deutschland – Italien 1:2
Spanien schlagen: Bei der EM 2012 scheint das tatsächlich möglich zu sein. Bis Löw den vielleicht größten Fehler seiner Amtszeit begeht. Im Halbfinale gegen Italien verleugnet er sich sozusagen selbst – indem er Jan Koller quasi doch noch in Manndeckung nimmt. Der Jan Koller Italiens heißt Andrea Pirlo, ist die prägende Figur seines Teams und muss irgendwie ausgeschaltet werden. Anstatt dieses Problem im Mannschaftsverbund zu lösen, bietet Löw Toni Kroos als eine Art Manndecker für Pirlo auf und gibt dafür das rechte Mittelfeld weitgehend preis. Diese Entscheidung des Bundestrainers ist der Anfang einer Fehlerkette, an deren Ende Mario Balotelli im deutschen Strafraum völlig freistehend das 1:0 erzielen. Und so sind es nicht die Deutschen, die im EM-Finale auf Spanien treffen, sondern die Italiener. Sie verlieren 0:4.

WM-QUALIFIKATION, OKTOBER 2012: Deutschland – Schweden 4:4
Die Wunden des EM-Sommers sind noch nicht richtig vernarbt, da liefert Löw seinen Kritikern schon wieder neue Nahrung. Einer kritischen Masse gilt er inzwischen als Schönwettertrainer, der es nicht schafft, seinem Team in den entscheidenden Momenten die nötige Wettkampfhärte zu vermitteln. So ist es auch im Oktober 2012 im Berliner Olympiastadion. Eine knappe Stunde verzücken die Deutschen ihr Publikum mit berauschendem Offensivfußball, mit schlüssigen Kombinationen und schönen Toren. Doch dann schießt Zlatan Ibrahimovic das 1:4 und leitet damit einen beispiellosen Zerfall ein. Am Ende wirkt es sogar fast logisch, dass das Tor zum 4:4-Endstand erst in der Nachspielzeit fällt. „So eine grandiose Tölpelei ist noch nie vorgekommen in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ über ein Spiel, in dem Zlatan Ibrahimovic zu Löws Antichrist wird.

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WM 2014, FINALE: Deutschland – Argentinien 1:0 n. V.
Die Geschichte ist wirklich zu schön. Joachim Löw wechselt im WM-Finale Mario Götze ein, gibt ihm vorher noch den Auftrag mit „Zeig der Welt, dass du besser bist als Messi“ – und kurz darauf erzielt Götze gegen Messi und die Argentinier das Tor, das den Deutschen zum vierten Mal den WM-Titel einbringt. Leider stimmt die Geschichte so gar nicht. Löw hat das selbst erzählt, in der Pressekonferenz direkt nach dem Finale. Seinen vielleicht berühmtesten Satz hat er nicht bei Götzes Einwechslung gesprochen, sondern erst in der Pause vor der zweiten Hälfte der Verlängerung. Wie dem auch sei. In Brasilien kommt einiges zusammen: spielerische Klasse (wie beim 7:1 im Halbfinale gegen den Gastgeber), bissige Entschlossenheit (wie beim 1:0 im Viertelfinale gegen Frankreich), das nötige Spielglück (wie beim 2:1 im Achtelfinale gegen Algerien) und die Intuition des Bundestrainers. So wie bei Götzes Einwechslung im Finale.

WM 2018, VORRUNDE: Deutschland – Mexiko 0:1
All das fehlt vier Jahre später, als der Titelverteidiger in Russland seinen #ZSMMBRCH erlebt. Die Probleme des Teams und die Arroganz ihres Trainers treten bereits im Auftaktspiel gegen Mexiko auf erschreckende Weise zu Tage. „Wir wussten seit sechs Monaten, wie die Deutschen spielen werden“, sagt Mexikos Trainer Juan Carlos Osorio in der Pressekonferenz nach dem Spiel. Die Mittelamerikaner überlassen den Deutschen den Ball und locken sie immer wieder in die Falle, ohne dass Löw von außen korrigierend eingreift. Am Ende scheidet der Weltmeister in einer Gruppe mit Mexiko, Schweden und Südkorea als Letzter bereits nach der Vorrunde aus. Löw taucht erst mal ab, übernimmt ein paar Wochen später die Verantwortung für das Debakel – und bleibt trotzdem im Amt. Zum Glück hat der DFB seinen ohnehin noch bis 2020 laufenden Vertrag vor der WM bis 2022 verlängert.

NATIONS LEAGUE, NOVEMBER 2020: Spanien – Deutschland 6:0
Spanien, immer wieder Spanien. Was am Anfang seiner Amtszeit noch eine Obsession war, wird am Ende für Löw zur Heimsuchung. Die Tabellenführung verteidigen, Gruppensieger werden – das ist das Ziel, mit dem die Deutschen vor dem abschließenden Spiel der Nations League nach Sevilla reisen. Ihr ambitioniertes Vorhaben endet in einem Desaster. Vor allem für den Bundestrainer, der an der Seitenlinie ein mindestens ebenso erschreckendes Bild abgibt wie seine Defensive. Wilde Gesten und völlige Lethargie wechseln sich ab. Am Ende aber ist es wohl vor allem dieser Abend, der in Löw zu einer wichtigen Erkenntnis führt: dass seine Zeit als Bundestrainer vorbei ist.

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