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Vorfahrt Totenkopf. Die Frau, die sich beim Roller Derby Tequila Knockout nennt, kämpft sich durch die Meute.

© Michael Wittig

Roller Derby: Frau sein und draufhauen

Beim Roller Derby geht es um Punkte und blaue Flecken – und die Subkultur feiert sich selbst.

Berlin - Normalerweise muss man beim Sport Piercings und Ohrringe rausnehmen – wegen der Verletzungsgefahr. Beim Roller Derby ist das anders: Ringe und Stecker in Lippen, Nase oder Ohren gehören zu den Standardaccessoires; Netzstrümpfe und Hotpants sind ausdrücklich erlaubt. Und die Verletzungen? Die gehören bei den Rollschuhrennen einfach dazu. „Blaue Flecken zählen nicht, damit prahlen wir sogar. Ich habe mir einmal einen Finger gebrochen, aber das ist ja eher ein Lappalie“, sagt die Anführerin der Harbor Girls aus Hamburg, die sich Spooky Spiky nennt. Die 30 Jahre alte Grafikdesignerin, die eigentlich Lili Wolf heißt, steht in der Halbzeit am Merchandise-Stand, wo ihre sechsjährige Tochter auf steie wartet. „Der Sport ist ein super Ausgleich zu Job und Familie. Man wird auf jeden Fall stressresistent“, sagt Spooky Spiky, die gleichzeitig auch noch Trainerin und Managerin ist.

Die Hamburgerinnen, deren Heimspiele in St. Pauli stattfinden, waren am vergangenen Wochenende auswärts zu Gast: In der Berliner Arena treten sie gegen die „Berlin Bombshells“ an. Das Publikum hat sich dem Anlass gemäß schick gemacht. Elvis-Tolle und tailliertes Kleid im Rockabilly-Stil oder Doc-Martens-Stiefel zum ausgefransten Minirock gehören zum Dresscode. Vom Punk über den Rastalockenträger bis zum Metalfan ist alles vertreten – Hauptsache, Subkultur. An die zweihundert Zuschauer, die Mehrzahl davon weiblich, sitzen auf den Rängen. Die Männer sehen eher mitgebracht aus.

Trotzdem liegt Testosteron in der Luft, der Jubel beim Einzug der Spielerinnen wäre eines Boxkampfes würdig. Die Spielerinnen werden mit den Namen ihrer Alter Egos aufgerufen: „Mit der Nummer 001: Jeanne Dark!“ Für die Berliner geht neben „Foxy Führer“ unter anderen „Poison Ivy“ mit der Nummer 13 an den Start. Aus den Boxen rocken die Ramones „Hey ho, let’s go!“. Das lassen sich die beiden Teams, die auf der ovalen Bahn stehen, nicht zweimal sagen: Beim ersten Pfiff setzt sich das „Pack“ aus je vier Blockerinnen langsam in Bewegung. Als der Schiedsrichter zum zweiten Mal pfeift, sprinten von hinten die beiden „Jammerinnen“ los und versuchen, das Pack zu überholen, um „Lead Jammerin“ zu werden. Bei den Berlinerinnen hat „Tequila Knockout“ in dieser Runde den roten Stern, das Kennzeichen der Jammerin, auf dem Helm. Schnell hat sie die Gruppe eingeholt und windet sich geschickt an den Hamburger Blockerinnen vorbei. Nach einigem Gerangel bricht die kleine Frau im roten T-Shirt aus der Gruppe hervor und umrundet in langen Schritten das 27 mal 17 Meter große Oval, bis sie das Pack wieder eingeholt hat.

Das Publikum feuert die Lokalmatadorin an, als sie sich daran macht, erneut das rasende Rudel zu durchstoßen. Nun kann sie pro überholter Gegenspielerin einen Punkt einfahren. „Als Jammerin muss man schnell sein, sich durchkämpfen können. Aber Roller Derby hat auch viel mit Strategie zu tun“, sagt „Tequila Knockout“, die eigentlich Veronika Ulbricht heißt, und grinst ein Totenkopfgrinsen. Sie hat sich das Gesicht weiß geschminkt, „um den Hamburgerinnen Angst einzujagen. Aber ich verkleide mich jetzt nicht – das bin ich!“ Im echten Leben ist die 31-Jährige Modedesignerin, bei den Berlin Bombshells ist sie seit der Gründung vor drei Jahren dabei. „Nur bei den Auswärtsspielen komme ich nicht mit, weil ich ein Kind habe.“ Roller-Derby-Teams gibt es in ganz Europa. Vor allem in Skandinavien, Großbritannien und Deutschland blüht der Sport, der schon in den zwanziger Jahren entstand, zwischen 1950 und 1980 in den USA populär wurde und seit Ende der neunziger Jahre von den USA aus eine Renaissance erlebt. In Deutschland gibt es keine Liga, man besucht sich über Ländergrenzen hinweg.

Trotz schweißtreibender Hitze geht es auch in der zweiten Halbzeit zur Sache. Spooky Spiky ist Lead Jammerin und rast von hinten auf das Pack zu. Beherzt rammt sie drei gegnerische Blockerinnen, von denen zwei zu Boden fallen, sich aber genauso schnell wieder hochrappeln. Mit eingefahrenen Ellenbogen sind Schubsen und Stoßen erlaubt, besonders Hüftchecks erfreuen sich großer Beliebtheit. Trotz Helmvorschrift und Knie- sowie Ellenbogenschonern ist Roller Derby ein Vollkontaktsport – und wird in Europa bisher nur von Frauen ausgeübt. „Wir sehen in Röcken einfach besser aus!“, sagt Spooky Spiky, setzt etwas ernster nach: „Das Tolle ist, dass man hier Frau sein und trotzdem draufhauen darf.“

Nach drei Stunden ist das Match vorbei und die Mannschaften umrunden ein letztes Mal die Bahn, um die Zuschauer abzuklatschen. Tequila Knockout hat ihren Helm abgesetzt und grinst unter der Totenkopfschminke, die verschmiert ist vom Schweiß und der Sektdusche mit ihren Mannschaftskolleginnen. Sie kann zufrieden sein. 175:94 lautet das Ergebnis für die Berlin Bombshells.

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