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Selten im Mittelpunkt: In den Schlagzeilen steht das Ringen eigentlich nur, wenn es Skandale gibt. „Es würde der Gesellschaft gut tun, solche Einzelfälle nicht immer so hoch zu kochen“, sagt Tolga Inaler vom Weddinger Ringerverein Berlin 09.

© picture alliance / dpa

Ringen: Verweigerter Handschlag: Eine Frage des Respekts

Drei muslimische Ringer haben einer Kampfrichterin in Hessen den Handschlag verweigert. In Berlin löst der Fall Unverständnis aus.

Es ist eng in der Louise-Schroeder-Sporthalle. Etwa 60 Jungen und Männer aller Altersstufen tummeln sich beim Training des Weddinger Ringervereins Berlin 09 auf den Matten. Sie wärmen sich mit Liegestützen, Sprüngen und vielen weiteren Turnübungen auf. Danach üben sie die verschiedenen Grifftechniken im Kampf. Das Training der Älteren wird von einem Polen auf Deutsch geleitet, der Trainer der Kinder spricht ein Kauderwelsch aus Deutsch und Russisch. Die Ringer kommen aus Syrien, Afghanistan, der Türkei oder Kasachstan.

Bei einer derart bunten Mischung wie in Wedding kommt es natürlich auch zu Auseinandersetzungen. „Wenn Welten aufeinandertreffen, gibt es Reibung. Deshalb reden wir viel und klären die Jungs auf“, sagt Sozialarbeiter Tolga Inaler, der den Verein gemeinsam mit den früheren Ringern Sedat und Bülent Dagdemir leitet.

In der Bundesliga sind aktuell sechs Kampfrichterinnen im Einsatz.

Reibung gibt es oft im Ringen. Meist geht es hoch her in den Duellen. Doch in die Schlagzeilen rückt der Sport eigentlich nur, wenn es Skandale gibt. Wie Ende 2017, als ein Ringer aus dem Iran genötigt wurde, einen Kampf zu verlieren, damit er im nächsten nicht auf einen Israeli trifft. Eine politische Entscheidung, ein Skandal.

Kürzlich hat es nun auch das deutsche Ringen auf eine große überregionale Titelseite geschafft, wieder mit einem vermeintlichen Skandal. In Hessen wollten drei Ringer aus Bulgarien und Tschetschenien der Kampfrichterin vor ihren Kämpfen nicht die Hand schütteln und wurden deshalb von ihr disqualifiziert. Die Ringer haben als Begründung angeführt, dass sie aus religiösen Gründen – die Männer sind Muslime – keine fremde Frau berühren oder von ihr berührt werden möchten. Das sei für sie eine Frage des Respekts. Da ist es wieder, das Zusammenspiel von Politik und Sport.

Im Ringen gibt es hierzulande seit etwa Mitte der 90er Jahre zwei parallel laufende Entwicklungen, die zu dieser Geschichte geführt haben. Zum einen dürfen seit 1994 auch Frauen bei Deutschen Meisterschaften mitringen. Dadurch ist diese Männerdomäne zwar nicht zu einem Massensport für Frauen geworden – aber es gibt Frauen auf allen Ebenen und in allen Positionen. In der Bundesliga sind aktuell sechs Kampfrichterinnen im Einsatz. Gleichzeitig gibt es immer mehr Ringer mit Migrationshintergrund. In vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion, Vorderasiens und des Mittleren Ostens hat das Ringen einen viel höheren Stellenwert als in Deutschland. Somit ist der örtliche Ringerverein für viele Migranten in Deutschland ein willkommener Ort zum Ankommen. Gibt es Fälle wie den in Hessen also häufiger?

Bülent Dagdemir: "Wenn diese Jungs so tief religiös sind, dann können sie nicht an Wettbewerben teilnehmen"

„Nein“, sagt die Kampfrichterin Martina Gebel. Sie leitet seit 1997 Kämpfe und betont: „In den mehr als 20 Jahren habe ich so etwas nicht erlebt. Generell hatte ich nie Probleme mit Männern, obwohl ich anfangs in Berlin die einzige Kampfrichterin war.“ Ihr sei es wichtig, das in diesem Zusammenhang klarzustellen. „In den letzten Jahren haben wir natürlich mehr Migranten, auch viele Flüchtlinge, die in ihrer Heimat mit dem Ringen aufgewachsen sind. Gerade in Berlin gibt es auch Vereine, in denen der Großteil der Ringer türkischer oder arabischer Herkunft ist. Auf der Matte ist das aber egal, da respektiert jeder jeden.“

Respekt – dieses Wort wird in der Selbstbeschreibung etlicher Vereine großgeschrieben. Auch beim Weddinger Ringerverein. Auf den Fall in Hessen angesprochen, reagiert Bülent Dagdemir nüchtern. „Klar, sowas kann vorkommen. Es gibt einfach Leute, die verwechseln Glauben und Kultur“, sagt er. „Aber ganz ehrlich: Wenn diese Jungs so tief religiös sind, dann können sie nicht an Wettbewerben teilnehmen. Für sie müsste es ja eigentlich schon ein Regelverstoß sein, wenn Frauen ihnen nur zugucken.“ Inaler sieht das genauso, ärgert sich aber auch darüber, dass dieser Vorfall so in die Schlagzeilen kam. „Es würde der Gesellschaft gut tun, solche Einzelfälle nicht immer so hoch zu kochen“, betont er. „Alle Jungs hier haben Erfahrung mit Diskriminierung. Sie wurden von anderen Vereinen weggeschickt, nur weil sie anders sind. Sie wurden in Wettkämpfen unfair behandelt. Aber wir machen da nicht jedes Mal ein Fass auf.“

Im Gegenteil – über den Verein versuchen Inaler und die Dagdemirs all die Kinder, Jugendlichen und auch Erwachsenen, die es aus aller Welt nach Berlin verschlagen hat, in die Gesellschaft zu integrieren. „Sie sollen keinen Hass auf die Mehrheitsgesellschaft entwickeln, sondern hier ihren Platz finden. Sie wollen ja dazu gehören“, sagt Inaler. Um ihnen dabei zu helfen, haben Inaler und die Dagdemirs aber auch klare Erwartungen: „Alle kennen die Regeln und wer sich nicht daran hält, bekommt eine Zeit lang Trainingsverbot.“

Männer leiten Frauenkämpfe, Frauen leiten Männerkämpfe – auch international.

Klare Regeln, von Anfang an. Das ist auch für Martina Gebel der essenzielle Punkt: „Beim Ringen ist der Handschlag zwischen den Kämpfern und mit den Kampfrichtern eben die Geste, die den gegenseitigen Respekt ausdrückt – so wie die Verbeugung beim Judo. Da haben sich alle dran zu halten.“ Auch über das Händeschütteln hinaus gehört der Körperkontakt zwischen Kampfrichtern und Kämpfern beim Ringen dazu: Die Länge der Fingernägel muss überprüft werden, ob sich einer unerlaubt eingeölt hat, der Arm des Siegers wird in die Höhe gehalten. Wer in diese Berührungen sexuelle Annäherung interpretiert, hat es schwer: Männer leiten Frauenkämpfe, Frauen leiten Männerkämpfe – auch international.

Die drei Ringer aus Hessen sind den Berichten zufolge erst seit einigen Jahren in Deutschland, für sie war es demnach das erste Aufeinandertreffen mit einer Kampfrichterin. Politik und Sport werden leider nicht immer so gut verknüpft wie beim Ringerverein in Wedding.

Catharina Hopp

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