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Dedryck Boyata, Marius Wolf und Maximilian Mittelstädt trösten Jordan Torunarigha.

© imago images/Jörg Schüler

Rassismus-Vorfall gegen Hertha-Profi: Die Tränen des Jordan Torunarigha

Beim Pokal-Aus von Hertha BSC auf Schalke wird der Verteidiger von Zuschauern beleidigt und fliegt kurz darauf vom Platz. Rekonstruktion eines traurigen Abends.

Jürgen Klinsmann steht in dem Ruf, dass er gar nicht anders kann, als gute Laune zu haben. Ein Lächeln geht bei ihm immer. Doch das stimmt gar nicht. Als Klinsmann am Dienstag gegen Mitternacht im Presseraum des FC Schalke 04 auf dem Podium saß, wirkte er fahl und mitgenommen. Seine Mundwinkel wiesen stabil nach unten.

Alles andere wäre nach einem solchen Abend für einen leitenden Mitarbeiter von Hertha BSC auch vollkommen unglaubwürdig gewesen. Die Berliner hatten nach dem Achtelfinale im DFB-Pokal jeden Grund, missmutig zu sein. Wegen des Spielverlaufs, wegen des Resultats, aber auch wegen der Ereignisse auf den Rängen, die am Ende vieles, wenn nicht gar alles überlagerten – zumal sie einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Spielverlauf und damit Herthas 2:3-Niederlage nach einer verdienten 2:0-Führung zur Pause gehabt hatten. „Du kannst dich ja auch nicht mehr auf das Spiel konzentrieren, wenn so etwas Ekliges passiert“, sagte Herthas Kapitän Niklas Stark. „Ich wäre wahrscheinlich auch ausgerastet. So was geht nicht. Das ist menschlich abstoßend.“

Was er meinte, hatte sich gegen Ende der zweiten Halbzeit zugetragen, nachdem Herthas Innenverteidiger Jordan Torunarigha neben dem eigenen Strafraum liegengeblieben war. Die Schalker Fans verdächtigten ihn des Zeitspiels, Feuerzeuge flogen aufs Feld, aber nicht nur die. Offensichtlich wurde Torunarigha mit Affenlauten rassistisch beleidigt.

Torunarigha bricht noch im Spiel in Tränen aus

Gegen seine Darstellung wurde auch von Schalker Seite kein Einspruch erhoben. „Ich gehe nicht davon aus, dass der Spieler das erfunden hat“, sagte Sportvorstand Thomas Schneider. „Warum soll er das in die Welt setzen, wenn überhaupt nichts dran ist?“ Bei Twitter meldete sich am Morgen ein Zeuge aus der Schalker Nordkurve, der die rassistische Beleidigung durch Affenlaute wahrgenommen hatte.

Torunarighas Reaktion war im Grunde schon Beweis genug. Die Beleidigungen arbeiteten in ihm. „Ihr kennt ja Jordan“, sagte Niklas Stark. „Er ist ein emotionaler Spieler.“ Kurz vor Ablauf der regulären Spielzeit übermannten ihn schließlich die Emotionen. Als Schalkes Daniel Caligiuri behandelt werden musste, brach der 22-Jährige in Tränen aus. Per Skjelbred nahm seinen Mitspieler in den Arm, Niklas Stark strich ihm beruhigend über den Kopf. Herthas Spieler hatten die Beleidigungen selbst nicht vernommen. „Jordan hat’s mir gesagt“, berichtete Stark. „Der war heulend auf dem Platz. Da fragt man schon mal, was los ist.“

In der Verlängerung stellte Schiedsrichter Harm Osmers Herthas Jordan Torunarigha vorzeitig vom Platz - eine harte aber vertretbare Entscheidung.
In der Verlängerung stellte Schiedsrichter Harm Osmers Herthas Jordan Torunarigha vorzeitig vom Platz - eine harte aber vertretbare Entscheidung.

© INA FASSBENDER / AFP

Herthas Bank wurde kurz vor dem Abpfiff von Marius Wolf nach dessen Auswechslung über den Vorfall informiert. In der Pause vor der Verlängerung sprach Jürgen Klinsmann mit Torunarigha. „Ich musste ihn beruhigen“, berichtete Herthas Trainer. „Da war er natürlich aufgepuscht und emotional.“ Vedad Ibisevic nahm Torunarigha in den Arm. Auch da hatte er wieder Tränen in den Augen.

Manager Michael Preetz informierte Schiedsrichter Harm Osmers. Konsequenzen hatte dies aber offensichtlich nicht. Dass Osmers bei Torunarigha nachgefragt hat, ist jedenfalls niemandem aufgefallen. Auch die Schalker blieben in Unkenntnis. „Wir haben davon nichts mitbekommen“, sagte Trainer David Wagner. „Wir wurden auch nicht informiert.“

"Mir fehlt jegliches Verständnis für Vollidioten dieser Art.“

Wagner entschuldigte sich in der Pressekonferenz im Namen von Schalke 04 bei Torunarigha und Hertha BSC. „Das geht nicht. Das brauchen wir nicht. Das wollen wir nicht“, sagte er. Sportvorstand Schneider ergänzte: „Da gibt’s null Toleranz. Das ist nicht akzeptabel. Es ist auch nicht zu verstehen. Mir fehlt jegliches Verständnis für Vollidioten dieser Art.“

Eigentlich gibt es für solche Fälle eine klare Handlungsanweisung an den Schiedsrichter, die sogenannte Three-Step Procedure, die der Weltverband Fifa 2017 eingeführt hat. Demnach soll der Schiedsrichter das Spiel beim ersten Mal unterbrechen und eine Stadionansage veranlassen. Wiederholen sich rassistische oder diskriminierende Vorfälle, soll er die Mannschaften in die Kabine schicken und es erneut eine Ansage geben. Bei weiteren Diskriminierungen folgt der Spielabbruch.

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Trainer Klinsmann berichtete, dass man den Schiedsrichtern gesagt habe, „dass sie dem Jungen helfen müssen, ihn schützen und auf ihn einreden müssen“. Von Schutz konnte später aber keine Rede sein. In der ersten Hälfte der Verlängerung passierte genau das Gegenteil.

Torunarigha wollte das Feld vorzeitig verlassen

Da wurde Torunarigha bei einem beherzten Vorstoß die Seitenlinie entlang unmittelbar vor der Schalker Trainerbank durch eine Grätsche von Omar Mascarell zu Fall gebracht. Herthas Verteidiger rauschte unabsichtlich in Trainer Wagner. Beim Aufstehen packte er sich eine Getränkekiste und schleuderte sie zu Boden. Torunarigha sah dafür die Gelbe Karte, es war seine zweite, weshalb er von der weiteren Teilnahme am Spiel ausgeschlossen wurde. Klinsmann klagte, dass der Schiedsrichter bei dieser Vorgeschichte einfach mehr Fingerspitzengefühl hätte zeigen müssen.

„Wenn ich mich da auch nur ein bisschen in ihn hineinversetze, kommt mir schon alles hoch. Und ihn trifft es noch viel mehr“, sagte Niklas Stark. „Es war ja kaum zu übersehen, nach dem Spiel und vor der Verlängerung, wie er da aussah und dass es ihn mitgenommen hat.“ Schalkes Siegtorschütze Benito Raman berichtete später, dass Torunarigha eigentlich schon vor dem Platzverweis das Spielfeld aus freien Stücken habe verlassen wollen, dass er ihn aber dazu ermuntert hätte weiterzuspielen.

Es bleibt die Frage, wie die Spieler und die Vereine auf einen derartigen Vorfall reagieren. Einfach das Feld verlassen, so wie es in Italien schon passiert ist? Schalkes Trainer Wagner „hätte überhaupt kein Problem damit“, Voraussetzung dafür sei aber, dass man die rassistischen Beleidigungen auch mitbekommen habe, sonst könne man sich im Nachhinein nur entschuldigen. „Wenn das Signal gekommen wäre, wäre ich ganz klar mitmarschiert“, sagte Niklas Stark. „Aber der erste Schritt ist einfach, dass wir als Mannschaft hinter Jordan stehen, das nicht dulden und die Stimme erheben. So was geht nicht.“

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