zum Hauptinhalt
Gegen alle Widerstände. Martin Hyun bestritt für seinen Heimatklub Krefeld Pinguine insgesamt 38 Spiele in der Deutschen Eishockey-Liga.

© promo

Rassismus in Deutschland stirbt nicht aus: „Sie riefen Nasi Goreng und lachten mich aus“

Asiatischstämmige Deutsche sind auch in Zeiten der Coronavirus-Krise häufig Opfer von Alltagsrassismus. Ein Gastbeitrag des früheren Profisportlers Martin Hyun.

Martin Hyun, dessen Eltern aus Südkorea kommen, war der erste asiatischstämmige Spieler in der Deutschen Eishockey-Liga. Er war als Berater für die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang tätig. Auch im paralympischen Sport ist er als Funktionär aktiv.

Es trifft mich sehr, dass Menschen mit asiatischer Herkunft wegen des Coronavirus derzeit vermehrt rassistischen Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt sind. Ich bin Sohn südkoreanischer Gastarbeiter. Der Mangel an Personal im Pflegebereich sowie im Bergbau veranlasste die Bundesregierung, Bergarbeiter und Krankenschwestern aus Südkorea anzuwerben.

Ich bin in Deutschland geboren und habe einen deutschen Pass. Doch eine deutsche Staatsbürgerschaft ist keine automatische Eintrittskarte in die Gesellschaft. Schließlich ist mein asiatischer Migrationshintergrund sichtbar, ich kann ihn nicht verstecken.

Rassismus und Diskriminierung sind meine ständigen Wegbegleiter. Auch jetzt in der Coronavirus-Krise bin ich davon nicht verschont geblieben. In meinem Fitnessstudio erlebte ich, dass Menschen plötzlich einen großen Bogen um mich machten oder das Laufband wechselten, sobald ich auftauchte. In einer vollen S-Bahn saß ich alleine in einem Viererabteil, weil sich keiner traute, sich neben mich zu setzen.

Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, besuchte uns ein Filmteam in der Eishalle beim Training. Die Journalistin fragte mich nach meinen Zielen. Ich antwortete ihr, dass ich der erste Deutsch-Koreaner in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) werden möchte. Einige Mannschaftskameraden lachten mich aus, verspotteten mich.

[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter „Fragen des Tages“. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]

Die rassistischen Terrorakte in Rostock-Lichtenhagen schwappten auch in meine Heimatstadt Krefeld über. Ein Mob aus Jugendlichen und Schulkameraden von fast 100 Personen umzingelte mich und meine Freunde. „Verpiss dich aus unserem Land!“, schrien sie mir ins Gesicht. Ein einschneidendes Erlebnis, das ich nie vergessen werde.

In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre Wiedervereinigung. Für mich war es keine Freude, nach der Wende im Osten zu spielen. Es kam immer wieder zu diskriminierenden Vorfällen auf dem Eis oder außerhalb des Stadions. So wie der vietnamesischstämmige ehemalige Vizekanzler Philipp Rösler im Bundestag fälschlicherweise für einen Touristen gehalten wurde, habe auch ich diese Erfahrungen in einigen Stadien dieser Republik gemacht.

Ich wurde von Sicherheitsleuten angehalten und nach meiner Funktion im Team befragt. Ich erinnere mich etwa, wie die Fans bei einem Spiel in Augsburg „Nasi Goreng“ oder andere asiatische Gerichte nach mir riefen und das ganze Stadion lachte. Und als ich mit der Junioren-Nationalmannschaft zu einem Turnier nach Kanada reiste, fragte mich der deutsche Zollbeamte, ob ich zu einem Tischtennisturnier reisen würde.

Es gibt etliche weitere Beispiele dieser Art, leider. So arbeitete ich nach meiner sportlichen Laufbahn im Bundestag. Als ich eines Tages den Flur des Europa-Ausschusssekretariates passieren wollte, rief mir eine Verwaltungsangestellte schroff hinterher: „Bleiben Sie stehen! Sie haben den Alarm ausgelöst!“

In der Gesellschaft ist Rassismus tief verwurzelt

Die Frau war der festen Überzeugung, dass ich mich illegal in den Bundestag eingeschleust hatte. Auch mein Hausausweis konnte sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Und als ich einmal bei einem Kongress den Raum betrat, schaute mich der Präsident eines bekannten Arbeitgeberverbandes an und fragte mich vor den Augen der anderen Geschäftsführer und Projektleiter: „Sind Sie der Übersetzer?“

Mir ist dabei bewusst, dass ich nur einer von vielen bin, die derlei Alltagsrassismus trifft. Man braucht nur Fernsehen zu schauen. Eine Baumarkt-Kette zeigte vor ein paar Jahren eine asiatische Frau, die von dem Schnüffeln eines verschwitzten Unterhemds eines weißen Hobby-Gärtners in Ekstase gerät. Eine Klischeevorstellung des weißen Mannes.

Die Aufregung um den Clip war groß, anschließend ist meist ein ähnliches Muster zu beobachten, so auch in diesem Fall: Großes Entsetzen bei dem Unternehmen, Erklärung, dass die Firma multikulturell besetzt sei, Ankündigung von Konsequenzen und Sensibilisierungsworkshops, Geloben von Besserung.

Teamplayer: Martin Hyun (vorne links) macht sich auch um das deutsche Para-Eishockey verdient.
Teamplayer: Martin Hyun (vorne links) macht sich auch um das deutsche Para-Eishockey verdient.

© Beautiful Sports/Imago

Meine Geschwister und ich haben es binnen einer Generation von Arbeitern zu Akademikern geschafft. Wir haben alle drei studiert. Ich habe in den USA, Belgien und Bonn studiert und promoviert. Ich bin nicht nur Mensch mit Migrationshintergrund, sondern auch Bildungsausländer. Das hat unerfahrene Verwaltungsbeamte in diesem Land irritiert.

Obwohl meine Abschlüsse aus den USA und Belgien als vollwertig mit deutschen Abschlüssen akzeptiert wurden, gaben sich die Personaler trotz Vorlage des Schreibens von der Behörde nicht zufrieden. Sie akzeptierten es nicht, obwohl die Bescheinigung der Bezirksregierung bestätigte, dass das Schreiben den Wert eines Originalzeugnisses habe und als Nachweis anzuerkennen sei. Dessen ungeachtet verlangten die Sachbearbeiter weitere Informationen. Bei jeder weiteren Einreichung der geforderten Information wurden weitere angefordert. Das war pure Schikane.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Ich erinnere mich auch an eine Interviewsituation für eine Stelle bei den Vereinten Nationen, in der Deutschland repräsentiert werden sollte. Da fragte mich die Person vom Auswärtigen Amt, ob in meinem Fall „Loyalitätskonflikte“ zu befürchten seien. Die Frage war wie ein Schlag ins Gesicht.

In meinen 41 Lebensjahren habe ich gelernt, dass der Rassismus in der Gesellschaft tief verwurzelt ist. Es wird sich auch nicht mit der nächsten Generation ändern. Im Gegenteil, es wird weitervererbt. Die meisten haben wegen weniger intensiver Berührungspunkte mit Minderheiten ein sehr eingeschränktes Verständnis von Rassismus. Sie wachsen quasi isoliert auf.

In den deutschen Medien sind die Helden und Heldinnen weiß

In der Schulzeit, während des Studiums, im Berufsleben, in der Nachbarschaft und in weiteren Lebensbereichen ist die Thematik nicht vorhanden. Sie sind vom Rassismus nicht betroffen und müssen sich daher nicht damit auseinandersetzen. Bilder über Ausländer werden flüchtig von kurzen Begegnungen und Medien geformt. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ich trotz meiner vielen Jahre in Deutschland als Übersetzer, Tischtennisspieler oder als Tourist wahrgenommen werde.

Biodeutsche Menschen in Führungspositionen verkehren und agieren in Strukturen, in der ethnische Vielfalt als eine Art Störfaktor der homogenen Harmonie angesehen wird. Wenn es Migranten in Führungspositionen schaffen, dann lernen sie eines sehr schnell: bloß nicht ihre weißen Kollegen mit der Thematik Rassismus oder Diskriminierung zu konfrontieren und die homogene Harmonie aus der Balance zu bringen. Das kann den Job kosten.

Der Rapper Samy Deluxe bringt es in seinem Lied „Superheld“ auf dem Punkt: „Alle seine Superhelden sind weiß.“ In den deutschen Medien sind die Helden und Heldinnen weiß. Das Schönheitsideal ist weiß. Wer erinnert sich nicht an das Gruppenbild der jungen weißen Klimaaktivistinnen vom Weltwirtschaftsforum Davos, in dem die 23 Jahre alte, schwarze Vanessa Nakete aus Uganda einfach herausgeschnitten wurde?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die Menschen, die darüber bestimmen, welche Filme gefördert, welche Schauspieler gecastet, welche Bücher verlegt, welche Artikel geschrieben, welche Personen auf Kandidaturlisten vorgeschlagen werden, sind fast allesamt weiß. Es liegt auf der Hand, auf wen die Wahl fällt. Schaue ich mich im Bundestag um, sehe ich keinen einzigen Abgeordneten mit asiatischer Herkunft. In den Ministerien, Stiftungen, Unternehmen ist es genauso. Der hessische FDP-Politiker Jörg-Uwe Hahn hat recht, wenn er sagt, dass die Gesellschaft noch nicht weit genug für einen asiatisch aussehenden Vizekanzler ist.

Der Rassismus gegenüber Asiaten wird in der Gesellschaft nicht ernst genommen und bagatellisiert. Es bedarf mehr als nur eines Tweets der Staatsministerin für Integration mit dem Inhalt: „In der Corona-Krise werden Menschen beleidigt, mit Desinfektionsspray besprüht – weil sie als asiatisch gelesen werden.“

Kein Tweet, keine Solidaritätsbekundung, keine Lichterkette und kein Gesetz können einen Menschen dazu zwingen, jemanden nicht ihresgleichen zu lieben und zu respektieren. So banal es klingen mag, es fängt mit der Erziehung im Elternhaus an.

Martin Hyun

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false