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Suboptimale Bedingungen: Nur die "echten Radfahrer" lassen sich von solchen winterlichen Temperaturen nicht beirren.

© imago images/Florian Gaertner

Radkolumne „Abgefahren“: Warum der Polarwirbel-Split eine persönliche Kampfansage ist

Unser Kolumnist würde lieber im Warmen Radfahren. Doch Rad-Profis wie Marcus Burghardt müssen einiges an Kritik einstecken für ihr Training an der Sonne.

Michael Wiedersich ist Sportjournalist und Radsporttrainer. Hier schreibt er im Wechsel mit Läuferin Jeannette Hagen.

Sanft fallen Schneeflocken vom Himmel. Die Straßen sind weiß bedeckt. Und vor allem ist es sehr kalt. Die echten Radfahrer lassen sich davon nicht beirren. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich sie. Zugegebenermaßen sind es nicht so viele. Mit großer Kraftanstrengung versuchen die Unentwegten gegen den eisigen Wind auf dem ungeräumten Radweg eine fahrbare Spur zu finden.

Sie kommen nicht so schnell voran wie sonst, das scheint derzeit nicht wichtig zu sein. Hauptsache Radfahren. Ganz Mutige nutzen sogar die Fahrbahn. Dort ist es deutlich gefährlicher bei diesen Verhältnissen, doch wenigstens die Schneeräumer geben alles. Obwohl, das Streusalz tut den zweirädrigen Stahltigern vermutlich nicht so gut.

Die einschlägigen sozialen Netzwerke sind voll mit radfahrenden und gut gelaunten Schneemännern und -frauen. Einige meiner Online-Freunde zeigen stolz, dass das Winterwetter sie nicht am Radeln hindern kann. Warm eingepackt strahlen Menschen mit Bärten aus Rotz und Eis in die Kamera, im Hintergrund das Winter-Wonderland. Oder sie präsentieren wie eine Jagdtrophäe ihren mit Schnee zugesetzten Zahnkranz.

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Ich bin wohl kein echter Radfahrer, mir ist das zu kalt. Der Kleiderschrank ist voll mit hochfunktionalen Radklamotten, die extra einmal für solches Wetter angeschafft wurden. Nur mein Motivationslevel draußen Rad zu fahren sinkt proportional zu jedem Minusgrad. Die persönliche Grenze für das Outdoorfahren liegt bei knapp unter 0 Grad und ist zudem abhängig vom Feuchtigkeitsgrad. Ich bin also schon lange aus dem Spiel. Es mag Winter sein, den Polarwirbel-Split betrachte ich inzwischen als eine persönliche Kampfansage an meine gute Laune.

Die üblichen Rad-Hotspots sind wie leergefegt

Am liebsten wäre ich jetzt irgendwo, wo es wärmer ist. Mallorca zum Beispiel. Bei angenehmen 15 bis 20 Grad lacht meist die Sonne vom Himmel. Leider hat das Corona-Virus vor der Baleareninsel nicht Halt gemacht. Da möchte man auch nicht mit Marcus Burghardt tauschen. Der Rad-Profi gilt zwar ebenfalls als ein wetterfester harter Hund, zieht aber lieber dort seit über zwei Wochen seine Trainingsrunden. Die Straßensaison hat bereits begonnen. Doch der Routinier muss offenbar einen Trainingsrückstand aufholen, damit er zu den Frühjahrsklassikern Form hat. Die üblichen Radfahrer-Hotspots sehen auf seinen Fotos aus wie leergefegt. In den Dörfern scheint kein Mensch auf der Straße zu sein. Da wäre ich jetzt auch gerne, nur so aus Interesse natürlich.

Nicht alle haben Verständnis für Burghardts einsames Trainingscamp in der Sonne. Den einen oder anderen mahnenden Kommentar von wegen Verantwortung und Vorbildfunktion in Zeiten von Corona musste sich der 37-Jährige bereits gefallen lassen. Die Rechtfertigung, dass er dabei nur seinem Beruf nachgehe, können die Kritiker nur schwer nachvollziehen. In seiner bayrischen Heimat bei zwei Grad und Schnee wären jedenfalls 200 Kilometer lange Trainingseinheiten nicht so leicht möglich gewesen.

Die Schneedecke draußen auf der Straße vor meiner Tür ist inzwischen weiter angewachsen. Kälter ist es auch geworden. Ich gehe nachher einmal in den Keller und entstaube die Langlauf-Skier. Dann geht es raus. Für irgendetwas müssen ja die warmen Radklamotten gut sein.

Michael Wiedersich

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