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Nicht unbedingt der Freund des Radsportlers: das Kopfsteinpflaster.

© imago images/Hoch Zwei Stock/Angerer

Radkolumne „Abgefahren“: Indiana-Jones-Momente auf dem Fahrrad

Unser Kolumnist hat sich mit dem Rad auf mittelalterliche Pfade begeben. Nun hat er Blut geleckt und will noch mehr entdecken.

Michael Wiedersich ist Sportjournalist und Radsporttrainer. Hier schreibt er im Wechsel mit Läuferin Jeannette Hagen.

Zuhause kehrt langsam wieder Normalität ein. Denn zuletzt sorgten nicht nur die stundenlangen Übertragungen der Tour de France für eine leichte Beeinträchtigung des Familienlebens. Traditionell feierte ich das schönste Radrennen der Welt mit einer privaten Challenge. Die selbstgesteckte Aufgabe bestand diesmal darin, in jeder Tour-Woche mindestens 700 Kilometer auf dem Rad zurückzulegen. Das Wetter spielte wunderbar mit, Körper und Material ebenfalls, das Ziel wurde am Ende sogar ein wenig übertroffen.

Ich war stolz und zufrieden. Nur die Kulturbeauftragte des Hauses konnte sich ob meiner freiwilligen Selbstkasteiung das eine oder andere Kopfschütteln nicht verkneifen. Vielleicht weil sie ahnte, dass ich anschließend nicht einfach wieder in den Ruhemodus zurückkehre. Man muss dem Körper weiter etwas anbieten. Klar, dass da schon das nächste Abenteuer wartet, im wahrsten Sinne des Wortes.

Das neue Gravel-Rad will in seiner natürlich vorgesehenen Umgebung bewegt werden. Das Radfahren wird sich auf die Wege fernab der üblichen Asphaltstraßen verlagern. Und da der Grunewald und die Strecken um die Havel bereits von mir komplett erschlossen sind, muss etwas Neues her. Historische Straßenverläufe haben es mir angetan.

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Inspiration bekam ich durch eine „unabhängige Gruppe von Offroadfahrern“, wie sie sich selbst nennt. Eine ihrer Fahrten sollte sie auf geschichtsträchtigen Pfaden entlang des alten Bernauer Heerweges führen. Dabei handelte es sich um eine mittelalterliche Verbindung von der Spandauer Zitadelle bis zum Hafen Stettins. Ich begann selbst ein wenig über die alten Straßenführungen von Post- und Heerwegen in Brandenburg nachzuforschen.

Fündig wurde ich schließlich bei der Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg (LGB), einem Betrieb der Landesverwaltung Brandenburg. LGB-Pressesprecher Stefan Wagenknecht nahm sich viel Zeit und führte mich in die wunderbare Welt der Kartographie ein. Ein besonderes Projekt ließ mein Entdecker-Herz gleich höherschlagen.

Alte Karten vom Anfang des 18. Jahrhunderts wurden sorgfältig digitalisiert und für jeden kostenfrei zugänglich gemacht. Auf der Webseite der Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg kann man diese alten Folianten virtuell über die heutigen Karten legen und so historische Straßenverläufe nachverfolgen. Die erste Tour war schnell geplant.

Ziel war ein Teilstück einer alten Handelsstraße zwischen Tremmen, nordwestlich von Potsdam, und der Stadt Brandenburg. Die Anreise von Berlin erfolgte über die Glienicker Brücke und vorbei am Schloss Cecilienhof standesgemäß mit dem Rad. Asphalt, Wiesenwege und Schotterstraßen wechselten sich ab, das war alles nicht sonderlich spektakulär.

Doch es gab auch die Indiana-Jones-Momente, wenn unvermittelt nach einem langen Abschnitt mit Betonplatten plötzlich großflächig verlegtes, uraltes Kopfsteinpflaster unter den Reifen lag. So ähnlich muss sich der berühmte Film-Archäologe gefühlt haben, wenn er gerade ein besonderes Artefakt gefunden hatte. Ein Hauch von Mittelalter wehte über den Weg.

Kaum zu Hause angekommen, machte ich mich begeistert an die Planung der nächsten Entdeckungsreise. Nicht ganz sicher bin ich allerdings, wie ich den etwas verständnislosen Blick der Kulturbeauftragten deuten soll. Aber vielleicht möchte sie einfach nur beim nächsten Mal gerne mitkommen.

Michael Wiedersich

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