zum Hauptinhalt
Zwei Männer, die sich lieben.

© picture alliance/Anatoly Malts

Queer in Russland: „Wir sind Bürger zweiter Klasse“

Der Vorsitzende des russischen LGBT-Sportverbands, Alexander Agapov, über die Aufmerksamkeit während der WM, Thomas Hitzlsperger und Fußball hinter verschlossenen Türen.

Herr Agapov, die Augen der Welt sind während der WM auf Russland gerichtet. Millionen von Menschen aller Hautfarben und sexueller Orientierungen sind nach Russland gekommen. Andererseits hing an einer Bäckerei in Moskau im letzten Jahr das Schild „Keine Schwuchteln erlaubt“. Glauben Sie, das Turnier wird langfristig etwas verändern?

Momentan sieht es ganz gut aus: Wir haben einen Unterstützerbrief von der Ombudsfrau des Russischen Fußballverbandes bekommen. Das ist ein wichtiges Zeichen der Anerkennung. Allerdings glaube ich nicht, dass wir die gleiche Unterstützung bekommen, wenn die WM vorbei ist. Deswegen wollen wir den Augenblick nutzen. Aber es ist viel zu tun: Das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, gab es nur drei Publikationen zum Thema Diskriminierung auf der Webseite des Russischen Fußballverbandes. Auf Konferenzen im Ausland werde ich oft von lesbischen, schwulen, bisexuellen und transsexuellen (LGBT)-Fans gefragt: „Kann ich sicher nach Russland reisen?“ Ich antworte dann, dass es genügend Sicherheit geben wird. Aber die Frage sollte eigentlich sein: „Wie geht es euch LGBT-Menschen in Russland?

Wie geht es Ihnen denn?

Kennen Sie den Ausdruck „potemkinsche Dörfer“? Nach außen sieht alles makellos aus, aber dahinter gibt es nichts. Ich versuche gerade, die ausländischen Botschaften auf unsere Situation aufmerksam zu machen und dort Veranstaltungen zu organisieren. Die Britische Botschaft hat uns schon abgesagt, von den anderen bekomme ich zwar positive Signale, aber keine handfeste Unterstützung. Nur das Goethe-Institut öffnete seine Türen, als wir dort einen Film zeigen wollten. Wir hängen von der Unterstützung der Botschaften und von Startgeldern bei unseren Turnieren ab. Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen bekommen wir nur wenig, denen ist das Thema zu unattraktiv.

Und wie behandeln die staatlichen Institutionen Sie? Die Gesetze zum Verbot der „Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen“ und die Einstufung vieler NGOs als „ausländische Agenten“ dürften Ihr öffentliches Engagement ja erschweren.

Ja, das Gesetz verkompliziert uns die Arbeit schon sehr. Ein Beispiel: Wenn wir ein Sportevent organisieren wollen, müssen wir einen Veranstaltungsort finden, entweder einen öffentlichen oder einen privaten. Dabei hat die Verwaltung der Turnhallen oft Angst, dass sie dadurch ihren guten Ruf verlieren, dass sie uns beherbergen. Oft sagen sie uns dann in letzter Minute ab. Wir müssen häufig mehr Geld aufwenden als reguläre Veranstalter, weil wir alle Spielfelder mieten müssen, obwohl wir nur ein oder zwei benötigen. Denn wegen des Gesetzes dürfen keine Kinder auf den benachbarten Feldern spielen – wir könnten sie mit dem offenen Ausleben unserer sexuellen Identität negativ beeinflussen. Außerdem stehen Schwule im Verdacht, grundsätzlich pädophil zu sein. Dazu kommt, dass wir private Sicherheitskräfte einstellen müssen, um uns vor Angriffen zu schützen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Was machen all diese Repressalien mit Ihnen?

Wir fühlen uns wie Bürger zweiter Klasse. Und es schafft ein Gefühl der Unsicherheit: Wenn wir Werbung für unsere Veranstaltungen, zum Beispiel für unsere Hallenfußballturniere, machen, dann können wir nicht einfach die Adresse auf das Plakat schreiben. Wir geben eine Telefonnummer an und wer interessiert ist, kann dort anrufen und sich informieren, wo das Turnier stattfindet. Wenn wir einfach den Veranstaltungsort bekanntgeben könnten, kämen bestimmt viel mehr Menschen.

Was erhoffen Sie sich von der WM?

Mehr Sichtbarkeit. Wir sind gut vernetzt mit internationalen Organisationen für LGBT-Sportfans und -Sportler, fahren zu Veranstaltungen wie den Gay Games 2010 in Köln. Wir freuen uns darauf, sie zur WM hier zu sehen und würden uns sehr wünschen, wenn Thomas Hitzlsperger noch einmal kommen könnte, wenn wir unser Fußballfest feiern. Er war schon im Mai hier und zeigte großes Interesse an unserer Initiative. Ich würde mir allerdings mehr Konsequenz von den Organisatoren und von der Fifa wünschen. Ich verstehe nicht, wie sie Grosny als Stützpunkt für die WM-Teams wählen konnten.

Sie spielen auf die Verschleppung von mehr als 100 mutmaßlich Homosexuellen und die Ermordung von drei Festgenommenen in Tschetschenien an?

Genau. Russland ist ein riesiges Land, in dem die Einstellung gegenüber LGBTQ stark variiert. Im muslimisch geprägten Tschetschenien ist die Repression schlimm, internationale Fans, die dort ihr Team unterstützen wollen, müssen vorsichtig sein. Außerdem sendet die Nominierung als Unterkunftsort ein Signal. Die Fifa sollte so etwas wissen und sich deutlich positionieren. Das gilt auch für die Bewerbung von Marokko für die WM 2026 – ein Land, das Homosexualität kriminalisiert.

Ist Russland also doch nicht so sicher, wie Sie vorhin sagten?

Es ist sicher, wenn man weiß, wie man sich zu verhalten hat. Prinzipiell sind alle Orte gefährlich, sogar Moskau und St. Petersburg. Als queerer Mensch in Russland baut man enge Freundeskreise um sich herum auf, man überlegt zwei Mal, wem man sich anvertraut. Denn auch wenn ausländische queere Fans hier kein Problem haben werden, weil die Regierung daran interessiert ist, eine makellose Oberfläche und straffe Sicherheitsvorkehrungen zu zeigen: Die Stimmung ist feindselig. Ein berühmter Werbespot gegen die liberale Kandidatin Xenia Sobchak zeigt einen Mann, der nicht wählen gehen will. Er wacht auf, vor der Tür stehen zwei Soldaten, einer davon schwarz, und verkünden, dass er zum Militär eingezogen werde. In der Küche sitzt ein tuntig aufgemachter Mann und informiert ihn, dass ein Gesetz ihn verpflichte, Schwule und Lesben bei sich aufzunehmen. Derselbe schwule Mann liegt danach bei ihm im Bett. Die Botschaft: Ein Schwuler in deinem Haus ist das absolute Horrorszenario und wenn du gar nicht oder liberal wählst, übernehmen sie dein Haus und belästigen dich sexuell. So denkt die russische Gesellschaft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false