zum Hauptinhalt
Immer noch ein Held in Brasilien: Pelé wird 75.

© Sebastião Moreira/dpa

Pelé zum 75. Geburtstag: Der Michelangelo mit der 10

Brasiliens Nationalheiligtum Pelé wird heute 75 Jahre alt. Über sich selbst hat er einmal gesagt: "Ich war der Beste." Eine Würdigung zum Geburtstag.

Er hat auch reichlich Blödsinn angestellt. Etwa als Schauspieler in John Hustons „Flucht oder Sieg“, einem Hollywood-Melodram über eine Mannschaft tapferer Kriegsgefangener, die hinterlistige Nazis besiegen. Oder als Autor des Romans „The World Cup Murder“, der glücklicherweise nie auf Deutsch erschienen ist. Oder, im Spätwerk, als Werbefigur für ein Potenzmittel, über dessen Notwendigkeit er im Nachgang den bemerkenswerten Satz formulierte: „Wenn man gesund im Kopf ist, braucht man kein Viagra.“

Alles vergeben und vergessen.

Die Größe eines Großen definiert sich nicht allein über seine Großtaten, sondern auch über die Bereitwilligkeit des Publikums, ihm seine Schwächen nachzusehen. So war das beim Weiberhelden Pablo Picasso oder beim Säufer Ernest Hemingway, und so ist das auch bei Pelé, dem wohl größten, weil komplettesten Fußballspieler, den die Welt bis heute gesehen hat. Pelé konnte alles auf allerhöchstem Niveau: dribbeln wie Diego Maradona, dirigieren wie Franz Beckenbauer, köpfen wie Gerd Müller, schießen wie Roberto Carlos.

An diesem Freitag feiert der Brasilianer seinen 75. Geburtstag. Er blickt zurück auf drei gewonnene Weltmeisterschaften, 1365 Spiele und 1281 Tore. Über sich selbst hat er mal gesagt: „Es wird nur einen Pelé geben, wie es auch nur einen Frank Sinatra oder nur einen Michelangelo gegeben hat. Ich war der Beste.“

Das wirkt anmaßend und angemessen zugleich. Pelé kam in der Tat wie ein Naturereignis über den Fußball, als die Brasilianer 1958 bei der Weltmeisterschaft in Schweden das Spiel revolutionierten. Und wer weiß schon, dass diese Revolution beinahe an der modernen Wissenschaft gescheitert wäre. An dem Psychologen, den Brasiliens Trainer Vicente Feola vor der Nominierung des WM-Kaders ins Trainingslager bestellte.

Als Spieler war er dreimal Weltmeister mit Brasilien

Der Mann unterzog alle Kandidaten einer Prüfung und empfahl dem Trainer den dringenden Verzicht auf dieses Bürschlein, das mit seinen 17 Jahren noch zu kindlich sei, als dass es Verantwortung hätte übernehmen können. Feola ignorierte die Empfehlung, und das war wohl die größte Leistung seiner Trainerkarriere. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Pelé kam beim 2:0 im dritten Vorrundenspiel gegen die UdSSR zum ersten Einsatz, traf im Viertelfinale zum 1:0-Sieg gegen Wales, schoss drei Tore beim 5:2 im Halbfinale gegen Frankreich und noch mal zwei beim 5:2 im Endspiel gegen Schweden, darunter jenes berühmte, als er den Ball mit dem Oberschenkel annahm, über einen Schweden lupfte und mit der nächsten Berührung im Tor versenkte. „Nach dem fünften Tor wollte sogar ich applaudieren“, sprach Sigvard Parling, einer der bedauernswerten Schweden. Und die Londoner „Times“ schwärmte von einer „Fußballkunst, die das Verständnis vieler überschreitet“.

Es ist einer Laune des brasilianischen Zeugwarts geschuldet, dass Pelé in Schweden mit der 10 auflief. Das war bis dahin eine Nummer wie alle anderen, beim deutschen Wunder von Bern vier Jahre zuvor hatte sie der aller Ästhetik unverdächtige Kraftprotz Werner Liebrich getragen. Seit 1958 ist das Leibchen mit der 10 den Künstlern vorbehalten. Von Platini über Maradona bis hin zu Messi.

Pelé heißt eigentlich Edson Arantes do Nascimento, und woher er seinen Spitznamen hat, ist nie eindeutig geklärt worden. Sicher ist nur, dass Pelé von Pelé anfangs wenig begeistert war, den Namen aber schnell als Marke registrieren ließ, nachdem er 1958 erst Schweden und dann die Welt erobert hatte.

Bis heute berauscht sich Brasilien an seinen Heldentaten

Die Brasilien damals regierenden Militärs hatten Pelé schnell zum unverkäuflichen Kulturgut erklärt, sodass er seine Karriere durchweg beim FC Santos verbrachte, mal abgesehen von ein paar späten Zirkusjahren bei New York Cosmos. Pelé hat nie in einer großen europäischen Liga gespielt und gilt doch als bester Spieler aller Zeiten – vielleicht auch genau deswegen, denn der vergleichsweise langsame Fußballalltag in Brasilien war seiner Legendenbildung doch sehr förderlich.

Bis heute berauscht sich Brasilien an seinen Heldentaten und sehnt sich nach Nachfolgern, die doch alle im Schatten des Einzigartigen stehen. In den achtziger Jahren war es Zico, in diesen Tagen ist es Neymar. Den einen nannten die Brasilianer „den weißen Pelé“, den anderen „den neuen Pelé“. Doch den wahren Pelé, den gibt es nur einmal.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false