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Die organisierte Kriminalität ist schon lange im Fußball verstrickt.

© Getty Images/iStockphoto

Organisierte Kriminalität: Wie Betrüger den Fußball manipulieren

Im Fußball wird im großen Stil manipuliert. Jetzt will Europa gemeinsam dagegen vorgehen. Doch gerade in Deutschland muss sich noch viel tun.

In Straßburg wollen sie den Fußball retten. Oben im zweiten Stock des hellen, kastenförmigen Europarat- Gebäudes haben sich Ende September Teilnehmer aus 37 Ländern versammelt. Keiner von ihnen tritt hauptberuflich gegen den Ball, dafür arbeiten sie in Ministerien und Staatsanwaltschaften, bei der Polizei und Wettregulierungsbehörden, bei Sportverbänden und Wettanbietern. Es geht um das große Geld, um den Einfluss der organisierten Kriminalität auf das Spiel.

Der Fußball soll geschützt werden vor Betrügern, die ihn manipulieren, um hohe Wettgewinne einzustreichen. Darüber debattieren sie oben im zweiten Stock, bei der dritten Konferenz zum „Kampf gegen die Manipulation von sportlichen Wettbewerben“. Im Mittelpunkt steht der Aufbau von nationalen Plattformen, die als Informationszentren für Hinweise von Spielmanipulation dienen sollen – egal, ob sie von der Polizei, den Sportverbänden oder Wettregulierern kommen.

Die organisierte Kriminalität ist schon lange im Fußball verstrickt. Und die Betrüger hätten sich weiterentwickelt, wie ein Insider verrät. Statt auf einzelne Spieler oder Schiedsrichter zuzugehen, suchen sie zunehmend Vereine in finanziellen Nöten, geben sich als Sponsoren aus und versprechen große Investitionen. Sind sie in den Klub eingedrungen, verpflichten sie Spieler in Zusammenarbeit mit Managern und Beratern, die Begegnungen gezielt für sie manipulieren sollen.

Auch zum 0:4 der Bayern in St. Petersburg gab es Hinweise

Auf diese Weise hat ein chinesischer Unternehmer in den vergangenen Jahren kleinere Klubs in Portugal, Irland, Rumänien, Tschechien, Lettland und Litauen übernommen und Spielergebnisse in Auftrag gegeben. Auch Klubs in Österreich, der Schweiz, Italien und Spanien wurden ähnlich infiltriert. Mit absolut sicheren Tipps können die Drahtzieher dann auf ihre eigenen Spiele wetten. Und manchmal geht es auch um Schmiergeldzahlungen im ganz großen Fußball.

Genau zehn Jahre ist es jetzt her, dass eine Nachricht aus Spanien nicht nur den deutschen Fußball, sondern ganz Europa aufschreckte. 0:4 hatte Bayern München im Frühjahr 2008 gegen Zenit St. Petersburg im Uefa-Cup-Halbfinale verloren. 0:4! Was sich einige angesichts des so deutlichen Ergebnisses kaum zu vermuten trauten, war dann ein Vierteljahr nach dem Spiel in spanischen Zeitungen zu lesen. Dass es womöglich nicht mit rechten Dingen zuging. Dass manipuliert wurde. Gezahlt wurde für ein bestimmtes Ergebnis. So mutmaßten es „El Pais“ und „ABC“.

Den Zeitungen lagen Telefonprotokolle einer Petersburger Mafia-Bande vor. Es ging um Mord, Entführungen, Drogenhandel – und das Fußballspiel zwischen München und St. Petersburg. „Sie haben sie bezahlt, verdammt“, sagt da einer mit dem Decknamen „Mischa“ in einem Telefonat mit einem gewissen Gennadi Petrow.

„Weißt du, wie viel sie Bayern gegeben haben? 50 haben sie gegeben“

Die Justizbehörden in Spanien hatten schon länger gegen die sogenannte Tambowskaja-Mafia ermittelt – und ließen schließlich 18 führende Köpfe der Gruppierung verhaften, auch Petrow. Als „größte russische und weltweit viertgrößte Verbrecherorganisation“, bezeichnete Ermittlungsrichter José Grinda die Tambowskaja-Bande damals. Sie soll enge Verbindungen zu hochrangigen russischen Regierungsvertretern gepflegt haben – und wohl auch zu Zenit St. Petersburg. „Weißt du, wie viel sie Bayern gegeben haben? 50 haben sie Bayern gegeben“, heißt es in den Telefonprotokollen weiter. In einer anderen Unterhaltung sagte ein anderes Gruppenmitglied zu seinem Kumpanen: „Ich werde dir etwas erzählen, verdammt. Später, nicht am Telefon, erzähle ich dir, wie die Halbfinals und das Finale abgelaufen sind.“

Ist es wirklich möglich, dass ein Halbfinale in einem so hochrangigen Wettbewerb manipuliert wurde? Gerade drei Jahre nach dem Skandal um den Schiedsrichter Robert Hoyzer? Diese Frage bleibt auch zehn Jahre nach dem Münchner Debakel in St. Petersburg unbeantwortet. Spielmanipulationen sind ein schwieriges Feld. Sportverbände und staatliche Behörden müssen sich austauschen. Die Staatsanwaltschaften verschiedener Länder müssen kooperieren. Und sie müssen gewillt sein, Zeit und Ressourcen dafür aufzubringen – und vor allem auch ein Interesse haben, einen Fall wirklich aufzuklären zu wollen.

Für die spanische Justiz war die mögliche Verschiebung eines ausländischen Fußballspiels kaum von Bedeutung. Sie hatte aber nach Informationen von „ABC“ ernstzunehmende Vermutungen, dass die Partie tatsächlich verschoben worden sei. Die Münchner Staatsanwaltschaft sah trotz der Informationen der spanischen Behörden keinen Anlass zu ermitteln.

Nach weiteren Geschichten über das Spiel Zenit gegen Bayern im Jahr 2010 trafen sich Michel Platini und Gianni Infantino, damals Präsident und Generalsekretär des europäischen Dachverbandes Uefa, mit den Bayern-Chefs Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner. Danach entschied die Uefa, den Fall zu den Akten zu legen. Seither hat es in der Causa Zenit gegen Bayern keine weiteren Ermittlungen mehr gegeben. Das zeigt, wie wenig Beachtung das Thema Spielmanipulation findet. Dass ein Fall vor Gericht geht, ist die große Ausnahme.

„Es gibt Verbände, die die Dinge lieber nicht beweisen wollen“

Der Wille fehlt. Im Fußball gibt es oft Hinweise auf Manipulationen – wie beim 0:4 der Bayern in St. Petersburg –, ermittelt wird jedoch nur selten.
Der Wille fehlt. Im Fußball gibt es oft Hinweise auf Manipulationen – wie beim 0:4 der Bayern in St. Petersburg –, ermittelt wird jedoch nur selten.

© Matthias Schrader/dpa

Eine EU-Studie von 2012 konnte nur in sieben europäischen Ländern überhaupt gerichtliche Urteile im Bereich Spielmanipulation feststellen. Wer sich jedoch mit Menschen unterhält, die sich tagtäglich beruflich mit der Verschiebung von Fußballbegegnungen beschäftigen, hört von Datenbanken mit 1400 verdächtigen Personen und 200 Vereinen. Diese Zahlen nennt ein ehemaliger Ermittler.

Und die Manipulateure verfügen über weitere Strategien. Stehen sich etwa Spieler desselben Beraters in einer Partie gegenüber, kann es brenzlig werden. Wenn Klub A beispielsweise um den Champions-League-Einzug und die damit verbundenen Millioneneinnahmen kämpft, das Spiel für Klub B jedoch unbedeutend ist, kann der Berater seinen Einfluss missbrauchen. Er setzt Klub B unter Druck, das Spiel zu verlieren, um durch die Mehreinnahmen von Klub A für sich selbst Profit zu schlagen. Willigt Klub B nicht ein, droht der Berater damit, Spieler aus dem Verein zu ziehen oder keine neuen mehr zu vermitteln.

Dieses Szenario ist keine Fiktion. Es stammt aus einem 55-seitigen Bericht des Europarats. Seit vier Jahren hat die Institution mit ihrer Konvention gegen Spielmanipulation einen internationalen Maßstab gesetzt.

Längst nicht alle Länder können Wettinformationen ihrer Anbieter direkt übersehen, wie es etwa in Großbritannien, Frankreich und Italien geschieht. Auch Deutschland ist es noch immer nicht gelungen, mit dem Glücksspielstaatsvertrag zwischen den Bundesländern eine bundeseinheitliche Gesetzgebung für Sportwetten zu schaffen.

Wer sich öffentlich äußert, macht sich nicht nur Freunde

Eine zentrale Konfliktlinie verläuft zwischen den Fußballverbänden und Staatsbehörden. Verbände beklagen, sie könnten keine kriminellen Netzwerke zur Strecke bringen. Behörden bemängeln, nicht genügend Informationen aus dem Sport zu bekommen. „Es gibt Verbände, die die Dinge lieber nicht beweisen wollen“, sagt Marc Tarabella. „Und es gibt andere, die sagen: Das ist ein Problem, das man beseitigen muss.“ Tarabella kennt den verworrenen Kampf gegen Spielmanipulation. Der Belgier ist EU-Abgeordneter, er leitet seit vielen Jahren die Sportintegritätsgruppe und weiß: Wer sich öffentlich über das Thema äußert, macht sich nicht nur Freunde.

Verbände müssen vor allem ein Klima schaffen, in dem sich Hinweisgeber sicher fühlen, aber auch wissen, dass ihre Informationen sinnvoll verwendet werden. Plattformen für Whistleblower gibt es unzählige. Beim Deutschen Fußball-Bund sollen sich Spieler telefonisch oder online an einen dafür zuständigen Rechtsanwalt wenden. Doch was mit den Informationen geschieht, bleibt oft undurchsichtig. „Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem dadurch etwas aufgeklärt wurde“, sagt ein ehemaliger Ermittler.

In einem Bericht des Europarats steht: „In Deutschland werden Verdachtsfälle von Spielmanipulation regelmäßig in den verschiedenen Bereichen gemeldet. Dennoch gibt es keine etablierte Berichtsstruktur zwischen diesen Bereichen und der Strafverfolgung.“ Menschen seien sogar bedroht worden, wenn sie über längere Zeit Behauptungen über die Manipulation von Sportwettkämpfen machen, so der Bericht.

Bei Ante Sapina gelang den Behörden ein Zufallstreffer

Problematisch ist vor allem, dass Deutschland im Aufbau seiner nationalen Plattform anderen Ländern erheblich hinterherhinkt. Während die Polizei für Sportkorruption in Belgien oder die Anti-Doping-Behörde in Dänemark bereits seit Jahren daran arbeiten, im Austausch mit Sportverbänden Informationen über Spielbetrug zu sammeln, ist in Deutschland noch immer unklar, wie und wo die Fäden zusammenlaufen sollen. Zugleich ist die renommierte Bochumer Ermittlungsgruppe „Flankengott“ abgewickelt worden, die 2009 den bis dahin europaweit größten Manipulationsskandal aufgedeckt hatte.

Damals hatten die Bochumer Ermittler im Drogenmilieu Telefongespräche abgehört. Letztlich führte dies zur Enthüllung einer europaweit operierenden Bande von Spielmanipulateuren, darunter der Berliner Wettpate Ante Sapina, die zentrale Figur im Skandal um Robert Hoyzer. Ein Zufallstreffer, genau wie bei der Abhörmaßnahme in Spanien. Mit dem Unterschied, dass die Hintergründe hier bis heute ungeklärt bleiben.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Recherche-Stipendiums „Spielraum“ des Vereins Deutscher Sportjournalisten Berlin-Brandenburg.

Mattis Nothacker

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