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Mutiert zur Muskelmaschine. Ben Johnson (r.) ließ seinem großen Widersacher Carl Lewis (2. v. r.) keine Chance.

© dpa

Olympische Spiele: Wie der Sprinter Ben Johnson die Welt narrte

Vor 30 Jahren rast Ben Johnson über 100 Meter zum Weltrekord und ist der neue Held der Leichtathletik. Drei Tage später beginnt sein großes Drama.

Alles hat seinen Preis, auch der bekannteste Betrüger der Leichtathletik. So sieht das jedenfalls die Managerin des ehemaligen Sprinters Ben Johnson. Ihr Angebot für ein halbstündiges Interview mit Johnson: 2500 US-Dollar. „Die Nachfrage anlässlich des 30-jährigen Jubiläums ist überwältigend“, sagt sie. Und bekanntlich macht die Nachfrage den Preis. Der Tagesspiegel lehnt dennoch ab. Die Frage ist ohnehin, was der Sünder von einst heute noch Erhellendes zu erzählen hat. Gestanden hat er seine Schuld ja schon unmittelbar nach dem bislang aufregendsten 100-Meter-Lauf der Leichtathletikhistorie. Auf der anderen Seite: Die Geschichte ist auch 30 Jahre später noch spannend.

Rückblende, Seoul 1988. Bei den Olympischen Spielen in der südkoreanischen Hauptstadt sprechen und schreiben alle nur von dem großen Duell zwischen „King Carl“ und „Big Ben“. Mit „King Carl“ ist der US-Amerikaner Carl Lewis gemeint. Ein großer, ästhetischer Athlet, dessen Stärke sein Stehvermögen auf den letzten Metern ist. Vier Jahre zuvor hat er bei den Spielen in Los Angeles gleich vier Goldmedaillen gewonnen. Lewis ist nicht nur auf der Bahn die große Figur in der Leichtathletik, sondern auch daneben. Er ist ein schlauer junger Mann, der sich gut verkaufen kann.

Johnson als perfekter Antipode zu Carl Lewis

Doch Lewis hat ein Problem: „Big Ben“ – Ben Johnson. Der in Jamaika geborene Kanadier besiegte Lewis ein Jahr zuvor bei den Weltmeisterschaften in Rom deutlich. Johnson ist der perfekte Antipode zu Lewis. Im Vergleich zum eloquenten Lewis ist er schüchtern und unsicher. In der Schule wurde er gehänselt, weil er stotterte. Im Sport, so erzählte es Johnson immer wieder, habe er ein Vehikel gefunden, um angestaute Frustrationen abzubauen. Der Frust muss groß gewesen sein. Innerhalb weniger Jahre mutiert der Schlaks zu einer Muskelmaschine. Sein Start ist atemraubend, ARD-Reporter Gerd Rubenbauer spricht immer von purem Dynamit, wenn er einen Sprint von Johnson kommentiert.

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Auch am 24. September, dem Finaltag über die 100 Meter, zündet Johnson. Er rennt Carl Lewis und allen anderen davon. Mit schwerer Goldkette um den Hals, erhobenem Arm und gestrecktem Zeigefinger trudelt er die letzten Meter aus und lässt viel Zeit liegen. Trotzdem blinkt auf der Anzeigetafel die unglaubliche Zahl von 9,79 Sekunden auf. Ob ihm der Weltrekord oder die Goldmedaille wichtiger sei, wird er anschließend gefragt. Johnson antwortet: „Die Goldmedaille. Die kann mir keiner nehmen.“

Er liegt sehr falsch. Schon drei Tage später stellt sich der Leiter des Anti-Dopinglabors in Seoul vor die Kameras und erklärt, dass Ben Johnson positiv auf Stanozolol getestet worden sei. Johnson wird die Goldmedaille aberkannt, mit Schimpf und Schande reist er aus Südkorea ab. Erst leugnet er, gedopt zu haben. Aber wenig später schon kommt das große Geständnis, um strafmildernd aus der Sache herauszukommen. Seit 1981 habe er gedopt. Sein Trainer Charlie Francis, Charlie der Chemiker genannt, sowie der berüchtigte Arzt Georghe Astaphan waren die entscheidenden Männer hinter dem Dopingbetrug. Johnson wird für zwei Jahre von allen Wettkämpfen gesperrt. Das Mittel Stanozolol allerdings, so behauptet Johnson bis heute, habe ihm ein Vertrauensmann seines Rivalen Carl Lewis unmittelbar nach dem Rennen in einen Drink gekippt.

Lauf, Johnson, Lauf. Wenn der Kanadier nicht so gern gedopt hätte..
Lauf, Johnson, Lauf. Wenn der Kanadier nicht so gern gedopt hätte..

© imago/Pressefoto Baumann

Der hoch renommierte und inzwischen emeritierte Biochemiker Wilhelm Schänzer erinnert sich noch sehr gut an die Ereignisse von damals – weil er selbst zur Aufdeckung beitrug. „Der Fall Johnson war ein großes Ereignis. Er zeigte wie in der Öffentlichkeit noch nie zuvor, dass Doping ein extremes Problem ist“, sagt Schänzer heute. Schänzer war in den achtziger Jahren Mitarbeiter am Institut für Biochemie der deutschen Sporthochschule in Köln unter dem damaligen Leiter Manfred Donike. Nach Beendigung seiner Promotion forschte Schänzer daran, wie Steroide, auch das bei Johnson gefundene Stanozolol, vom Körper verstoffwechselt werden.

Schänzer hatte großen Erfolg: Die neuen Erkenntnisse konnten die Einnahme der Steroide besser nachweisen. Das Institut von Donike war fortan auf diesem Gebiet führend und entwickelte die Standards für die Dopinganalytik. Gerade in den Jahren 1986 bis 1988 gelang den Forschern um Donike und Schänzer ein Quantensprung in der Nachweisbarkeit von Steroiden.

„Bis dahin waren im Grunde anabole Steroide kaum nachweisbar. Zumal es damals auch keine Trainingskontrollen außerhalb der Wettkämpfe gegeben hat“, erzählt Schänzer. „Die Athleten bauten im Vorfeld ihre Muskelberge mittels der Einnahme von Steroiden auf und hatten nichts zu befürchten, wenn sie die Steroide rechtzeitig absetzten. Johnson hatte dann 1988, wenn man so will, das Pech, erwischt worden zu sein, als die Analytik gerade große Fortschritte erzielte.“

Johnson: "Nicht schuldiger als die anderen"

Dies war auch der Standpunkt von Johnson. „Ich bin nicht schuldiger als die anderen. Sie haben das doch auch gemacht“, sagte Johnson in einer Dokumentation vor fünf Jahren. Und das stimmte in gewisser Weise auch. Von den acht Athleten des Finallaufs von Seoul wurden sechs Läufer im Laufe ihrer Karriere des Dopings überführt. Im Übrigen auch Carl Lewis, bei dem wenige Monate vor den Spielen in Seoul drei verbotene Doping-Substanzen entdeckt worden waren. Das Olympische Komitee der USA vertuschte den Befund jedoch. Als schmutzigster 100-Meter-Lauf in der Geschichte der Leichtathletik wird dieses Rennen oft betitelt. Der mit Abstand größte Schmutz blieb an dem etwas naiven Ben Johnson hängen.

Leuten wie Wilhelm Schänzer fällt es dennoch schwer, Mitleid für Johnson zu empfinden. „Johnsons Aussage, jemand habe ihm Stanozolol in sein Getränk gekippt, halte ich für eine Ausrede“, sagt Schänzer. „Überführte Athleten haben häufig tolle Ausreden. Es gab letztlich keine Anhaltspunkte, die seine These bestätigten. Vermutlich war Johnson im Gegensatz zu seinen Konkurrenten schlichtweg nicht so gut informiert, was die Nachweisbarkeit von Stanozolol betraf.“ Die Opferrolle, in der sich Johnson sieht, ist auch deshalb unglaubwürdig, weil Johnsons Comeback gleich in den nächsten Skandal mündete. 1993 flog er wegen extrem hoher Testosteronwerte auf und wurde lebenslang gesperrt.

Ben Johnson wirkte fromm und schüchtern wie ein Lämmchen, aber er hatte den Körper einer Raubkatze – weil er hemmungslos dopte.

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