zum Hauptinhalt
Kapitän Matthias Sammer (vorn) führt die DDR-Fußballnationalmannschaft auf das Spielfeld.

© dpa

Nur noch 14 Spieler waren in Belgien dabei: "Einig Vaterland" - So lief das letzte Länderspiel der DDR

Vor genau 30 Jahren gewann die DDR mit ihrem letzten Aufgebot 2:0 in Brüssel. Matthias Sammer erzielte beide Tore.

Da wunderten sich die nur 14 Spieler im Kader um den damaligen Neu-Stuttgarter Matthias Sammer und der knorrige Nationalcoach Eduard Geyer gewaltig. Gleich alle drei Strophen der Nationalhymne wurde im Anderlechter Constant-Vanden-Stock-Stadion im Bezirk Brüssel in voller Länge intoniert.

Und es durfte sogar mitgesungen werden, was in der DDR offiziell verboten war: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland.“ Es passte zu diesem historischen Abend vor 30 Jahren.

Zum 293. und letzten Mal trat die DDR an jenem 12. September 1990 zu einem Länderspiel an. 21 Tage später war die Deutsche Demokratische Republik Vergangenheit. „Die Erfahrungen, die ich machen durfte, haben wenige gemacht, sowohl auf dem sportlichen als auch dem persönlichen Lebensweg“, sagte der gebürtige Dresdner Sammer zu den Ereignissen vor drei Jahrzehnten, als auch im Fußball der Eiserne Vorhang fiel.

Ironie der Geschichte: Kurz davor wurden die DDR und die Bundesrepublik Deutschland in eine EM-Qualifikationsgruppe gelost. Zum zweiten offiziellen Duell nach dem 1:0-Sieg der DDR bei der WM 1974 kam es nicht mehr.

Beide Fußball-Verbände hatten sich bereits auf den Zusammenschluss geeinigt, so dass die Partie beim eigentlichen Gruppengegner Belgien nur noch als Freundschaftsspiel ausgetragen wurde. „Ich habe so manches Mal gezweifelt, ob dieses Spiel noch Sinn macht“, erinnerte sich der heute 75 Jahre alte Trainer Geyer.

Mannschaftsfoto vor dem letzten Spiel. Stehend (v.l.); Jörg Schwanke, Uwe Rösler, Detlef Schößler, Andreas Wagenhaus, Heiko Peschke, Jens Schmidt; hockend (v.l.): Jörg Stübner, Heiko Bonan, Matthias Sammer, Heiko Scholz, Dariusz Wosz.
Mannschaftsfoto vor dem letzten Spiel. Stehend (v.l.); Jörg Schwanke, Uwe Rösler, Detlef Schößler, Andreas Wagenhaus, Heiko Peschke, Jens Schmidt; hockend (v.l.): Jörg Stübner, Heiko Bonan, Matthias Sammer, Heiko Scholz, Dariusz Wosz.

© dpa

Rund 150 Spieler aus der ehemaligen DDR wechselten bereits in den ersten fünf Jahren nach der Wende in die Erste oder Zweite Bundesliga. Die besten wie Andreas Thom, Ulf Kirsten, Thomas Doll, Rainer Ernst oder eben Sammer wurden quasi sofort verpflichtet - und das letzte Länderspiel der DDR wurde noch spezieller.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.

Viele hatten keinen Bock mehr und die Westklubs wollten ihre Ost-Profis für diesen Anlass nicht mehr freigeben. „Ich habe wie ein Blöder rumtelefoniert. Doch einer nach dem anderen gab mir einen Korb. Jeder hatte irgendwelche Ausreden oder Ausflüchte“, beschrieb Geyer die Situation. 22 Spieler sagten schließlich ab.

Sammer wäre fast wieder abgereist

Auch Sammer, der beim überraschenden 2:0-Sieg in Belgien zum Held wurde, wäre um ein Haar nicht dabei gewesen. „Beim Treffpunkt in der Sportschule Kienbaum waren nur 13 Spieler da. Das war schwierig. Eigentlich wollte ich nicht bleiben, aber es ging an dem Abend kein Flugzeug mehr“, verriet Sammer.

Schließlich stieg er als 14. Akteur am Morgen danach in den Flieger nach Brüssel. „Es war gut, dass er geblieben ist. So hat er zwei Tore geschossen und sich einen historischen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert“, sagte Geyer, der später als Trainer von Energie Cottbus die Bundesliga-Konkurrenz ärgerte.

Die größten Erfolge der DDR-Nationalmannschaft

  • Gold bei den Olympischen Spielen 1976
  • Silber bei den Olympischen Spielen 1980
  • Bronze bei den Olympischen Spielen 1972
  • 1:0 gegen die Bundesrepublik bei der WM 1974

Sammer, einer der insgesamt 273 DDR-Nationalspieler von 1952 bis 1990, wurde dann weiter zur Symbolfigur der Fußball-Einheit. Am 19. Dezember 1990 durfte er in seiner schwäbischen Wahlheimat im Spiel gegen die Schweiz (4:0) als erster „Ossi“ wieder das Trikot mit dem Bundesadler überstreifen. 23 Spiele für die DDR, 51 für das wiedervereinte Deutschland, der Europameister-Titel 1996, drei deutsche Meisterschaften und ein Champions-League-Triumph mit Borussia Dortmund standen nach Karriereende in seiner Vita.

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen:leute.tagesspiegel.de]

Andere aus dem 14er Team des 293. Länderspiels - 138 wurden gewonnen, 86 verloren bei 69 Remis - machten sich im Westen erst später einen Namen wie Uwe Rösler, der aktuelle Cheftrainer von Fortuna Düsseldorf.

Spieler beschenken sich selbst

„Einen schöneren Abschied hätte es nicht geben können. Die Jungs machten sich selber ein großes Geschenk“, bemerkte damals Geyer, der letzte von insgesamt 14 DDR-Nationaltrainern.

Eduard Geyer war der 14. und damit letzte DDR-Nationaltrainer. Er betreute die Mannschaft ab September 1989.
Eduard Geyer war der 14. und damit letzte DDR-Nationaltrainer. Er betreute die Mannschaft ab September 1989.

© dpa

Die meisten Nationalmannschafts-Einsätze hatte der für Hansa Rostock und den ehemaligen Europacupsieger 1. FC Magdeburg spielende Joachim Streich (102), mit 55 Toren auch DDR-Rekordschütze. Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner kam ebenso auf 100 Länderspiele wie Ulf Kirsten, der davon 49 für den Deutschen Fußball-Verband (DFV) und 51 für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) bestritt.

Was am 21. September 1952 mit einem 0:3 in Polen begann, endete mit dem 2:0 in Belgien. „Ich bin nicht traurig, auch wenn ich mit dieser Auswahl viel erlebt habe“, sagte der heute 53-jährige Sammer später und ergänzte: „Der Gedanke, was wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre, ist mir nicht fremd. Dass ich diesen Weg gehen konnte, auch privat, sehe ich mit Demut und voller Dankbarkeit. Es ist fast ein Gottesgeschenk.“

Gegen Belgien spielten: Jens Schmidt (Jens Adler) - Heiko Peschke - Andreas Wagenhaus, Detlef Schößler - Jörg Schwanke, Jörg Stübner (Stefan Böger), Matthias Sammer, Heiko Bonan, Heiko Scholz (Torsten Kracht), Dariusz Wosz - Uwe Rösler. (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false