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Tua Tagovailoa, bisher Quarterback am College in Alabama, in Aktion. Der 22-Jährige war zuletzt an der Hüfte verletzt.

© dpa

NFL-Draft trotz Coronavirus-Krise ein Großereignis: Ein Dollar für jeden Buhruf

In Las Vegas war vor der Coronavirus-Pandemie längst alles geplant für die Show rund um die Talentwahl. Diese findet trotzdem statt - nur anders als vorgesehen

Roger Goodell hat sich dieser Tage ein Späßchen erlaubt. Der Chef der US-amerikanischen National Football League (NFL) wurde vom Fernsehsender NBC zum bevorstehenden Draft vernommen, der alljährlichen Talentwahl der 32 NFL-Teams, die am Donnerstagabend (Ortszeit) beginnt.

Wenn Goodell in den letzten Jahren die Bühne betrat, um der Welt zu erklären, welcher Klub sich für welchen Nachwuchsspieler entschieden hat, war eine Sache gewiss: dass die Fans den 61-Jährigen gnadenlos auspfeifen. Ranghohen Sportfunktionären eilt eben vielerorts ein zweifelhafter Ruf voraus, da unterscheidet sich die NFL kaum von anderen Verbänden wie etwa der Fifa oder der Uefa.

Für Goodell gehören die Buhrufe jedoch zum guten Ton, wenn man so will. „Das ist ein großer Teil des Drafts, es gehört einfach dazu“, sagt der Liga-Boss. Das Problem in Zeiten der Coronavirus-Krise ist nur: Tausende bunt bemalte, schwer ekstatische Anhänger in den Trikots ihres Herzensklubs wird es in diesem Jahr verständlicherweise nicht geben, die Veranstaltung findet im Grunde unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: Goodell wird aus dem heimischen Keller zugeschaltet sein. Und wenn niemand da ist – wer soll dann bitte pfeifen? Sollte man jedenfalls meinen.

Die USA wären allerdings nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wenn sich nicht auch dafür eine Lösung finden ließe. „Wir mussten uns überlegen: Wie beziehen wir die Fans mit in die Veranstaltung ein? Wie schaffen wir es, dass Buhrufe wie in der Vergangenheit Teil des Events sind?“, sagt Goodell.

Die Antwort lautet einem NBC-Bericht zufolge: Bei jedem Draft-Pick sollen 15 Fans als Montage dazugeschaltet werden. Eine große Brauerei hat bereits angekündigt, für jeden Buhruf während der Übertragung einen Dollar für karitative Zwecke zu spenden.

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Normalerweise ist die Talentwahl eine Art Kickstart in die Football-Saison. Knapp drei spielfreie Monate nach dem Super Bowl am ersten Februarwochenende lechzen die Fans regelrecht nach der amerikanischsten aller Sportarten. Der Draft hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten von einer besseren Hinterzimmerveranstaltung zu einem gewaltigen medialen Happening entwickelt, um das sich Städte mittlerweile mit großem Eifer bewerben.

Von 1965 bis 2015 fand er stets an unterschiedlichen Lokalitäten in New York City statt, seitdem wechseln die Austragungsorte – in diesem Jahr hat die wohl künstlichste Metropole des Landes den Zuschlag erhalten: Las Vegas.

Planungen waren abgeschlossen - dann kam das Coronavirus

Die Planungen für das Event und die spektakuläre Show drumherum waren lange abgeschlossen, als die Coronavirus-Krise ihren Lauf nahm und die USA erschütterte. Vor dem Bellagio, einem luxuriösen Hotel- und Spielkasinokomplex mit seinen berühmten Wasserfontänen, sollte eine Bühne auf einem künstlichen See installiert werden, die aussichtsreichsten unter den künftigen Profis sollten dann mit einem Boot dorthin gebracht werden, bevor sie sich das Jersey ihres künftigen Klub überstreifen. Auch daraus wird nun logischerweise nichts.

Spannung und gute Geschichten verspricht der Draft 2020 trotzdem wieder – weil es sich seit jeher um einen Tag handelt, der über Karrieren entscheiden kann, über Erfolg und Misserfolg ganzer Vereine. 1998 etwa stritten sich die Experten allen Ernstes darüber, wer wohl das größte Nachwuchstalent des Jahrgangs sei: Ryan Leaf oder ein gewisser Peyton Manning?

Die Indianapolis Colts entschieden sich in weiser Voraussicht für Manning, der zu einem der besten Quarterbacks der NFL-Geschichte aufsteigen sollte und bis heute zahlreiche Rekorde hält. Die San Diego Chargers hatten ein weniger gutes Händchen: Sie entschieden sich für Leaf, dessen Profi-Karriere keine vier Jahre später und ohne große Vorkommnisse auch schon wieder beendet war.

Video aus College-Zeit sorgt für Wirbel

Für die verrückteste Geschichte der letzten Jahre sorgte 2016 Laremy Tunsil. Der 1,96 Meter große und 140 Kilogramm schwere Spieler aus der Offensive Line galt als herausragendes Talent und potenzieller Nummer-Eins-Pick. Als der Draft gerade begonnen hatte, tauchte über die sozialen Netzwerke dummerweise ein Video aus seiner College-Zeit auf, das ihn mit einer Wasserpfeife beim Konsum von Marihuana zeigte.

Später stellte sich heraus, dass Tunsils Twitter-Account gehackt worden war. Viele Teams, die vorher Interesse an ihm gezeigt hatten, nahmen nun Abstand. Die sogenannten „Off the field issues“, also Probleme jenseits des Footballfeldes, sind ein zentrales Kriterium für viele Manager und Scouts. Tunsil wurde schließlich an 13. Stelle gezogen, die Nummer dürfte ihn jedoch einen dicken Vertrag und mehrere Millionen Dollar gekostet haben.

Immerhin: Mittlerweile hat sich Tunsil bei den Profis durchgesetzt und gehört zu den Besten auf seiner Position. Auch er wird ab Donnerstag garantiert einschalten, wenn die NFL ihre Stars von Morgen kührt.  

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