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Auch der Neuseeländerin Laurel Hubbard wurden Wettbewerbsvorteile vorgeworfen. Sie war als erste Athletin, die offen trans ist, in Tokio gestartet.

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Neue IOC-Regularien für trans Athlet*innen: Mehr Testosteron heißt nicht mehr Vorteile

Künftig sollen einzelne Sportverbände über den Umgang mit trans Athlet*innen entscheiden. Die bisherige Testosteron-Obergrenze entfällt damit.

Es ist ein kontroverses Thema, das die Sportwelt immer wieder beschäftigt: Der Umgang mit trans Athlet*innen bei internationalen Wettbewerben. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat Ende letzten Jahres einen neuen Regelrahmen vorgelegt. Mithilfe von zehn Prinzipien sollen „Fairness, Inklusion und Nicht-Diskriminierung“ im Umgang mit trans Athlet*innen gewährleistet werden, insbesondere in Hinblick auf die Zugangsregeln für die Wettbewerbe der Frauen.

Bisher mussten trans und intergeschlechtliche Athletinnen einen bestimmten Testosteronwert unterschreiten, um an Wettbewerben teilnehmen zu dürfen.

Das bekannteste Beispiel ist die südafrikanische Olympiasiegerin Caster Semenya, die sich weigerte, ihren Testosteronwert durch Medikamente zu senken und deshalb nicht mehr bei Wettkämpfen über 400 und 1600 Meter starten durfte. Auch der neuseeländischen Gewichtheberin Laurel Hubbard wurden Wettbewerbsvorteile vorgeworfen. Sie war als erste Athletin, die offen trans ist, bei den Olympischen Spiele in Tokio gestartet.

Das IOC beschäftigt sich seit einigen Jahren verstärkt mit der Thematik. In einem Interview mit dem Tagesspiegel sprach IOC-Direktorin Marie Sallois von einem „sehr komplexen Thema“. Das Komitee hat nun einen neuen Regelrahmen beschlossen, nach dem es kein einheitliches Testosteronlevel mehr gibt, das trans Athlet*innen unterschreiten müssen, um zu Wettkämpfen zugelassen zu werden. Stattdessen wird die Verantwortung auf die jeweiligen Sportarten übertragen. Sie sollen künftig entscheiden, ob eine Person einen „unfairen Leistungsvorteil“ hat.

Weiter wird betont, dass Athlet*innen nicht zu medizinischen Untersuchungen oder Eingriffen gezwungen werden dürfen, rechtlich bindend ist der Regelrahmen aber nicht. Die neuen Prinzipien sollen ab März innerhalb der Sportverbände verstärkt thematisiert werden.

Entscheidung folgt wissenschaftlichen Erkenntnissen

Die Entscheidung geht einher mit wissenschaftlichen Studien, die keine Vorteile für Athletinnen mit hohem Testosteronlevel gezeigt haben. In der Korrektur einer Studie, die im „British Journal of Sports Medicine“ veröffentlicht wurde, schrieben die Autor*innen, dass sich der Zusammenhang von Testosteronwert und sportlicher Leistung nicht belegen ließe.

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Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) freut sich, dass das IOC „den wissenschaftlichen Erkenntnissen gefolgt ist“. Gleichzeitig findet sie es schade, dass die Entscheidung den Vereinen und Verbänden überlassen wird. „Ich fürchte, das führt später zu einem Wildwuchs, wo es weiterhin zu Diskriminierung kommen wird. Das hätte man besser regeln können.“

Die südafrikanische Olympiasiegerin Caster Semenya weigerte sich ihren Testosteronwert durch Medikamente zu senken und darf deshalb nicht mehr bei Wettkämpfen über 400 und 1600 Meter starten.
Die südafrikanische Olympiasiegerin Caster Semenya weigerte sich ihren Testosteronwert durch Medikamente zu senken und darf deshalb nicht mehr bei Wettkämpfen über 400 und 1600 Meter starten.

© imago images

Welchen Einfluss der neue Regelrahmen auf deutsche Sportvereine haben könnte, diskutierten Monro und weitere Teilnehmer*innen beim Online-Podium „Transidentität und Sport“ von Tennis Borussia. Monro glaubt, dass die Berliner Vereine darauf warten würden, dass das Thema „von oben delegiert wird“.

Anne-Marie Kortas, ehemalige stellvertretende Vorsitzende der deutschen Rugby-Frauen, sieht das ähnlich: „Sport ist sehr viel Ehrenamt und im Endeffekt hat man das Gefühl, es wird erwartet, dass ehrenamtliche Menschen sich mit einem höchst komplexen Thema auseinandersetzen, wissenschaftliche Studien durchforsten und selbst Argumente finden.“

Auch im deutschen Rugy gibt es Hoffnung

Der Berliner Fußballverband (BFV) nimmt in Deutschland beim Thema trans und Sport eine Vorreiterrolle ein. Er hat 2019 ein Modell entwickelt, nach dem trans Personen während ihrer Transition selbst entscheiden können, in welchem Team sie spielen möchten, und sich auch Spieler*innen mit dem Geschlechtseintrag divers anmelden dürfen.

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Dennis Magnus hat dadurch nach seinem Outing als trans Mann die Möglichkeit, weiter in dem Frauenteam zu spielen, in dem er seit 2011 ist. In einem anderen Bundesland hätte er wohl aufhören müssen: „Ich spiele schon so lange Fußball im Verein. Von heute auf morgen aufhören zu müssen, wäre nicht gut gewesen.“

Der deutsche Hockeybund (DHB) hat die Regelung des BFV sogar bundesweit umgesetzt. Und auch im deutschen Rugby gebe es Hoffnung, meint die Spielerin Anne-Marie Kortas. Schließlich sei kein einziger Landesverband dem Vorstoß des Weltverbandes, trans Frauen aus Frauenteams auszuschließen, gefolgt. „Es gab viele Aufschreie aus klassischen Rugbyländern, die alle eigene Regeln getroffen haben, die den Regelungen des Weltverbandes widersprechen.“

Die Rugbyverbände zeigen, dass es auf nationaler Ebene möglich ist, sich von höheren Instanzen zu lösen und eigene inklusive Regularien zu schaffen. Der neue Regelrahmen des IOC dürfte dazu beitragen, dass weitere Sportarten nachziehen.

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