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Nadine Angerer, 40, hat schon zwei Mal die WM gewonnen. Sie beendete 2015 nach 146 Länderspielen ihre internationale Karriere.

© imago sportfotodienst

Nadine Angerer im Interview: Mehr Geld? „Die Spielerinnen müssen das anzetteln!“

Die Ex-Nationaltorhüterin über zu geringe Prämien im Frauenfußball, die Titelchancen der Deutschen – und ihren Hass gegen ein Teambuilding-Event.

Nadine Angerer, 40, hat mit der deutschen Nationalmannschaft zweimal den WM-Titel gewonnen. Die Torhüterin beendete 2015 nach 146 Länderspielen ihre internationale Karriere.

Wir haben mit ihr vor dem deutschen WM-Achtelfinale gegen Nigeria gesprochen.

Frau Angerer, wie oft hätten Sie als deutsche Torhüterin bei dieser WM schon Ihre Abwehr gerüffelt?

Bestimmt das eine oder andere Mal. Das hat Almuth Schult ja auch gemacht – zurecht. Aber es ist ein Lernprozess, es ist eine junge Mannschaft, es ist schließlich eine WM. Es kommt die ganze Aufregung dazu. Die Vorrunde wurde auch genutzt, um sich unter extremem Druck einzuspielen. Ich glaube, jetzt wird alles besser.

Wie bewerten Sie die bisherigen Leistungen des deutschen Teams?

Die Chancenverwertung könnte natürlich viel, viel besser sein. Das ist ein Punkt, den man auch in der K.-o.-Runde verbessern muss, weil man da nicht so viele Chancen bekommt. Aber: Wenn man Chancen nicht nutzt, heißt das ja, dass man sich die Chancen vorher gut rausgespielt hat. Auch wenn viele das anders sehen – ich habe viele spielerische Ansätze gesehen. Wenn jetzt die Nervosität abgelegt wird, die Mannschaft noch mehr zusammenwächst, dann bin ich da sehr optimistisch. Eine deutsche Mannschaft kann sich immer in ein Turnier reinbeißen.

Gab es eine Spielerin, die Sie besonders überrascht hat?

Na klar. Giulia Gwinn, die das Siegtor gegen China geschossen hat. Auch Alex Popp, wie sie das Team leitet – mal abgesehen von den spielerischen Fähigkeiten. Sie ist eine gute Leaderin. Und die ganzen jungen Spielerinnen wie Oberdorf sind gut in die Mannschaft reingekommen.

Überfliegerin: Nadine Angerer hebt Giulia Gwinn (Mitte) besonders hervor, die das erste Tor für Deutschland bei dieser WM erzielte.
Überfliegerin: Nadine Angerer hebt Giulia Gwinn (Mitte) besonders hervor, die das erste Tor für Deutschland bei dieser WM erzielte.

© Stephane Mahe/Reuters

Ihre Nachfolgerin im Tor, Almuth Schult, hat bislang noch kein Gegentor bekommen. Wie schätzen Sie ihre Leistung ein?

Almuth ist absolut Weltklasse, wenn sie auf dem Boden bleibt und sich fokussiert. Dann gibt es keine, die besser ist. Für mich ist sie die kompletteste und daher auch die beste Torhüterin der Welt.

Von den deutschen Spielerinnen wird während dieser WM immer wieder der Teamgeist betont. Um den zu stärken, gab es verschiedene Events. Unter anderem haben die Spielerinnen im Trainingslager Wünsche auf Holzstücke geschrieben und dann ins Feuer geworfen. Was war die komischste Team-Aktion, die Sie erlebt haben?

Zu meiner Zeit gab es immer die zwei schlimmsten Sachen, die man machen konnte: Bowling und Karaoke. Zwei Sachen, die ich echt hasse. Und irgendwie ist in jedem Mannschafts-Bonding immer Bowling dabei. Aber klar, das Team steht im Vordergrund, und da habe ich mich auch immer untergeordnet.

Also haben Sie dann mitgebowlt.

Sagen wir mal so: Ich war immer physisch anwesend.

Wie weit kann es für das deutsche Team gehen?

Realistisch gesehen kann die Mannschaft ins Halbfinale kommen. Aber ich habe einen Traum: Deutschland und die USA im Finale. Meine zwei Herzen: Ich arbeite und lebe schon lange in Amerika und habe einen persönlichen Bezug zu den Spielerinnen. Aber natürlich bin ich Deutsche und habe jahrelang für den DFB gespielt. Dann soll das bessere Team gewinnen.

In den USA sind Sie Torwarttrainerin der Portland Thorns. Vier Ihrer Spielerinnen sind auch bei der WM in Frankreich dabei. Sind die USA wirklich stärker als je zuvor, wie manche meinen?

Das Team hat eine extreme Breite, was den Kader angeht. Erfahrene Spielerinnen wie Carli Lloyd oder Christen Press sitzen auf der Bank. Ob das die beste Mannschaft aller Zeiten ist, weiß ich nicht. Die haben aber – das ist typisch amerikanisch – einen extremen Siegeswillen. Die haben sich richtig eingeschworen, sind physisch absolut top und haben mit Lindsey Horan im Mittelfeld einen Motor. Sie sind sehr schwer zu schlagen, klar.

In den USA hat Frauenfußball einen viel größeren Stellenwert. Teilweise kommen 17 000 Zuschauer zu den Spielen.

Die haben wir in jedem Spiel.

Davon träumen die deutschen Nationalspielerinnen. Doch auch in Europa – zum Beispiel in England – gibt es positive Entwicklungen. Nur in Deutschland scheint das Interesse zurückzugehen.

Das sehe ich genauso. Die Spielerinnen sind gewillt und absolut bereit, vorwärts zu gehen. Aber ich glaube, dass vom Verband auch viel mehr Möglichkeiten geschaffen werden müssen. Die Zuschauerzahlen sind rückläufig – bei der Nationalmannschaft und in der Liga. Wenn ich sehe, dass die Zahlungen des DFB, Tagegelder und Prämien, seit Jahren nicht angeglichen wurden, dann müssen auch die Spielerinnen mehr fordern.

So wie die US-Amerikanerinnen, die deshalb den eigenen Verband verklagt haben?

Vielleicht nicht ganz so krass – aber so, dass man sich mal an einen Tisch setzt und das ein bisschen angleicht, damit es auch besser wird. Sonst müssen die Liga und die Vereine schauen, dass es professioneller wird und mehr Werbung gemacht wird. Es muss Presse da sein, und jemand muss dahinterstehen. Aber es fängt alles beim DFB an. Wenn die ganzen Faktoren zusammenkommen, wird es in Deutschland gut werden. Natürlich muss auch der Erfolg der Nationalmannschaft stimmen. Die ist ja das Zugpferd.

Im Tor war sie eine der besten überhaupt. 2013 wurde Angerer als erste Torhüterin zur Weltfußballerin des Jahres gewählt.
Im Tor war sie eine der besten überhaupt. 2013 wurde Angerer als erste Torhüterin zur Weltfußballerin des Jahres gewählt.

© Ralph Orlowski/Reuters

Beim US-Team treten in der Prämien-Diskussion vor allem Spielerinnen wie Kapitänin Megan Rapinoe und Alex Morgan auf. Rapinoe stellt sich offen gegen Trump. In der deutschen Nationalmannschaft waren Sie immer eine der präsentesten Stimmen – gibt es aktuell noch Spielerinnen wie Sie?

Almuth ist sehr gradlinig. Da haben Sie immerhin eine. Ich will der Mannschaft da aber überhaupt keinen Vorwurf machen, weil es so junge Spielerinnen sind. Die haben gerade andere Probleme. Von den jungen Spielerinnen kann man nicht fordern, dass sie dem DFB sagen: Wir wollen mehr Geld! Das muss von den Erfahrenen wie von einer Poppi, einer Almuth, einer Leupolz oder Benkarth kommen. Die sind schon jahrelang dabei. Das sind die Spielerinnen, die das jetzt anzetteln müssen. Wenn wir über Rapinoe reden, über Press oder Tobin Heath – die sind ja alle über 30. Die müssen nichts mehr beweisen. Die haben ein Standing. Stellen Sie sich mal vor, eine Oberdorf oder eine Gwinn würde so was machen.

Einige deutsche Spielerinnen stehen im Ausland unter Vertrag: Dzsenifer Marozsán und Carolin Simon in Lyon, Sara Däbritz und Leonie Meier wechseln nach Paris beziehungsweise zu Arsenal.

Wenn in Deutschland nichts passiert, werden die deutschen Nationalspielerinnen nicht mehr lange in Deutschland sein. In England, Spanien und teilweise auch in Frankreich kann man viel mehr Geld verdienen. Dann gehen die Spielerinnen halt woanders hin – weil einfach die Kohle stimmt.

Auch während dieser WM wird Frauenfußball immer wieder mit Männerfußball verglichen. Linksverteidigerin Simon bezeichnet solche Vergleiche als „echt lästig“.

Das haben wir vor zehn Jahren auch schon gesagt. Und die Generation vor mir hat das auch schon angekotzt. In keiner anderen Sportart wird so viel verglichen wie im Fußball. Wie oft wird über Männer- und Frauenschwimmen diskutiert? Oder in der Leichtathletik über 100-Meter-Sprinterin gegen 100-Meter-Sprinter? Es ist klar, dass Männer physisch stärker und schneller sind. Das wissen wir doch alle.

Woran liegt es dann, dass der Vergleich immer wieder aufkommt?

Keine Ahnung. Ich habe eine Vermutung, aber die sage ich nicht.

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