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Nach Dopingskandal: Wenig Vertrauen in mögliche Armstrong-Erben

Der Radsport entledigt sich mit Armstrong seiner schillerndsten Figur. Die Siegerlisten bleiben dennoch vergiftet.

In der Hall of Fame wird ein Platz frei, in der Hall of Shame ein neuer Sockel eingerichtet. Objekt der Umbettung ist Lance Armstrong. Aus den Annalen der Tour de France werden seine sieben Siege ersatzlos gestrichen. Nachrücker gibt es wegen Mangels an Vertrauen nicht. Der Titel als „Weltmeister im Dopen“ wird dem Texaner hingegen erhalten bleiben, solange zwei Räder durch Muskelkraft angetrieben werden.

Den letzten Anstoß gab der Radsport-Weltverband UCI am Montag. „Heute nehmen wir Armstrong die sieben Siege weg“, erklärte UCI-Präsident Pat McQuaid auf einer jetzt schon historischen Pressekonferenz in einem Hotel nahe des Genfer Flughafens. Er erkannte damit die Rechtsprechung der US-Dopingjäger von der Usada an, die er bis vor wenigen Wochen noch aufs heftigste bekämpft hatte. Mit dieser späten Einsicht wird eine ganze Epoche umgeschrieben. Denn was viele ahnten, manche wussten, eine erkleckliche Anzahl von Entscheidungsträgern in Sport, Sportbusiness und Medien aber lange nicht zugeben wollte, ist nun von der höchsten Instanz dieses Sports bestätigt: Wer in den letzten anderthalb Jahrzehnten als erster den Zielstrich überquerte, war nicht unbedingt der wahre Sieger, sondern vielleicht nur der beste Doper oder der mit dem teuersten Programm.

Die bemerkenswerte Ermittlung der Usada führte auch zutage, dass nicht alle Profis zur gleichen Zeit dopten. Die Annahme, Doping habe nur das gesamte Feld in eine neue Leistungsdimension gehoben, die Unterschiede zwischen guten Profis und Klassefahrern aber beibehalten, stellt sich in den Akten als bequeme Lüge all jener Athleten heraus, die eigenes Doping als Kavaliersdelikt betrachten. In Deutschland waren dies etwa Jan Ullrich, Andreas Klöden, Stefan Schumacher und Erik Zabel. Die Fahrer lieferten sich den Umständen selbst aus.

Am meisten wird von diesem Montag in Genf aber in Erinnerung bleiben, dass McQuaid die folgenreiche Entscheidung mit dem Satz kommentierte: „Es gibt keinen Platz mehr für Lance Armstrong im Radsport. Er muss vergessen werden.“

Der langjährige Schutzpatron des Texaners zieht eine Bannmeile um denselben. Doch dies wäre ein bisschen viel der Großreinigung. Denn Armstrong war Kind einer ganzen Epoche und später dessen prägendster Vertreter. „Unser ganzes Tourteam, inklusive Armstrong, nahm Epo“, erinnerte sich Motorola-Teamgefährte Stephen Swart an den Sommer 1995. Damals war Armstrong ein Blutdoper unter vielen. Nach seiner Krebserkrankung kam er als entschlossener Dopingorganisator zurück. Er setzte zögerliche Teammitarbeiter wie den sportlichen Leiter Johnny Weltz ins Abseits. Er umgab sich mit einem Netzwerk an Dopern auf wie neben dem Rad. Und er übte – bevorzugt in verteilten Rollen mit Teamchef Johan Bruyneel – Druck auf diejenigen Fahrer aus, die vor Doping zurückschreckten. Ex-Kumpel Frankie Andreu etwa wusste nicht, ob er mehr Angst vor Armstrongs Dopingavancen haben sollte, oder vor dem Ekel, den seine Frau Betsy vor solcherlei Praktiken hegte.

Dass Armstrong von der UCI nun ganz aus dem Radsport verbannt wird und dass dessen US-Postal-Team als Hort des Bösen erscheint – in ihrem Statement erwähnt die UCI nur die Amerikaner, nimmt aber nicht auf die vielen Hinweise zum Doping in anderen Rennställen Bezug –, ist ein durchsichtiger Vertuschungsversuch.

„Sie waren durch den Druck der Beweismittel gezwungen, so zu handeln. Aber sie haben seit Jahren weggeschaut und alles Wissen ignoriert“, sagte Christian Frommert, früherer Sprecher des Teams T-Mobile, am Montag dem Tagesspiegel. „Jetzt faseln sie von einem Neuanfang. Mir wird schlecht dabei.“ Dass die UCI erst am Freitag darüber beraten will, ob Nachrücker zu Siegern erklärt werden, hält er für „Hinhaltetaktik“. Vom Tourveranstalter ASO kam am Montagabend zumindest die Meldung, Armstrong müsse seine Preisgelder zurückzahlen.

Am Mittwoch wird in Paris der Kurs der Tour 2013 vorgestellt. Interessanter als das wird ein Blick in die vergifteten Siegerlisten sein. Unter den potenziellen Nachrückern hinter Armstrong befindet sich bis auf den Kasachen Andrej Kiwilew, der 2001 Vierter wurde und nun in Gedanken auf den dritten Podiumsplatz vorrutscht, kein einziger Profi, gegen den kein konkreter Dopingverdacht vorliegt.

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