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Zwei, die zusammenhalten. Russlands Präsident Putin (rechts) und Sportminister Mutko.

© dpa

Nach Doping-Bericht der Wada: IOC will russische Sportpolitiker nicht bei Olympia

Der Skandal im russischen Sport sprengt alle Dimensionen. Das IOC muss nur noch entscheiden, wie es das Staatsdoping sanktioniert.

Die wichtigste Frage hat die Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nach einer Telefonkonferenz am Dienstag offengelassen, noch: Wird die gesamte russische Mannschaft von den Olympischen Spielen im August in Rio de Janeiro ausgeschlossen? Den Ausschluss hatte unter anderem die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) empfohlen, nachdem der unabhängige Ermittler Richard McLaren Russland am Montag Staatsdoping vorgeworfen hatte.

Was hat das Internationale Olympische Komitee jetzt entschieden?

Das IOC will erst einmal die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs (Cas) abwarten. Bis Donnerstag entscheidet der Cas, ob der Ausschluss russischer Leichtathleten durch den Internationalen Leichtathletik-Verband rechtens ist. Gegen den Olympiabann hatten mehrere russische Leichtathleten geklagt. Hebt der Cas diese Sanktion auf, wird auch das IOC kaum einen Ausschluss der gesamten russischen Mannschaft für Rio durchbekommen.

Es geht um die grundsätzliche Frage, ob eine Kollektivstrafe zulässig ist. Für politisch angebracht halten diese Strafe viele, etwa die Wada und nationale Anti-Doping-Agenturen etwa aus den USA oder Deutschland, weil der Bericht der Wada Russland vorgeworfen hatte, unter Zuhilfenahme des Inlandsgeheimdiensts FSB und unter Kontrolle des Sportministeriums Dopingproben massenhaft vertauscht und gedopten Athleten so den Start bei internationalen Wettkämpfen ermöglicht zu haben. Die Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes beispielsweise hält dagegen einen Ausschluss von ganzen Mannschaften für falsch, weil dann auch unschuldige Athleten betroffen wären.

Einige nachgeordnete Dinge hat das IOC am Dienstag schon beschlossen. So sollen Offizielle des russischen Sportministeriums keine Akkreditierung für die Olympischen Spiele in Rio erhalten. Sportveranstaltungen in Russland wird das IOC erst einmal nicht mehr ausrichten, das betrifft auch die Europaspiele 2019. Und das IOC will Proben russischer Athleten von den Winterspielen 2014 in Sotschi noch einmal untersuchen. Um das Verfahren gegen Russland zu beschleunigen, hat das IOC eine fünfköpfige Disziplinarkommission eingesetzt.

Wie reagiert Russland bisher auf die Vorwürfe?

Bisher antwortet Russland mit einer Doppelstrategie auf die schweren Anschuldigungen. Staatspräsident Wladimir Putin kündigte zum einen an, die verantwortlichen Personen bis zum Ende der Untersuchungen zu suspendieren. Als ersten traf es den stellvertretenden Sportminister Juri Nagornich wurde von Regierungschef Dmitri Medwedew noch am Montagabend von seiner Aufgabe freigestellt, bis die Vorwürfe der Wada geklärt seien. Im Zentrum der Vorwürfe steht allerdings Sportminister Witali Mutko. Der Bericht hatte angedeutet, dass auch Mutko von der Manipulation der Dopingproben wusste. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte jedoch, dass Präsident Putin keinen Grund für eine Entlassung Mutkos sehe: „Witali Mutko wird im Bericht der Wada nicht als Ausführender erwähnt – im Unterschied zu anderen“, sagte Peskow der Agentur Interfax zufolge.

Mutko selbst hat dafür auch schon gehandelt und vier seiner Mitarbeiter freigestellt, seine Beraterin Natalia Schelanowa, die Vizedirektorin für die Sportvorbereitung von Auswahlmannschaften, Irina Rodionowa, den Vizedirektor der Forschungsabteilung, Abak Abaljan, und den Mitarbeiter Alexej Welikodny.

Der andere Teil der russischen Strategie zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen zu erschüttern. Grigori Rodschenkow hatte viele Jahre das Doping-Kontrolllabor in Moskau geleitet, ehe er sich in die USA absetzte und in einem Interview in der „New York Times“ über das russische Dopingsystem berichtete. Ein international anerkannter Dopingforscher sagte dazu: „Es gibt keinen Grund, an der Zurechnungsfähigkeit von Rodschenkow zu zweifeln. Er ist wissenschaftlich nicht die größte Koryphäe, aber auf jeden Fall sehr clever.“ Die Arbeit im russischen Sport habe ihn auch zu einem gewissen Wohlstand gebracht, so zeigte er Besuchern in Moskau mehrere Eigentumswohnungen.

McLaren hatte in seinem Bericht auf die Befragung russischer Offizieller verzichtet und Rodschenkow als absolut glaubwürdig dargestellt. Putin dagegen nannte Rodschenkow einen Mann von „skandalösem Ruf“. Allerdings fußt der Bericht auch auf unzähligen Dokumenten, die McLaren auch noch ausgewertet hat.

Außer Putins Doppelstrategie ist aus Russland noch ein anderer Vorschlag zu hören. Der Fraktionsvorsitzende der nationalistischen Partei LDPR in der Duma Igor Lebedew forderte, die Olympischen Spiele in Rio von sich aus zu boykottieren. So käme Russland einer Entscheidung des IOC zuvor. „Angriff ist die beste Verteidigung.“

Ist auch der Fußball betroffen?

Der Weltfußballverband Fifa ist von den Ergebnissen aufgeschreckt. Dem Bericht zufolge sollen elf Dopingproben aus dem Fußball manipuliert worden sein. Deshalb hat die Fifa nun weitere Informationen von der Wada angefordert und „angemessene nächste Schritte“ angekündigt. In den Fokus ist der Fußball auch durch die Person Mutko gerückt. Der russische Sportminister gehört auch dem Rat der Fifa an – und er ist Präsident des russischen Fußballverbands und Chef des Organisationskomitees für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Mit seiner Rolle, das empfahl die Wada, solle sich nun die Fifa-Ethikkommission beschäftigen.

Was bedeutet der Fall für die weitere Dopingbekämpfung?

Der Bericht von Richard McLaren zeigt die Anfälligkeit des Doping-Kontrollsystems. Die Proben konnten vertauscht werden. Der Bericht hat daher auch die Frage aufgeworfen, wie das System besser geschützt werden könnte. Die größte Schwachstelle sehen Experten gleich am Anfang, bei der Probeentnahme. Zum einen ist es hier immer wieder zu Manipulationen durch Athleten gekommen. Indem sich Frauen beispielsweise mit sauberem Fremdurin gefüllte Kondome in die Vagina eingeführt oder Männer mit einem Katheter Fremdurin in die Blase eingebracht haben. Bei Dopingkontrollen kam es schon vor, dass verschiedene Athleten den Urin ein und derselben Person abgaben. Auch der Kontrolleur ist als menschlicher Faktor ein Manipulationsrisiko. Er ist potenzieller Mitwisser. Ein Vorschlag lautet nun, dem Kontrolleur nicht mitzuteilen, in welches Labor die Dopingprobe geschickt wird. Das macht das Vertauschen der Proben schwieriger, weil die Proben nur mit einem anonymen Code versehen werden.

Wie können solche Skandale künftig aufgedeckt werden?

Ins Rollen gekommen war der ganze Fall des russischen Dopings durch die Läuferin Julia Stepanowa und ihren Mann, einen ehemaligen Mitarbeiter der russischen Anti-Doping-Agentur. Sie leben inzwischen im Exil in den USA. Beide hatten dem ARD-Journalisten Hajo Seppelt umfangreich über das russische Dopingsystem in der Leichtathletik berichtet. Stepanowa wird nun auch mit Anti-Doping-Preis 2016 der Doping-Opfer-Hilfe ausgezeichnet, wie der Verein am Dienstag mitteilte. Hajo Seppelt gehört auch zu den Initiatoren der Plattform Sportleaks, die Whistleblowern wie Stepanowa die Möglichkeit eröffnen will, Insiderwissen über Verfehlungen im Sport weiterzugeben, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Paralympics?

Auch Proben von paralympischen Sportlern wurden im Moskauer Labor manipuliert. In der Rangliste der vertauschten Proben liegt der paralympische Sport mit 35 sogar auf Platz vier hinter Leichtathletik (139), Gewichtheben (117) und den nicht-olympischen Disziplinen (37), also noch vor Risikosportarten wie etwa Schwimmen. Entsprechend fällt auch die Reaktion des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) aus. „Wir sind schockiert, entsetzt und tief betrübt. Die Ergebnisse des Berichts markieren einen dunklen Tag für den Sport.“ Wenn der Bericht ausgewertet sei, werde das IPC über seine Sanktionen entscheiden, auch für die Paralympics, die im September in Rio stattfinden.

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