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Unter Beobachtung. Bundestrainer Joachim Löw (M.), umgeben von Co-Trainer Sorg (r.), Torwarttrainer Andreas Köpke (l.) und Kapitän Manuel Neuer.

© Angelika Warmuth/dpa

Nach der WM und vor der Nations League: Die Nationalmannschaft ist in Teilen verunsichert

Der entthronte Weltmeister empfängt in der Nations League seinen Nachfolger Frankreich. Das birgt ein gewisses Risiko - vor allem für Bundestrainer Joachim Löw.

Thomas Müller schaute ein wenig irritiert. Der Fußballer des FC Bayern München und der deutschen Nationalmannschaft, der in seiner Karriere so ziemlich alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt, sollte sich zu einem Thema äußern, das in seinem Kosmos eigentlich nicht vorkommt. Zum drohenden Abstiegskampf. Tja, so ist das in diesen Tagen und Wochen. Die Nationalmannschaft erlebt Dinge, die man vor kurzem noch für unmöglich gehalten hätte. Als Titelverteidiger in der Vorrunde der WM ausscheiden? Als Gruppenletzter sogar? Gegen Mexiko, Schweden und Südkorea? Guter Scherz! Und jetzt auch noch Abstiegskampf? Wenn’s dumm läuft – ja.

An diesem Donnerstag steht für die Nationalmannschaft das erste Spiel der neu geschaffenen Nations League an: Der entthronte Weltmeister empfängt in München niemand geringeren als seinen Nachfolger Frankreich. „Eine gewisse Symbolik“ erkennt Müller in diesem Duell zwischen altem und neuem Weltmeister. Vor allem aber birgt es für das deutsche Team und dessen angeschlagenen Trainer Joachim Löw ein gewisses Risiko: Die Deutschen dürfen in ihrer Gruppe mit Frankreich und Holland nicht Letzter werden. Sonst steigen sie aus der ersten Division der Nations League in die Zweitklassigkeit ab. Und ein solches Debakel würde selbst Löw nicht im Amt überstehen.

Von diesem Fall gehen sie im Kreis der Nationalmannschaft natürlich nicht aus. Nach dem frühen WM-Aus in Russland gegen die beste Mannschaft der Welt zu spielen, das hört sich erst einmal besonders undankbar an, aber die Nationalspieler haben beschlossen, diese größtmögliche Herausforderung vor allem als Chance zu begreifen. „Das ist eine super Aufgabe, die von der Voraussetzung nicht besser sein könnte“, sagt Thomas Müller. „Nach so einer großen Enttäuschung ist die Motivation natürlich riesengroß.“

"Der Blick geht nach vorne"

Zehn Wochen sind seit dem letzten WM-Spiel vergangen, sechs Tage seit dem Mea-Culpa-Auftritt des Bundestrainers, und nun sitzen, von links nach rechts, Torhüter und Kapitän Manuel Neuer, Julian Brandt und Thomas Müller vor der Presse. Sie hocken eng beieinander, haben die Arme verschränkt und hinterlassen damit einen etwas verhuschten Eindruck. Echten Enthusiasmus verbreiten sie weder mit Worten noch mit ihrer Mimik. Im Gegenteil. Sie wirken fast ein wenig eingeschüchtert – als klinge die WM immer noch nach. „Der Blick geht nach vorne“, sagt Neuer.

Im Rückspiegel aber sind immer noch all die Themen zu sehen, die das Fußballvolk den Sommer über beschäftigt haben: der Umgang mit Mesut Özil und Ilkay Gündogan. Die rassistischen Untertöne in der Debatte um deren Fototermin mit dem türkischen Präsidenten. Das fehlende Feuer in der Mannschaft, das der Bundestrainer beklagt hatte, und auch die mangelnde Geschlossenheit. „Ich kann auf jeden Fall verneinen, dass es Risse im Team gibt“, sagt Thomas Müller zu den angeblichen Verwerfungen. „Eigentlich verstehen wir uns echt gut.“

Die drei Nationalspieler auf dem Podium wägen ihre Worte. Sie wissen, dass sie nach allem, was in diesem Sommer passiert ist, argwöhnisch beäugt werden – und sagen deshalb lieber gar nichts als etwas Falsches. Auf die Frage nach den konkreten Veränderungen, die sich aus der wortreichen Analyse des Bundestrainers in der vergangenen Woche ergeben haben, schauen die drei orientierungslos durch die Gegend und reagieren erst einmal mit gesammeltem Schweigen. Thomas Müller erklärt schließlich, dass die Mannschaft „ein Stück weit offener auf die Leute und die Fans zugehen“ wolle. Bei der Ankunft in München posierten die meisten Nationalspieler jedenfalls schon mal ungewohnt bereitwillig für Fotos mit den wartenden Anhängern.

"Wir haben sehr viel Qualität"

Fußballerisch wird sich die Mannschaft gegen Frankreich wohl etwas anders präsentieren, als sie das bei der WM getan hat – obwohl sie zu Hause spielt und die Arena der Bayern ausverkauft sein wird. Im Training gab es für die Spieler erste Hinweise darauf, wie Löw sich die Herangehensweise vorstellt. Thomas Müller berichtet von der Simulation von Überzahl-Unterzahl-Situationen, in denen die Defensive „mit vollem Einsatz, komme, was wolle“, das eigene Tor habe verteidigen müssen. Dies sei schon ein Fingerzeig, dass der Fokus ein bisschen verschoben werde und die Verteidigung des eigenen Tores eine größere Rolle spielen werde als zuletzt. Besonders schwer ist das nicht. In der Vorbereitung auf die WM hat Löw in dem Bestreben, den Ballbesitzfußball auf die Spitze zu treiben, das Studium der Defensive nämlich komplett vernachlässigt.

Müller glaubt trotzdem nicht, dass „wir komplett von unseren Fähigkeiten abweichen“, dass der Ballbesitz- nun durch Konterfußball ersetzt wird. „Wenn der Ballbesitzfußball nicht zu Toren führt, sieht er oftmals zähflüssig, langsam und langweilig aus“, erklärt Müller. Das spricht aber nicht zwingend gegen den Ballbesitzfußball, sondern nur gegen die Interpretation, die das deutsche Team in Russland gewählt hat. „Wir haben sehr viel Qualität am Ball“, sagt Thomas Müller. „Deshalb sollten wir auch viel den Ball haben.“

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