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"Es ist noch ein langer Weg, den wir gehen müssen, um Substanz aufzubauen", sagte Herthas Trainer Bruno Labbadia nach der Niederlage gegen Frankfurt.

© Bernd König/imago

Nach der Niederlage gegen Frankfurt: Hertha erinnert in Unterzahl an den Chaosfußball der ersten Saisonhälfte

Bruno Labbadia ist unzufrieden nach der Niederlage gegen Frankfurt. Auf der "letzten Rille" laufe seine Mannschaft gerade. Die muss sein System noch mehr verinnerlichen.

Bruno Labbadia sprach von einem „Mistgefühl“, das er in sich trage wegen der Niederlage vom Samstag. „Der Abend und meine Nacht haben mir gar nicht gefallen“, sagte der  Trainer von Hertha BSC am Sonntagmittag in einer virtuellen Medienrunde. Als wenn er einen Kater habe, erzählte er, „obwohl ich nichts trinke“. Labbadia mühte sich, er hatte seine Hände gefaltet, er sprach ruhig und sachlich.
Der 54-Jährige ist lange genug Trainer, er kennt solche Tage, an denen letztlich nichts geht. Er kennt solche Spiele, die wie ein Dämpfer wirken und ein Mistgefühl auslösen. Das hat er als Trainer in Leverkusen, Hamburg, Stuttgart und auch Wolfsburg erlebt – neben den vielen guten Tagen und Spielen. Zuletzt hatte er den VfL aus der Autostadt aus der Relegation in den Europapokal geführt. Nun hat es für ihn als Hertha-Trainer eine schmerzliche 1:4-Niederlage gegen Eintracht Frankfurt gesetzt.

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Hertha wird sich schnell schütteln und straffen müssen für die noch drei ausstehenden Spiele. Schon am Dienstagabend treten die Berliner beim SC Freiburg an, am nächsten Samstag kommt dann Bayer Leverkusen als Gast ins Olympiastadion, ehe es zum Saisonfinale noch einmal nach Mönchengladbach geht. Trotz der Niederlage ist der Klassenerhalt für die Berliner sicher. Nach einem völlig vermaledeiten ersten Drittel der Saison, in dem Schlimmeres drohte, ist wenigstens das kleinste Ziel erreicht. Es war nicht das Ziel, dass Hertha im Sommer ausgegeben hatte.

Hertha wollte vor der Saison noch attraktiveren Fußball spielen lassen

Unter dem neuen Trainer Ante Covic sollte Hertha schöneren, attraktiveren und letztlich auch erfolgreicheren Fußball spielen. Das ging – trotz eines Rekordeinkaufs (20 Millionen Euro für Dodi Lukebakio) bekanntlich völlig nach hinten los. Unter Covics Nachfolger Jürgen Klinsmann konnte um Weihnachten herum zwar ein Komplettabsturz verhindert werden, doch nach dem der Wahl-Kalifornier Anfang Februar eingeschnappt und getürmt war, kam Hertha erneut ins Trudeln. 

Klinsmanns Kurzzeit-Nachfolger Alexander Nouri konnte die Lage kaum stabilisieren. Erst unter Labbadia, dem vierten Trainer der Saison, beruhigte sich die Lage nach Siegen über Hoffenheim, Union und Augsburg.

In Unterzahl erinnerte Hertha an den Chaosfußball unter Covic und Nouri

Doch wie fragil das Ganze bei Hertha trotz aller guten Ansätze noch ist, zeigte das herbe 1:4 im Heimspiel gegen Frankfurt. Es war die zweite Niederlage in Folge, wobei das 0:1 zuvor in Dortmund absolut verkraftbar war. Gegen die Hessen dagegen fiel die Mannschaft nach dem Platzverweis von Dedryck Boyata kurz vor der Halbzeit in alte Muster zurück. In Unterzahl erinnerte Herthas Spielweise an den Chaosfußball unter Covic und Nouri. „Die Gegentore sind zu einfach gefallen“, monierte Labbadia. „Dabei waren wir bei allen Gegentoren in Überzahl, aber wir haben uns nicht gut angestellt.“
Wenn man ehrlich ist, machte sich der Eindruck schon in der ersten Halbzeit breit. Hertha hatte längst nicht die Organisation und Stabilität vergangener Spiele. Vor allem als Per Skjelbred nach einer halben Stunden verletzt ausgewechselt werden musste, ging die defensive Ordnung auf dem Feld vollends flöten. Labbadia bezeichnete den Norweger als „Herzstück“, als den Stabilisator vor der Abwehr. Durch unnötige Ballverluste im Spielaufbau habe man den Gegner immer wieder aufkommen lassen, urteilte Labbadia, „mich schmerzt, dass wir zusammen schlecht verteidigt haben“.

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Das Zweikampfverhalten im Eins-gegen-Eins war schon nicht gut, selbst wenn Hertha den ballführenden Frankfurter mit zwei Spielern anlief und attackierte, kam dieser oft genug vorbei. Die Eintracht übernahm alsbald die Kontrolle über das Spiel, das Hertha nur rund um die Führung kurz in der Hand hatte. In der zweiten Hälfte brachen die Berliner dann komplett ein. „Auch mit nur zehn Spielern kann man das besser verteidigen“, sagte Vladimir Darida.

„Es funktioniert nicht, alles in ein paar Wochen reinzukriegen“

Das, was unter Labbadia kurzfristig auf den Weg gebracht wurde, sei noch lange nicht zementiert, sagte der Trainer. „Es ist noch ein langer Weg, den wir gehen müssen, um Substanz aufzubauen.“ Das liege auch an den Verfehlungen und Zerwürfnissen der ersten Saisonhälfte, allerdings auch der kurzen Zeit seines Wirkens. „Es wäre doch ein Wunder, wenn alles so gefestigt wäre“, sagte er. „Es funktioniert nicht, alles in ein paar Wochen reinzukriegen.“

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Dass Labbadia gegen die Eintracht auf gelernte Flügelspieler verzichtete, habe mehrere Gründe gehabt. Einmal wollte er bewusst die Mitte zumachen und Frankfurt nicht zur Entfaltung kommen lassen, was bis zu Skjelbreds Auswechslung halbwegs aufging. Zum anderen sind Herthas Flügelspieler verletzt oder nicht in Form. Javairo Dilrosun und Maximilian Mittelstädt fielen vor dem Spiel für den Rest der Saison aus, Matheus Cunha ist nach seiner Gehirnerschütterung noch nicht voll einsatzbereit, Marius Wolf und Mathew Leckie sind angeschlagen. Hertha wird sich ins Ziel schleppen. Sein Team, sagte Labbadia, laufe auf der „letzten Rille“.

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