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Zähne zusammenbeißen und durch. Pal Dardai findet sich bei Hertha BSC in einer komplizierten Gemengelage wieder.

© dpa

Nach der 0:6-Niederlage in Leipzig: Bei Hertha BSC grummelt es wieder

Die zweite Klatsche der Saison erhöht den Druck auf Pal Dardai. Dabei ist der Trainer von Hertha BSC vor allem Leidtragender der komplizierten Gemengelage.

Unaufgeregte News: Hertha BSC hat die Auswärtsspiele beim Meister und beim Vizemeister der Vorsaison verloren. Und auch wenn die Resultate – 0:5 beim Meister Bayern München und 0:6 beim Vizemeister Rasenballsport Leipzig – recht happig ausgefallen sind: So etwas wird auch vielen anderen Konkurrenten in der Fußball-Bundesliga im Laufe dieser Spielzeit noch passieren.

Nur: Was ist schon unaufgeregt, in der Bundesliga im Allgemeinen und bei Hertha BSC im ganz Besonderen? Das Spiel in Leipzig war noch nicht einmal abgepfiffen, da gab es bereits den ersten Kommentar von höchster Stelle. Lars Windhorst, Großfinancier des Klubs, hatte Herthas Auftritt bei einem Aufenthalt am Mittelmeer auf seinem Tablet verfolgt. Nach dem 0:6 postete er bei Facebook, er sei so schockiert, dass er jetzt erst einmal einen Drink brauche.

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Windhorst hat 374 Millionen Euro in Hertha investiert, dafür gehören ihm jetzt 66,6 Prozent der Hertha BSC KGaA, und die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass er sich eben nicht als stiller Teilhaber versteht. Denn obwohl der Investor dank der 50+1-Regelung de jure wenig zu sagen hat, nimmt er de facto sehr wohl Einfluss auf die Vereinspolitik. Manchmal reicht schon ein gut vernehmliches Grummeln, um das ohnehin leicht reizbare Umfeld in Wallung zu versetzen.

Das 0:6 in Leipzig, die zweite Klatsche der noch jungen Saison, war natürlich nicht dazu angetan, die Nerven zu beruhigen. Davie Selke, Herthas Mittelstürmer, ahnte im Interview mit dem TV-Sender Sky schon, was er gefragt werden könnte – und sagte ungefragt: „Fangt mir nicht mit Trainerdiskussionen an! Wir stehen hinter dem Trainerteam.“

Pal Dardai hat sehr gut geschlafen

Pal Dardai, der Chef dieses Trainerteams, schickte den gesamten Kader am Morgen nach dem Spiel zum Laufen, während er sich selbst auf dem leeren Trainingsplatz wie immer den Medien stellte. Vor vier Wochen, nach der Pleite bei den Bayern, hat er bei dieser Gelegenheit ein paar unbedachte, auch naive Aussagen getätigt, die den irrigen Eindruck erweckt haben, dass Dardai selbst nicht mehr mit vollem Herzen bei der Sache sei.

Doch der Ungar, von dem viele glauben, dass er vor allem intuitiv und aus dem Bauch heraus handle, arbeitet analytischer, als viele denken, und ist daher sehr wohl lernfähig. Am Sonntag eröffnete er seine Ausführungen mit dem Satz: „Das Wichtigste ist: Ich habe sehr gut geschlafen.“ Voller Elan und mit guter Laune habe er die Kabine betreten. „Ich habe mir nichts anmerken lassen“, sagte er.

Trainer brauchen einen ganzen Strauß an Fertigkeiten, müssen Pädagogen sein, Psychologen, Sportwissenschaftler, Fußballlehrer – und manchmal auch Schauspieler. Nach außen stellt sich Dardai verlässlich vor seine Mannschaft, das hat er auch nach der Niederlage in Leipzig getan. „Wir haben unsere Qualität“, sagte er. Und trotzdem ist es schwer vorstellbar, dass Herthas Trainer die Situation auf die leichte Schulter nimmt, dass er nicht die Probleme in seinem Kader sieht, der alles andere als schlüssig zusammengestellt ist und im Moment auch noch durch Verletzungen arg gebeutelt ist. „Diese zwei großen Niederlagen, das ist schon ein Weckruf für uns alle“, sagte er. „Das ist erst einmal eine schwierige Aufgabe.“

Selbst Hertha muss wegen Corona sparen

Die Erwartungen im Sommer waren andere. Wie viele hatte vermutlich auch Dardai erwartet, dass Hertha im Unterschied zur coronagebeutelten Konkurrenz vergleichsweise freigiebig würde investieren können. Das Gegenteil war der Fall. Hertha musste sogar verkaufen, um die Kosten zu senken, die in den vergangenen Jahren ins Uferlose gestiegen sind. Denn der Klub hat seit Windhorsts Einstieg nicht nur viel Geld für die Verpflichtung neuer Spieler ausgegeben, sondern auch sehr viel Geld für deren Gehälter.

Obwohl im Sommer noch einmal 60 Millionen Euro von Windhorst eingegangen sind, hat der neue Sportgeschäftsführer Fredi Bobic nicht einmal das ausgegeben, was Hertha durch Transfers eingenommen hat – wenn denn die Zahlen stimmen, die kolportiert werden. Der CEO von FK Krasnodar zum Beispiel hat vor kurzem behauptet, nur zehn Millionen Euro für Jhon Cordoba bezahlt zu haben, nicht 20 Millionen. Und Luca Netz hat Hertha nicht etwa vier Millionen Euro eingebracht, wie überall zu lesen war, sondern nur zwei. Mit Bonuszahlungen kann die Ablöse, die Borussia Mönchengladbach für den 18-Jährigen entrichten musste, noch auf vier Millionen Euro steigen.

In gewisser Weise ist Dardai, den auch die Fans zunehmend kritischer sehen, vor allem Leidtragender der Situation. Denn obwohl der Kader im Frühjahr nur knapp dem Abstieg entronnen ist, hat Hertha die drei besten Offensivspieler abgegeben und damit zumindest fußballerisch eine Menge Qualität verloren. Und weil potenzieller Ersatz – wenn überhaupt – erst auf den letzten Drücker gekommen ist, kann von einer geordneten Vorbereitung auf die Saison eigentlich keine Rede sein. „Ich sage immer, dass es sechs Wochen bis drei Monate dauert, wenn du eine neue Mannschaft kriegst“, sagt Dardai. „Und praktisch haben wir vor ein paar Wochen eine neue Mannschaft gekriegt.“

Eine unfallfreie Saison? Das wird schwierig

Das Team halbwegs unfallfrei durch die Saison bringen, das ist Dardais Auftrag. Bis zum Ende der Spielzeit läuft sein Vertrag bei den Profis. Dass er verlängert wird, das wird inzwischen allgemein bezweifelt. Obwohl Dardai die Mannschaft Anfang des Jahres in einer komplizierten Situation übernommen und sie vor dem Abstieg gerettet hat, gab es schon im Sommer Spekulationen, Bobic wolle am liebsten mit einem anderen Trainer in die neue Saison gehen. Dardai selbst hat auf solche Gerüchte angespielt, als er nach der Niederlage bei den Bayern gesagt hat: „Wahrscheinlich sucht Hertha BSC schon seit langem einen großen Trainer. Pal ist ein netter Trainer, ein kleiner Trainer.“

Auch das gehört zu der komplizierten, fast toxischen Gemengelage bei Hertha BSC: dass sich der Eindruck verfestigt, es gebe grundsätzliche Spannungen zwischen Trainer und sportlicher Leitung. Während Dardai nach der Niederlage in Leipzig den Verständnisvollen gab, kritisierte Bobic die Spieler. Keiner von ihnen sei an seine Leistungsgrenze gegangen. „Du musst nicht immer die gleiche Meinung haben“, sagt Pal Dardai. Sonst sei es wie in einer Ehe, wenn man seiner Frau immer erzähle, die Suppe sei gut. „Irgendwann bekommst du eine kalte Suppe.“

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