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Einer der letzten Auftritte für die Eintracht. Niko Kovac vor dem Spiel in Leverkusen.

© dpa

Nach dem Wechsel zum FC Bayern: Niko Kovac: Der Junge vom Leopoldplatz

Mit Niko Kovac ist kommende Saison ein Weddinger Trainer beim FC Bayern. Ein steiler Aufstieg für den Berliner, der mit Eintracht Frankfurt nach Bekanntgabe des Wechsels 1:4 in Leverkusen verliert.

Martin Misdziol sitzt gerade am Steuer seines Fünftonners. Mit Freisprechanlage fährt er über die Autobahn und dem Wochenende entgegen. Eigentlich ein normaler Arbeitstag für den 53-jährigen Kraftfahrer aus Berlin. Trotzdem ist etwas anders an diesem Freitagnachmittag. Denn für gewöhnlich klingelt sein Telefon nicht so häufig, während er Güter von A nach B transportiert. Heute aber, am Tag, an dem Niko Kovac seinen Wechsel zum FC Bayern bestätigt, ist Misdziol ein gefragter Gesprächspartner. Denn als Kovac’ früherer Jugendcoach beim SC Rapide Wedding kennt er den künftigen Bayern-Trainer vermutlich besser, als es viele andere Menschen in diesem Land zu tun glauben.

„Das ist Wahnsinn“, sagt Misdziol mit euphorischer Stimme. Der Junge vom Leopoldplatz, der gefühlt gestern noch in seiner Wohnstube saß und von ihm zu sämtlichen Trainingseinheiten der Berliner Auswahl nach Buckow oder zur Jungfernheide kutschiert wurde, soll nun hinter Bundestrainer Joachim Löw das wichtigste Traineramt bekleiden, das der deutsche Fußball bereithält. Aus dem tiefsten Wedding an die Seitenlinie des deutschen Rekordmeisters. Eine lange Reise.

Eine Reise, auf der Kovac auch am Lessing-Gymnasium in der Schöningstraße in Mitte Station machte. Unzählige Schüler sind seitdem gekommen und gegangen, Lutz Robrecht aber ist geblieben. Er war der Sportlehrer von Niko Kovac und er unterrichtet noch heute an der Einrichtung. Auch nach über 25 Jahren erinnert er sich an seinen damaligen Eleven: „Niko vernachlässigte nie die Schule. Er spendete für den Sportunterricht sogar mal 20 bis 30 Fußbälle. Wir haben seine Karriere immer mit Interesse verfolgt.“

"Niko hat nie die Schule vernachlässigt", sagt sein ehemaliger Sportlehrer

Werdegänge wie die des 46-jährigen Weddingers oder die zweier aktuell (Kevin-Prince Boateng) respektive in Bälde (Jérôme Boateng) von ihm trainierten Bundesligastars mit Berliner Wurzeln können hier als Wegweiser dienen für Heranwachsende, deren Biographien ähnliche Startlinien haben. Das weiß auch Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne): „Das ist ein schönes Zeichen und ich hoffe, dass diese Weltkarriere vielen Jugendlichen aus dem Wedding ein Ansporn ist, auch Karriere zu machen – und zuerst einen Schulabschluss.“

Die Voraussetzungen für seinen Abschluss als Fußballer erwarb Kovac auf dem Bolzplatz an der Ruheplatzstraße und später im vereinsorganisierten Training bei Rapide und Hertha 03 Zehlendorf, wo er ab 1989 kickte. Oliver Kellner, heute Manager der Zehlendorfer Oberliga-Herren, erinnert sich an einen 18-Jährigen, „der damals schon Männermannschaft gespielt und neben gestandenen Profis wie Peter Stark und Jörg Gaedke von Anfang an den Ton angegeben hat“. Relativ schnell ließ Kovac erkennen, dass der Sprung von der kleinen zur großen Hertha unumgänglich werden würde. Kellner erzählt: „Als Niko Anfang der Neunziger bei einem Interview gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, mal bei Hertha BSC zu spielen, lachte er laut los. Zwei Jahre später war er dann da.“

Auch in den jüngsten Wochen hat man Kovac des Öfteren lachen sehen, als er auf eine neue Aufgabe angesprochen wurde. Nachfolger von Jupp Heynckes? Alles Gerüchte. Auf der Pressekonferenz am Freitag gestand er dann zwar seinen Wechsel nach München, beharrte aber nach wie vor darauf, erst am Vortag von den Bayern-Oberen kontaktiert worden zu sein. Dass die Süddeutsche Zeitung nun herausgefunden haben will, dass es schon zwei Wochen zuvor geheime Treffen gegeben haben soll, lässt Kovac als Lügner dastehen. Es ist sogar davon die Rede, dass die Bayern ihm vor einem Jahr dazu geraten haben, sich ja die nun greifende Ausstiegsklausel in seinen Vertrag tippen zu lassen. Alles weniger taktvolle Begleitumstände, die für reichlich Unruhe sorgen können im Ligaendspurt.

Am Samstag unterlagen seine Frankfurter 1:4 gegen Leverkusen

Am Samstag in Leverkusen wirkten Kovac’ Frankfurter zwar nicht abgelenkter als sonst, verloren aber ein wichtiges Spiel gegen einen direkten Konkurrenten im Kampf um die internationalen Plätze. Marco Fabian steuerte den Ausgleich bei, nachdem Julian Brandt früh getroffen hatte. Doch Kevin Volland hatte das letzte Wort mit seinem Hattrick und besiegelte die zehnte Saisonniederlage der Eintracht. Eine deftige Niederlage, nach der die Diskussionen um den Zeitpunkt des Kovac-Wechsels kaum weniger werden dürften.

Martin Misdziol kann aber trotz aller Kontroversen nur Gutes berichten über den Jungen, den er fünf Jahre lang betreut hat. 2006, kurz vor der WM, hat er Kovac bei einem Training auf dem Hertha-Gelände besucht und über alte Zeiten geplaudert. Der bis heute letzte Kontakt. „Niko lebt heute natürlich in einer anderen Welt.“ Ab 1. Juli wird diese Welt die Säbener Straße sein. Hier war Kovac schon als Spieler angestellt, aber noch nicht in der wohl wichtigsten Position im Vereinsgebilde. Misdziol zweifelt jedoch nicht am Format seines Schützlings. „Ich glaube, die Menschen werden sich wundern. Er ist ein intelligenter, professioneller Mann. Er ist zwar kein Ancelotti, aber wahrscheinlich wird er mal einer“, lacht Misdziol. Fragt sich nur, ob er der Ancelotti wird, der dreimal die Champions League gewann, oder der, den die Bayern alsbald wieder vor die Tür setzten.

Mitarbeit: Henrik Hoelzmann, Felix Hackenbruch und Claus Vetter

Steven Wiesner

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