zum Hauptinhalt
Rostocker Anhänger zündeten während des DFB-Pokalspiels im Ostseestadion Sitze und ein Banner des Gegners Hertha BSC an.

© REUTERS/Hannibal Hanschke

Nach Ausschreitungen in Rostock: Wie mit Fan-Krawallen umgehen?

Das Fehlverhalten auf der Tribüne beim Pokalspiel zwischen Rostock und Hertha hatte besonderes Ausmaß. Wie Klubs und Politik damit umgehen.

Was ist passiert?

Das Pokalduell zwischen Hansa und Hertha war von vornherein zum „Hochsicherheitsspiel“ deklariert worden. Mehr als 1700 Polizisten, 300 Ordner und vier Wasserwerfer waren vor Ort, sogar Sprengstoffspürhunde kamen zum Einsatz. Trotzdem schaukelten sich die Emotionen von Minute zu Minute hoch. Vor der zweiten, fast 20-minütigen Pause hatte Schiedsrichter Robert Hartmann die Partie schon einmal für kurze Zeit unterbrochen, weil Böller und Pyrofackeln aus dem Berliner Block geflogen waren. In der Schlussphase uferte es dann richtig aus: Den Anfang machte eine vermeintlich harmlose Choreografie der Hansa-Fans, die nach etwa 75 Minuten ein riesiges, flächendeckendes Plakat mit Vereinslogo ausrollten. Als sie es wieder einrollten, hatten sich etwa 40 Fans vermummt, die öffentlichkeitswirksam und wenige Meter vom Berliner Block entfernt ein Hertha-Banner verbrannten, das vor drei Jahren bei einem Einbruch in einen Lagerraum des Olympiastadions entwendet worden war. Daraufhin eskalierte die Situation, Rauchschwaden vernebelten den Platz und die Teams verschwanden zeitweise in den Kabinen. Nach der Unterbrechung und den Toren durch Mitchell Weiser und Vedad Ibisevic herrschte in Rostock bis tief in die Nacht Ausnahmezustand. Hubschrauber kreisten über der Stadt, der Verkehr kam zwischenzeitlich zum Erliegen und Blaulicht prägte das Stadtbild.

Was steckt dahinter?

Die Fans beider Lager verbindet eine innige Abneigung. Hansa gegen Hertha – das ist zwar kein Derby, aber Berührungspunkte gab es in der Vergangenheit immer wieder, abgesehen von sportlichen Vergleichen. 2015 lauerten Rostocker Hooligans am Schweriner Hauptbahnhof durchreisenden Hertha-Fans auf – es war nur einer von zahlreichen dokumentierten Zwischenfällen, mit denen Rostocker und Berliner Anhänger bundesweit Schlagzeilen machten. 2012 etwa wurde ein Hansa-Fan im Berliner Hauptbahnhof von Unbekannten niedergestochen und schwer verletzt. Zuvor hatte es im Regionalzug Streit zwischen Anhängern beider Lager gegeben, der Fall ist bis heute nicht abschließend geklärt, beschäftigt die Fans aber offenbar weiterhin. Am Montag wurde in der Rostocker Kurve ein Plakat mit dem Aufdruck „Kein Angriff auf Hansa-Fans bleibt ungesühnt“ ausgerollt – eine unzweideutige Anspielung. Erst in der vergangenen Woche verurteilte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den FC Hansa erneut: Wegen unsportlichen Verhaltens in elf Fällen verfügte das DFB-Sportgericht einen Komplett-Ausschluss der Fans für zwei Auswärtsspiele. Umso größer war die Empörung bei den Rostocker Verantwortlichen nach den Ereignissen am Montag: Dem Vorstandsvorsitzenden Robert Marien stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „40 bis 50 Vollidioten ist es anscheinend wichtiger, das eigene Wohnzimmer, das Ostseestadion, abzufackeln als unser Team zu unterstützen“, sagte Marien.

Was sagen die Vereine und der DFB?

Herthas Manager Michael Preetz stand am Montagabend in den Katakomben des Ostseestadions und hätte liebend gern über den 2:0-Sieg und den erfolgreichen Saisonstart seines Vereins gesprochen, über die weitestgehend bundesliga-reife Atmosphäre auf den Rängen oder über ein nicht immer schönes, aber doch recht spannendes, umkämpftes Fußballspiel. „Aber das geht an so einem Abend natürlich nicht, weil die Geschehnisse das Sportliche überschatten“, sagte Preetz. „Dieses Thema wird Vereine, Verbände und Fanlager in den nächsten Tagen und Wochen beschäftigen.“ Die Verantwortlichen im Rostocker Lager legten mit Verweis auf die Szenen beim G20-Gipfel vor einigen Wochen in Hamburg großen Wert auf die Feststellung, dass es sich bei Gewaltexzessen in der Öffentlichkeit um ein „gesamtgesellschaftliches Problem“ handele. Hertha benutzte in einer Stellungnahme des Vereins am Dienstagabend genau die selbe Formulierung. „Das soll keine Entschuldigung sein und keine Ausrede, aber es ist einfach so“, sagte Hansas Vorstandschef Robert Marien. So oder so: Der DFB hat die Ermittlungen aufgenommen.

Spielunterbrechung. Die Rostocker Spieler verlassen den Rasen.
Spielunterbrechung. Die Rostocker Spieler verlassen den Rasen.

© Hanschke/Reuters

Wie agierte die Polizei?

Die schien im Stadion zunächst zurückhaltend. Am Dienstag erklärte eine Sprecherin, die Beamten hätten versucht, durch einen Tribünenzugang in den Block zu gelangen. Die Tür sei jedoch mit einem Schloss von innen verriegelt worden. Später sei die Tür gewaltsam geöffnet worden. Gleichzeitig erhob die Polizei am Dienstag Vorwürfe gegen Vereinsoffizielle von Hansa Rostock. Es liege „die Vermutung nahe, dass das Banner über vereinseigene Strukturen und mit Wissen von Vereinsoffiziellen ins Stadion gelangen konnte“, sagte Polizeichef Michael Ebert. Belege nannte die Polizei zunächst nicht. Der Verein wies das zurück. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte, Meldeauflagen bei gewaltbereiten Fußball-Fans stärker einzusetzen. Auffällige Fans könnten an Gewalt gehindert werden, wenn sie sich am Spieltag auf einer Polizeiwache melden müssten. Klubs sollten die Fangruppen nicht ins Stadion lassen, wenn diese nicht kooperierten.

Hatten die Unterbrechungen Einfluss auf den Ausgang des Spiels?

„Das ist natürlich spekulativ“, sagte Hansa-Trainer Pavel Dotchev nach dem 2:0-Erfolg der Berliner, „aber geholfen hat es uns sicher nicht.“ Auch für die Berliner kam die Unterbrechung zu einer Unzeit, sie fiel mitten hinein in die stärkste Phase des Bundesligisten, der am Ende doch noch recht souverän in die zweite Runde einzog. „Wichtig war für mich, dass sich niemand eine Muskelverletzung zugezogen hat, weil das Spiel unterbrochen war und die Spieler kalt geworden sind“, sagte Herthas Trainer Pal Dardai. Offenbar fehlte nicht viel, und Schiedsrichter Hartmann hätte das Spiel komplett abgebrochen. Als die Teams in den Katakomben auf den Wiederanpfiff warteten, gab es dem Vernehmen nach immer wieder Rücksprachen mit dem Referee. Dabei habe Hartmann unmissverständlich klar gemacht, dass es beim nächsten Zwischenfall zum sofortigen Abbruch komme. Herthas Profis berichteten später, dass sie unbedingt weiterspielen wollten. „Ich habe in meiner Karriere so viel erlebt, da wirft mich das nicht aus der Bahn“, sagte Kapitän Vedad Ibisevic.

Wie reagiert die Politik?

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) bezeichnete die Ereignisse am Montagabend als „Schande des Fußballs“. „Die Fußballchaoten haben sich beim Pokal-Spiel erneut ins Abseits gestellt und dem Image ihrer Vereine und der Stadt Rostock geschadet“, sagte er und forderte die Hansa-Vereinsführung auf, sich klar und unmissverständlich von Gewalt zu distanzieren. Auch Berlins Innen- und Sportsenator Andreas Geisel (SPD) verurteilte die Ereignisse. „Diese Chaoten haben die Bezeichnung Fans nicht verdient. Solche Leute haben kein wirkliches Interesse an fairem Sport und benutzen die Bühne des Fußballs zur Selbstinszenierung auf dem Rücken der echten Fans.“ Auf Bundesebene sprach sich die SPD für härtere Einlasskontrollen in den Stadien aus. „Die Sicherheit muss gewährleistet sein - wer diese gefährdet, muss von den Verantwortlichen langfristig von den Stadien verwiesen werden“, sagte Michaela Engelmeier für die Fraktion. Özcan Mutlu, sportpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, will Prävention und sozialpädagogische Fanprojekte fördern, warnt aber auch vor ausufernden Datensammlungen und Kollektivstrafen. Laut der Linken sollen Fanstrukturen mehr in die Sicherheitskonzepte einbezogen werden. „Dazu gehört auch die Möglichkeit für das kontrollierte Abbrennen von Bengalos in abgegrenzten Bereichen“, sagt Frank Tempel, stellvertretender Vorsitzender im Innenausschuss.

Wie ist im Allgemeinen die Stimmung bei den Ultras?

Aktionen wie das Klauen von Bannern haben auch schon in der Vergangenheit zu Ausschreitungen zwischen rivalisierenden Fangruppen geführt. „Das ist ein Spiel hinter dem eigentlichen Spiel“, sagt Harald Lange vom Institut für Fanforschung der Universität Würzburg. An einigen Orten seien Fangruppen auffälliger, wie etwa in Rostock, Berlin oder auch in Frankfurt und Karlsruhe. Dass der DFB bei solchen Fälle ermittelt, hält er für wirkungslos. „Die DFB-Gerichtsbarkeit wirkt kontraproduktiv, weil sie nicht transparent ist“, sagt er. Insgesamt verändere sich die Szene, weil die Fans, allen voran die Ultras, deutlich gegen die vom DFB vorangetriebene Kommerzialisierung protestieren. „Solche Vorfälle vor dem Start der Bundesliga hat es noch nicht gegeben. Wir haben eine Stimmungslage, die Grund zur Sorge ist“, sagt der Fanforscher. Das sähe man gerade am Beispiel Hannover 96. Leidtragende sind oft die anderen Fans, die das Spiel sehen wollen. Obwohl auch sie von den Veränderungen der Fankultur betroffen seien, sagt Lange. Einige Fans bei Hannover 96 haben einen Stimmungsboykott bei Heimspielen beschlossen, um gegen die Vereinspolitik zu protestieren. Und auch in Rostock zeigten die Fans, dass die meisten gegen die Randalierer sind. „Und ihr wollt Hansa Rostock sein“, hallte es von den Rängen.

Mitarbeit: Philipp Schaffranek

Zur Startseite