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Kurz vor dem Lockdown. Roger Kluge (links) und Theo Reinhardt begeisterten 2019 das Publikum in Berlin.

© Engler/Imago

Sixdays-Geschäftsführer Miltovics: „Wir wollen den Menschen die Chance geben, Radfahren zu genießen“

Geschäftsführer Valts Miltovics über die Absage des Berliner Sechstagerennens und Planspiele für die Zukunft der Traditionsveranstaltung.

Herr Miltovics, steigen Sie selbst gern aufs Rad?
Wenn es das Wetter und meine Zeit zulassen, sogar sehr gern.

Wann sind Sie zuletzt gefahren?
Am Sonntag. Nicht, um zu trainieren. Eher als Hobby. Ich wohne in Köpenick, hier gibt es tolle Strecken. Zuletzt bin ich 70 Kilometer gefahren, am Müggelsee entlang, durch Grünau und Erkner und beim geplanten Tesla-Werk vorbei. Super finde ich auch die Strecken am Grunewald und raus nach Potsdam. Wenn Roger (Roger Kluge, der mit Theo Reinhardt zweimal Weltmeister auf der Bahn geworden ist, Anm.d.R.) in Berlin ist, fährt er oft rund um Potsdam. Ich werde ihn im Sommer deswegen mal kontaktieren.

Privat Radfahren ist ohne Probleme möglich. Das für Februar 2021 geplante Sechstagerennen haben Sie dagegen in der vergangenen Woche abgesagt. Eine schwere Entscheidung?
Wir haben lange gewartet und immer gehofft, dass sich die Corona-Lage verbessert. Leider ist das Gegenteil eingetreten. Letzte Woche lag die Höchstgrenze bei 1000 Menschen in der Halle. Somit hätten 500 Zuschauer reingedurft. Jetzt sind die Regelungen noch deutlich verschärft worden. Ein richtiges Sechstagerennen wäre es nicht mehr, weil die Atmosphäre fehlt. Das Haus muss dafür voll sein. Die Absage ist auch schade für die Sportler. Sechstagerennen helfen ihnen, sich auf die Saison vorzubereiten.

Und die wirtschaftliche Seite?
Die kam noch dazu. Für uns sind Ticketeinnahmen eine äußerst wichtige Quelle. Mit 500 verkauften Karten könnten wir die Kosten nicht decken. Natürlich war es für uns schön, in den vergangenen Jahren im Fernsehen gezeigt worden zu sein. Verdient haben wir damit jedoch nichts.

Wie hoch hätte die Auslastung sein müssen, damit es sich lohnt?
Mit 10 000 Zuschauern ist die Halle voll. Ab 5000 pro Tag rechnet es sich für uns wirtschaftlich. Wir hatten einen Plan B: die sechs Tage in drei Tage zu packen, mit zwei Veranstaltungen pro Tag. Vormittags mit freiem Eintritt für Schulen und Vereine, abends mit Eintritt. Das hat sich aber ja alles erledigt.

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Trifft die Absage das Sechstagerennen finanziell stark?
Wir haben in den letzten Jahren einen guten Job gemacht. Zum Glück konnte zudem die Veranstaltung im vergangenen Januar über die Bühne gehen. Ein paar Wochen später wurde alles abgesagt. Außerdem haben wir nicht wie eine Profimannschaft in einer Liga über das ganze Jahr feste Kosten für Spieler. Bei uns ist es ein bisschen einfacher: Wir sind ein kleines Team und wenn nichts stattfindet, geben wir vergleichsweise wenig Geld aus.

Und die Reaktion der Sponsoren?
Unsere Sponsoren stehen voll hinter uns. Sie konzentrieren sich auf das Publikum in der Halle, es geht ihnen nicht um TV-Reichweite. Daher haben sie nichts von einem Rennen vor 500 Leuten. Als ich die Sponsoren vorab von der Absage informiert habe, hieß es fast ausnahmslos, schade, aber wir verstehen es und sind 2022 dabei. Das Jubiläum mit dem 110. Sechstagerennen in Berlin gibt es nun hoffentlich ein Jahr später. Wir geben auf keinen Fall auf.

Nicht nur die Veranstaltung in Berlin, sondern alle Sechstagerennen fallen aus. Sie klingen trotzdem optimistisch.
Innerhalb eines Jahres kann so viel passieren. Unabhängig davon, ob es einen Impfstoff gibt, werden wir alle in einem Jahr noch viel besser wissen, wie wir mit dem Virus umzugehen haben. Ich bin zuversichtlich, dass unser Sechstagerennen im Februar 2022 ausgetragen werden kann.

Berlin gehört zur Six-Day-Serie der Madison Sports Group. Die Serie sollte wieder von vier auf sechs Veranstaltungen vergrößert werden. Was bedeuten die Absagen für ihren Fortbestand?
Im März und April mussten schon Manchester und Brisbane abgesagt werden. Das hat uns hart getroffen, aber wir haben überlebt. Jetzt fällt ein Jahr komplett aus. Gut ist das nicht, keine Frage. Doch es gibt uns Zeit, Sachen auszuwerten und vielleicht manches anders zu machen. Und für Berlin gesprochen haben wir Zeit, uns um andere Projekte zu kümmern.

Zum Beispiel?
In diesem Winter geht auf der Bahn nichts. Daher arbeiten wir mit einem Entwickler daran, etwas in virtueller Form anzubieten. Bahnradfahren von zu Hause quasi. Die Zusammenarbeit sieht vielversprechend aus, es wird noch zwei bis vier Monate dauern.

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Eurosport hatte im Frühjahr virtuelle Straßenrennen mit Profifahrern übertragen, die über die Online-Plattform Zwift stattfanden. Ist das in etwa vergleichbar?
Ja. Mir haben die Übertragungen bei Eurosport gut gefallen. Auch bei uns ginge sehr viel. Ich spinne jetzt ein bisschen: Teilnehmer eines digitalen Jedermann-Rennens auf der Bahn könnten sich für ein Echtzeit-Sechstagerennen mit Profis qualifizieren.

Profis und Amateure gemeinsam – angesichts der auf der Bahn erzielten Geschwindigkeiten dürfte das schwer umsetzbar sein.
(Lacht) Ich sage ja nur, dass vieles vorstellbar ist. Natürlich ist es in der Praxis schwierig. Eines ist klar: Bahnradsport wird nie so populär sein wie Straßenradrennen. Also müssen wir als Veranstalter schlau sein und versuchen, Leute heranzuführen, die eine gewisse Affinität zum Rad haben. Digitale Formate sind ein erster Schritt, nicht die alleinige Lösung.

Sie haben vor der Coronakrise gesagt, Sie wollen den Radsport mehr in die Gesellschaft bringen. Momentan boomt das Radfahren, die Hersteller kommen mit der Produktion kaum hinterher.
Wie Sie sagen, ist das mehr Radfahren als Radsport. Dieser Aspekt ist uns ebenfalls wichtig. In Berlin hat fast jeder ein Fahrrad. Bei einigen verstaubt es allerdings im Keller. Weil sie zur Arbeit ein Auto oder öffentliche Verkehrsmittel brauchen und sonst ebenfalls wenig Zeit haben. Ich sehe das an mir selbst: Wenn die Wege zu weit sind oder es regnet, kann ich nicht das Rad nehmen. Da würde ich völlig durchnässt bei einem Termin ankommen. Wir wollen den Menschen die Chance geben, Radfahren zu genießen.

Was schwebt Ihnen vor?
Vielleicht eine Art Radfest. Alles rund ums Radfahren, in sicherer Umgebung. Ohne den täglichen Stress im Verkehr auf der Straße. Momentan ist das noch Zukunftsmusik. Ganz konkret sind wir Teil eines Projekts für Schulen und Kitas.

Worum geht es da?
Zusammen mit Vereinen, dem Landessportbund Berlin und der Senatsverwaltung sollen Kinder fürs Fahrrad begeistert werden. Eine nicht unerhebliche Zahl von Grundschulkindern kann nicht Fahrrad fahren, wie wir bei Veranstaltungen im Velodrom gemerkt haben. Wir wollen mithelfen, daran etwas zu ändern.

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