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Wenn eine Institution geht: Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hört nach über 40 Jahren zum 30. Juni bei den Bayern auf.

© Christian Charisius/dpa

Müller-Wohlfahrt hört beim FC Bayern auf: Dorian Gray wird grau

Fußballer und Prominente aller Branchen kamen zu ihm - und doch war der Sportmediziner Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt nicht immer unumstritten.

Es ist Undenkbares passiert: Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hat graue Haare bekommen, jetzt schon, wo er langsam auf die 80 zugeht. Dabei schien er kein Alter zu kennen, er, der Dorian Gray der Sportmedizin, bei dem die Spieler schon geheilt waren, bevor er sie behandelte. Es reichte, wenn er mit wehendem Haar und Arztkoffer in der Hand auf den Platz stürmte wie ein Jüngling. Das ist alles ein bisschen übertrieben dargestellt. Tatsächlich aber gibt es kaum einen anderen Sportarzt, um den sich so viele Mythen und Legenden ranken. Und Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt bediente das Bild des einmaligen Heilsbringers immer perfekt. Ohne mit der Wimper zu zucken, erzählte er von seinen magischen Händen, wie er es zum Beispiel schaffte, bei dem verletzten Sprinter Usain Bolt genau den richtigen Punkt im Rücken zu treffen, sodass dieser nur Tage später zum Olympiasieg spurtete. Auf den Doc war Verlass.

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Von daher passte es ganz gut, dass dieser beispiellos selbstbewusste Arzt jahrzehntelang die Spieler des beispiellos selbstbewussten FC Bayern betreute. Nun aber, nach über 40 Jahren, endet sein Engagement beim Deutschen Rekordmeister. „Die Erlebnisse, die wir hier gemeinsam hatten, die Erfolge, die wir zusammen gefeiert haben und vor allem die Menschen, die ich in diesem Verein kennengelernt habe, haben mein Leben nachhaltig geprägt“, ließ „Mull“, wie er genannt wurde, am Wochenende ausrichten. 

Müller-Wohlfahrt wird sich künftig seiner Praxis und der Wissenschaft widmen

Ende dieses Monats hört Müller-Wohlfahrt bei den Bayern auf und wird sich künftig mehr seiner eigenen Praxis und auch mehr der Wissenschaft zuwenden. Denn es ist ja völlig klar, dass der Mann mit 77 Jahren noch nicht aufhören wird. Trotz grauer Härchen ist er viel zu frisch für den Ruhestand.
Angefangen hatte die außergewöhnliche Karriere des Mediziners in Berlin. Im Rudolf-Virchow-Krankenhaus wurde Müller-Wohlfahrt zum Facharzt für Orthopädie ausgebildet und Mitte der Siebziger war er Mannschaftsarzt, vielleicht erinnern sich die älteren Semester noch, bei Hertha BSC. 

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Danach ging es auf der Karriereleiter schnell nach oben für ihn. Ende der Siebziger wurde er Vereinsarzt bei den Bayern, knapp zwanzig Jahre später betreute er zudem die Nationalmannschaft. Zu diesem Zeitpunkt eilte ihm der Ruf seiner magischen Hände bereits voraus. Müller-Wohlfahrt knetete nicht nur die Muskeln der Fußballer, sondern auch die anderer Größen aus Sport und Entertainment. Von Boris Becker bis Eric Clapton, Müller-Wohlfahrt hatte sie alle.

Der Wunderdoc war nie unumstritten

Dabei war der vermeintliche Wunderdoc nie unumstritten. Seine Methoden wurden teils belächelt, teils als reines Eigenmarketing betrachtet. Müller-Wohlfahrt probierte gerne ein bisschen herum, setzte mal ultrafiltriertes Kälberblut bei der Behandlung und häufig Nahrungsergänzungsmittel ein, kleine Pillchen, die er über die Müller-Wohlfahrt Health & Fitness AG vertreibt. Doch für einen Quacksalber hielten ihn seine Kunden nicht. Im Gegenteil: Sie waren begeistert von seinen Methoden und - vielleicht genauso so sehr - von seiner Aura. Egal ob Boris Becker, Arjen Robben oder Usain Bolt – manchmal riefen sie den Arzt aus München zu sich, nur damit er eben da war. Müller-Wohlfahrt gab ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Mit ihm an der Seite konnte nichts mehr schiefgehen, auch wenn es überall zwickte wenige Stunden vor dem Wettkampf.

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Allerdings wurde gerade seine Ausnahmestellung auf Dauer auch zum Problem für den FC Bayern. Denn Müller-Wohlfahrts Dienste waren derart gefragt, dass der bayerische Klub manches Mal auf ihn verzichten musste – weil er eben bei Becker oder Bolt war. Lange sah man darüber hinweg. Doch mit der zunehmenden Professionalisierung der medizinischen Abteilungen schien das Modell mit einem Wunderarzt auf Teilzeit nicht mehr adäquat.

Öffentlich wurden die Probleme unter Guardiola

Erstmals öffentlich wurde das Problem mit Beginn der Amtszeit des spanischen Trainers Pep Guardiola im Jahr 2013. Guardiola war es aus Spanien gewohnt, dass ein großes Ärzteteam direkt dem Klub unterstellt und immer an der Seite der Spieler ist. Mit einem stolzen Freigeist wie Müller-Wohlfahrt konnte er nicht viel anfangen. Immer wieder gerieten die beiden heftig aneinander. Guardiola unterstellte dem Mediziner sogar vor versammelter Mannschaft, schuld an Niederlagen zu sein, weil so viele Spieler verletzt seien. 

Das ließ sich Müller-Wohlfahrt nicht gefallen, im Jahr 2015 beendete er vorübergehend die Zusammenarbeit mit dem Klub. Guardiola ging aus diesem Duell aber beileibe nicht als Gewinner hervor. Spieler wie Arjen Robben wollten nicht auf ihren „Mull“ verzichten. Sie ließen sich in seiner Praxis weiter von ihm behandeln. An dem Mann mit den magischen Händen gab es beim FC Bayern einfach kein Vorbeikommen.

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