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Anne Jüngermann kandidiert an diesem Sonntag für das Präsidium von Hertha BSC.

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Mitgliederversammlung im Olympiastadion: Anne Jüngermann will ins Präsidium von Hertha BSC

Der Profifußball ist noch immer fast ausschließlich eine Männerbastion. Bei Hertha BSC kandidiert am Sonntag immerhin eine Frau bei den Wahlen fürs Präsidium.

Die Aussichten für Sonntag sind vergleichsweise gut. Mit Sonnenschein und Temperaturen bis 18 Grad jedenfalls deutlich besser, als es für Ende Oktober zu erwarten wäre. Ende Oktober kann es im zugigen Olympiastadion schon recht ungemütlich werden. Anne Jüngermann ist das auch in den Sinn gekommen, als sie gehört hat, dass die Mitgliederversammlung von Hertha BSC wegen der Coronavirus-Pandemie erstmals als Freiluftveranstaltung ausgetragen wird. Aber dann hat sie gedacht: „Das wär’ doch cool, wenn du in der Ostkurve gewählt wirst.“

Genau da, wo sie seit fast zwei Jahrzehnten die Spiele des Berliner Fußball-Bundesligisten verfolgt.

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Anne Jüngermann, 34 Jahre alt, Content-Managerin in einer Werbeagentur, verheiratet und Mutter eines zwei Jahre alten Sohnes, kandidiert an diesem Sonntag für Herthas Präsidium. Früher, noch als Schülerin, hat sie in ihrer Freizeit im Team U18 ausgeholfen, hat mit Herthinho, Herthas Maskottchen, Berliner Schulen besucht, die Auflaufkinder betreut oder bei Fanfesten ausgeholfen. Wenn sie darüber nachdenkt, dass sie demnächst dem Präsidium des Klubs angehören könnte, kommt ihr das selbst ein bisschen surreal vor: „Die kleine Anne aus der Kurve – krass.“

Dass Jüngermann aus der Ostkurve kommt, ist mehr als eine Herkunftsbezeichnung. Es beschreibt vor allem ihre Haltung zu Hertha BSC. Jüngermann ist Fan des Vereins, seitdem sie im April 2002 zum ersten Mal überhaupt in einem Fußballstadion war und Herthas 2:0-Sieg gegen Schalke 04 gesehen hat. „Das war so toll, ich habe mich wirklich direkt verliebt“, sagt sie. Noch im selben Jahr bekam sie von ihren Eltern die Mitgliedschaft bei Hertha zu Weihnachten geschenkt, und wenn sie davon erzählt, hört sich das an, als habe sie in ihrem Leben nie ein schöneres Weihnachtgeschenk bekommen.

Renate Döhmer kandidiert nicht mehr für Herthas Präsidium

Neben dem Präsidenten und seinem Stellvertreter gehören sieben einfache Mitglieder Herthas Präsidium an. Elf Kandidaten bewerben sich – Jüngermann ist die einzige Frau. Sie könnte Renate Döhmer ablösen, die seit 2004 im Präsidium saß – als einzige Frau.

Ob Medien, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft: In vielen gesellschaftlichen Bereichen werden immer mehr wichtige Positionen inzwischen von Frauen besetzt. Der Profifußball aber ist von dieser Entwicklung weitgehend unberührt geblieben. Es wäre falsch zu sagen, dass es sich beim Profifußball um ein männerdominiertes System handelt. Der Profifußball ist nach wie vor und nahezu ausschließlich ein Männersystem.

Wer sich einmal durch die Organigramme der Bundesligavereine kämpft, muss lange suchen, bis er überhaupt eine Frau findet. In den Präsidien, Vorständen und Geschäftsführungen der 18 Klubs sind es – mit Renate Döhmer, die jetzt bei Hertha BSC nicht wieder kandidiert – exakt vier. Vier von einhundertdreizehn: Bärbel Milsch gehört als Direktorin Legal dem Vorstand von Rasenballsport Leipzig an, Anne-Kathrin Laufmann ist als Jugendreferentin Mitglied im Präsidium des SV Werder Bremen und Christina Rühl-Hamers seit Anfang des Monats Finanzvorstand bei Schalke 04.

Männersache. Im Profifußball sind die Führungen der Klubs fast ausschließlich von Männern besitzt. Bei Hertha BSC saß bisher immerhin eine Frau im Präsidium.
Männersache. Im Profifußball sind die Führungen der Klubs fast ausschließlich von Männern besitzt. Bei Hertha BSC saß bisher immerhin eine Frau im Präsidium.

© imago/Matthias Koch

Dass eine Frau, wie Rühl-Hamers, im operativen Geschäft eines Bundesligisten tätig ist, kommt sogar noch seltener als selten vor. Oft ist es so wie beim Deutschen Fußball-Bund, bei dem die einzige Frau im Präsidium, Hannelore Ratzeburg, für Frauen- und Mädchenfußball zuständig ist. Auch bei Hertha war Frauenfußball bisher Frauensache. Die Pflege der Kooperation mit dem Frauen-Zweitligisten 1. FC Lübars gehörte zu den Aufgaben von Renate Döhmer.

Anne Jüngermann hat damals als Studentin ehrenamtlich die Pressearbeit für Lübars betreut, war Stadionsprecherin und für das Stadionmagazin verantwortlich. Dass Hertha die Kooperation nach sieben Jahren beendet hat, fand sie sehr schade. Bis heute hat der Klub keine Frauenfußballabteilung. Bei den Männer-Bundesligisten ist das sonst nur noch bei Mainz 05 und Schalke 04 der Fall, nachdem vor kurzem selbst Borussia Dortmund angekündigt hat, ein Frauenteam für den Ligabetrieb zu melden. Jüngermann hätte auch bei Hertha gern eine Frauen-Mannschaft, „aber ich fürchte, das dauert noch“.

Jüngermann wünscht sich ein Frauen-Team bei Hertha BSC

Marco Wurzbacher, Präsidiumsmitglied bei Hertha, hat Anne Jüngermann zur Wahl für das Präsidium vorgeschlagen; er hat sie auch gefragt, ob sie sich eine Kandidatur vorstellen könne. Als Wurzbacher sie anrief, war Jüngermann gerade mit ihrer Familie auf dem Ku’damm spazieren. Kurz darauf lief ihr Herthas Torhüter Rune Jarstein über den Weg. In dem Moment war ihr klar, dass sie antreten wird: „Das ist ein Zeichen.“

Wurzbacher hat ihr explizit gesagt, dass es schade wäre, „wenn keine Frau mehr im Präsidium wäre“. Das könnte bei der Wahl am Sonntag in der Tat eine Rolle spielen, obwohl Jüngermann selbst diesen Aspekt gar nicht entscheidend findet. „Ich will nicht als Frau gewählt werden“, sagt sie. „Ich bin auch nicht machtgeil. Ich möchte Hertha helfen.“

Bei ihrer Vorstellung im Aufsichtsrat hat Jüngermann einen sympathischen und selbstbewussten Eindruck hinterlassen. Trotzdem kann sie ihre Chancen, tatsächlich ins Präsidium gewählt zu werden, nur schwer einschätzen. Sie hat keinen Wahlkampf in eigener Sache betrieben und verfügt auch nicht über ein stabiles Netzwerk innerhalb der Mitgliederschaft. Anne Jüngermann sagt: „Ich hoffe, dass meine Rede zieht.“

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