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Michael Andrew ist eines der größten Talente im Schwimmsport und geht als Favorit in den Weltcup in Berlin.

© Justin Casterline/Getty Images/AFP

Michael Andrew revolutioniert das Schwimmen: „Es ist, als würden wir einen Computer programmieren“

Der US-amerikanische Schwimmer Michael Andrew spricht über seine revolutionäre Trainingsmethode - und seine Klage gegen den Schwimmverband.

Den ersten Profivertrag unterschrieb Michael Andrew mit 14, im Teenager-Alter hat er zahlreiche Jugendrekorde aufgestellt. Und war dennoch heftig umstritten: die Trainingsmethode, sein Weg in den Sport, der offensiv ausgelebte Glaube. Heute gilt der 20 Jahre alte Andrew als möglicher Nachfolger von Michael Phelps – und verklagt den Schwimmverband FINA.

Herr Andrew, wie viele Stunden verbringen Sie pro Woche im Wasser?

Lassen Sie mich nachdenken. Ich absolviere normalerweise neun Einheiten pro Woche. Am Morgen gehe ich zwei Stunden in den Pool, zusätzlich an zwei oder drei Nachmittage die Woche. Es werden kaum mal mehr als 15 oder 16 Stunden. Also nicht wirklich viel, deutlich weniger als die anderen Athleten.

Sie trainieren nach der USRPT-Methode, kurz für Ultra-Short-Race-Pace-Training, also in eher kurzen, sehr schnellen Intervallen. Warum glauben Sie, dass diese Methode anderen überlegen ist?

Das denken wir tatsächlich. Wir glauben an die Wissenschaft dahinter, es gibt da viele Daten und Kennzahlen, die für diese Trainingsform sprechen. Unser Gehirn codiert Bewegungen äußerst spezifisch. Wenn wir also unseren Körper dazu bringen wollen, bestimmte Bewegungen im Wasser auszuführen, speichert unser Körper die Mechanismen ab, die wir dafür benötigen. Es ist so, als würden wir einen Computer programmieren. Warum sollten wir also langsamere Bewegungen abspeichern als die, die wir beim Rennen benötigen? Wir wollen unser Gehirn so codieren, dass es uns genau sagt, was wir tun müssen, wenn wir es im Rennen brauchen. Es ist relativ einfach, körperlich fit zu werden. Aber es braucht Zeit, den Körper zu trainieren und im Wasser ein bestimmtes Tempo zu erreichen. Das ist, was wir mit USRPT machen.

Woher stammt Ihre Liebe für den Schwimmsport?

Ich habe mit sieben Jahren mit dem Schwimmen angefangen, mit acht mit den Wettkämpfen. Ich habe es geliebt, von Anfang an. Mit zehn habe ich meinen ersten nationalen Altersrekord gebrochen. Das war ein ziemlich wichtiger Moment für mich, denn dann durfte ich mein erstes Autogramm geben. Das hat eine Weile gedauert, ich war ziemlich ungeübt. Es war damals alles ziemlich cool für mich. Ich habe wohl diese Gabe, Gott muss sie mir aus einem bestimmten Grund gegeben haben.

Sie wurden mit 14 Jahren Profi, können Sie sich an Ihr erstes Rennen erinnern?

An mein erstes Rennen erinnere ich mich nicht mehr. Aber ich weiß noch gut, dass gerade die Anfangszeit als junger Profi für mich schrecklich war. Ich habe unglaublichen Druck verspürt. Von einen Tag auf den anderen habe ich ein Unternehmen vertreten, ich habe gedacht, ich müsste von nun an alle Rennen gewinnen oder einen nationalen Altersrekord brechen. Vor den Rennen wurde mir dann schlecht, ich musste mich übergeben, mir ging es wirklich sehr schlecht zu der Zeit. Als ich älter wurde, hat sich das dann gelegt. Ich hatte das Glück an Leute zu geraten, die in ähnlichen Situationen waren und mir helfen konnten. Und ich habe gelernt, dass das Schwimmen nicht definiert, wer ich bin.

Wie wurden Sie damals von den anderen Athleten aufgenommen?

Viele waren skeptisch und haben nicht verstanden, was genau wir vorhaben. Viele haben auch gedacht, meine Eltern würden mir etwas aufzwingen, dass ich nicht wirklich wollen würde. In den USA gibt es eine unausgesprochene Regel: man geht in den Schwimmklub, dann schwimmt man auf der Highschool und dann, wenn man gut genug ist, schwimmt man auf einem D1-College (einem College der höchsten Leistungsklasse im Schwimmen, d.Red.). Und nach der College-Karriere, sofern du immer noch Profi werden willst, probierst du es. Daran haben wir aber nicht geglaubt. Meine Eltern kommen aus Südafrika, wir denken sehr europäisch.

Die ungewöhnliche Trainingsmethode, dass sie schon mit 14 Profi wurden, dass Sie Ihren Glauben offensiv ausleben – Sie und Ihre Eltern mussten viel Kritik einstecken. Wie sind Sie damit umgegangen?

Es war hart, gerade am Anfang. Ich habe versucht, so wenig wie möglich zu lesen, was über mich geschrieben wurde. Wenn ich das damals gelesen hätte, hätte ich das nicht mehr aus meinen Kopf bekommen. Mit der Zeit ist es dann besser geworden.

Ihr Vater ist ihr Trainer, ihre Mutter ihre Managerin. Ist das nicht manchmal schwierig?

Nein, ich mag das. Ich weiß, dass sie das Beste für mich wollen, es hat mir gefallen, mit ihnen zu arbeiten. Es gab natürlich auch Zeiten zu denen ich mehr Freiraum gebraucht habe. Im Laufe der Jahre haben wir aber gelernt, wie wir kommunizieren müssen, um gut als Team zu funktionieren.

Zusammen mit Tom Shields und Katinka Hosszu verklagen Sie derzeit den Schwimmverband FINA. Es geht um das alleinige Austragungsrecht von Schwimm-Events. Was ist Ihr Ziel?

Zu meiner Klage kam es, weil die FINA versucht hat, mich vom Start bei einem Wettbewerb in Italien abzuhalten. Es stand sogar ein Ausschluss von den Olympischen Spielen im Raum, wäre ich an den Start gegangen. Für mich war klar: dagegen muss ich mich wehren. Zusammen mit Tom und Katinka repräsentieren wir die Mehrheit der Athleten und wollen die Möglichkeit erstreiten, auch bei anderen Events Geld verdienen zu können. Olympische Spiele finden alle vier Jahre statt, danach wird der Schwimmsport wieder vergessen. Die International Swimming League (ISL) könnte da helfen.

Wegen Ihrer Trainingsmethode haben Sie mehr Freizeit als andere Schwimmer. Was machen Sie mit all der Zeit?

Ich bin vor Kurzem nach Kalifornien gezogen und liebe es, dort zu surfen, ich bin richtig besessen. Ein weiteres Hobby ist das Filmen. Ich habe einen eigenen Youtube-Kanal, auf dem ich immer wieder Vlogs hochlade. Obwohl das nur ein Hobby ist, will ich darin der Beste sein. Also versuche ich, das relativ professionell anzugehen. Ich schneide die Videos, suche die Musik dazu aus. Mir hilft das auf zwei Ebenen: Ich stärke damit meine Marke und kann mich vom Druck im Schwimmsport ablenken.

Sie sind ein vielseitiger Schwimmer, starten in vielen Disziplinen, teilweise liegen die Starts nur wenige Minuten auseinander. Wie bereiten Sie sich vor, wenn wie zuletzt in Budapest nur acht Minuten zwischen zwei Starts liegen?

Mental ist das für mich relativ einfach. Schwierig ist es für den Körper. Wir tun im Training alles, was wir können, um mich auf solche Situationen vorzubereiten. Ich glaube, je öfter man in solchen Situationen steckt, umso mehr profitiert man davon. Ich bin damit aufgewachsen, über 400 Meter Lagen an den Start zu gehen aber auch über 50 Meter Freistil. Zu Beginn war das anstrengend, heute verstehe ich den Sinn dahinter. Wenn ich also nur acht Minuten Pause habe, muss ich da mit einem Plan rangehen. Ich springe in das Aufwärmbecken, schüttele meine Arme aus, dann geht’s wieder los.

Was sind Ihre Ziele für den Weltcup in Berlin?

So viele Punkte wie möglich für die Weltcup-Wertung holen. Es wäre fantastisch, wenn ich das Wochenende mit einem lauten Knall beenden und meine drei Rennen gewinnen könnte. Aber das Hauptziel ist, schneller zu sein als in Budapest.

Was erwarten Sie von dem Berliner Pool, ist es ein schnelles Becken?

Ich denke, es ist ein sehr schneller Pool, sogar einer der schnellsten in Europa. Das ist schon eine besondere Anlage, sie erinnert mich ein bisschen an einen Kerker oder ein Verlies. Aber das Becken ist wirklich sehr schnell.

Was macht denn einen Pool schnell?

(lacht) Das haben mich schon viele Leute gefragt. Die Atmosphäre, wie gut der Pool und das Schwimmstadion ausgeleuchtet sind, auch die Tiefe des Beckens spielt eine Rolle. Und wo die Düsen platziert wurden. Und es gibt Schwimmbecken, in denen andere Schwimmer Rekorde gebrochen haben. Da weiß man dann: das muss ein schneller Pool sein, das hat man dann einfach immer im Hinterkopf. Es ist ähnlich wie bei den Sprintern, die sagen ja auch, es gibt schnelle und langsamere Tartanbahnen.

Im Sommer 2020 stehen die Olympischen Spiele in Tokio an. Was müssen Sie dort erreichen, um im Anschluss sagen zu können: das waren erfolgreiche Spiele?

Mein Traum ist es, eine Goldmedaille in einem Einzelwettkampf zu holen. Das wäre einfach unglaublich. Darauf arbeiten wir hin.

In welchem Rennen wollen Sie die Medaille holen?

Ich denke, ich kann das überall schaffen, worauf ich meinen Fokus lege. Vor ein paar Wochen hätte ich noch gesagt über 50 Meter Freistil. Seit ein paar Wochen trainiere ich aber vermehrt die 200 Meter Lagen, mal sehen.

Einige Experten sagen, Sie seien das größte Schwimm-Talent der USA. Motiviert Sie das oder fühlen Sie sich dadurch eher unter Druck gesetzt?

Ich liebe es! Unter Druck zeige ich richtig gute Leistungen. Ich genieße es zu wissen, dass das, was ich bisher geleistet habe, dazu geführt hat, dass ich als Weltklasse-Athlet bekannt bin. Das war schon immer mein Ziel. Es gibt natürlich einen gewissen Druck, der damit einhergeht. Auf der anderen Seite ist das eine Ehre und es gefällt mir, zu den Besten der Welt zu gehören.

Stellen Sie sich vor, Sie sind 40 Jahre alt, Ihre aktive Karriere ist vorbei. Was möchten Sie über Ihre Zeit als Schwimm-Profi sagen können?

Wenn ich meine Karriere beende und sagen kann, dass ich 45 oder 50 Jahre alt bin, oder wie lange ich auch schwimme (lacht), möchte ich zurückblicken können und wissen, dass ich den Sport ein kleines bisschen nach vorne gebracht habe. Sei es durch die Klage mit Tom und Katinka oder durch meine Trainingsmethode oder einfach wegen einer anderen Perspektive und Denkweise. Das versuche ich auch mit meinen Vlogs zu erreichen. Ich will Menschen positiv beeinflussen. Das ist mein Ziel.

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