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Schwarz-gelb in Schwarz weiß. Beim ersten Europapokalsieg eines deutschen Teams wirkte unter anderem Rudi Assauer (Mitte) mit.

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Meine Champions: Als der BVB den ersten deutschen Europapokalsieg holte

Borussia Dortmund braucht gegen Tottenham ein kleines Fußball-Wunder. Ein solches gab es schon vor 53 Jahren in Glasgow.

Vor ein paar Wochen hat die Vergangenheit beim BVB vorbeigeschaut. Es war ein trauriger Tag für den Dortmunder Fußball, nicht nur wegen der drei späten Gegentore, die dem Gast aus Hoffenheim noch ein 3:3 ermöglichten. Zuvor hatten sie im Westfalenstadion eine Schweigeminute abgehalten und mit Trauerflor gespielt, beides zu Ehren des kurz zuvor verstorbenen Rudi Assauer. Dieser war der Allgemeinheit als Macher beim Lieblingsfeind Schalke 04 bekannt, aber die Dortmunder Fangemeinde verehrte ihn bis zuletzt als einen der ihren.

Rudi Assauer hat mit Dortmund in der Bundesliga gespielt und zusammen mit Reinhard Libuda, dem zweiten schwarz-gelben Schalker, den ersten Europapokal für Deutschland gewonnen. 1966 war das, als es im Glasgower Hampden Park gegen den FC Liverpool ging. Damals noch im Europapokal der Pokalsieger, aber da die Liverpooler gerade Englischer Meister geworden waren und die Dortmunder Zweiter in der Bundesliga, war dieser deutsch-englische Gipfel so etwas wie eine gefühlte Champions League. Mit dem besseren Ende für Dortmund.

Liverpools Trainer fragte: "Wer ist Dortmund?"

Daran mag 53 Jahre später niemand so recht glauben, wenn am Dienstag Tottenham Hotspur im Westfalenstadion gastiert, bei einem von drei Duellen zwischen Bundesliga und Premier League im Achtelfinale der Champions League. Auch 1966 war ein deutsch-englisches Fußball-Jahr, nicht nur wegen der WM mit ihrem berühmten Finale und dem noch berühmteren Wembley-Tor. Schon im Halbfinale mussten sich die Dortmunder mit einem scheinbar übermächtigen Gegner von der Insel duellieren. West Ham United hatte im Jahr zuvor den Cup gewonnen und bot die späteren Weltmeister Bobby Moore, Martin Peters und Geoff Hurst auf. Dortmund siegte 2:1 beim Hinspiel im Upton Park und 3:1 im Rückspiel im Stadion Rote Erde. Und doch fühlte sich der gerade zum Englischen Meister gekürte FC Liverpool als eindeutiger Favorit. Trainer Bill Shankly gab die Richtung vor mit Sätzen wie diesem: „Ich kenne nur zwei gute englische Mannschaften: unsere erste Mannschaft und unsere Reserve!“ Oder: „Wer ist Dortmund?“

Das Finale war von den äußeren Umständen her eine eher traurige Angelegenheit. Der 150 000 Zuschauer fassende Hampden Park war nicht einmal zu einem Drittel gefüllt, dazu weichte Dauerregen den Rasen auf, was dem Spiel der technisch überlegenen Engländer nicht gerade entgegenkam. Und doch war Liverpool drückend überlegen. Der 22 Jahre junge Abwehrspieler Rudi Assauer und seine Kollegen hatten alle Füße voll zu tun mit den überragenden Angreifern Roger Hunt und Ian Callaghan. Mit einigem Glück überstand der BVB die erste Halbzeit ohne Gegentor und ging dann sogar in Führung, durch Siegfried Helds spektakulären Volleyschuss, den auch der BBC-Reporter als „beautiful goal“ rühmte.

Liverpool kam etwas glücklich zum Ausgleich. Bei Peter Thompsons Sprint am rechten Flügel hatte der Linienrichter schon die Fahne gehoben. Der Ball war wohl schon im Aus, bevor Roger Hunt ihn humorlos ins Tor wuchtete. Dortmunds Torhüter Hans Tilkowski verfolgte den Schiedsrichter bis zur Mittellinie, begleitet von gut 100 englischen Fans. Es dauerte seine Zeit, bis schottische Polizisten den Platz geräumt hatten.

Da wusste Tilkowski noch nicht, dass er ein paar Wochen später in Wembley einen noch sehr viel umstritteneren Treffer würde hinnehmen müssen. Dieses Finale im verregneten Mai aber endete gut für seine Mannschaft, dank eines zweiten Dortmunders mit Schalker Hintergrund. Reinhard Libuda, den alle nur Stan nannten, hatte sich ein Jahr zuvor dem BVB angeschlossen, weil seine Schalker eigentlich als Tabellenletzter aus der Bundesliga abgestiegen waren. Es folgte der Skandal um illegale Handgelder von Hertha BSC. Hertha wurde zum Abstieg verurteilt und die Liga auf 18 Klubs erweitert. Schalke durfte bleiben, aber da war es für Libuda schon zu spät.

Nach dem Spiel gab es eine Flasche Bier - "vielleicht auch zwei"

Seine Dortmunder Zeit blieb eine drei Jahre währende Episode, früh gekrönt von einem großartigen Tor. Libuda erzielte es zu Beginn der zweiten Halbzeit der Verlängerung. Wieder hatte Held den Fuß im Spiel, Liverpools Torhüter Tommie Lawrence grätschte dazwischen und schlug den Ball hinaus zur Seitenlinie, direkt auf den Fuß von Libuda. Der hatte nun alle Zeit der Welt, noch ein paar Schritte in den Strafraum zu gehen. Libuda aber war kein Mann für die einfachen Lösungen. Also schlug er den Ball direkt zurück in Richtung Tor, in hohem Bogen über alle Dortmunder und Liverpooler. Als letzter versuchte es Ron Yeats, aber der sprang nicht hoch genug, der Ball flog an den Pfosten, zurück an den Rücken des Liverpooler Kapitäns und von dort ins Tor. „Goal by Libuda“, konstatierte der BBC-Reporter, viel mehr war nicht zu sagen.

Eine Viertelstunde später war Schluss und der BVB die erste deutsche Mannschaft, die auf der europäischen Bühne ganz oben thronte. Später am Abend wütete Bill Shankly beim Bankett: „Wir haben gegen eine Mannschaft verloren haben, die nicht Fußball spielen, sondern nur bolzen kann.“ Auch die Dortmunder waren ein bisschen überrascht von einem Sieg, den ihnen nicht mal der eigene Vorstand zugetraut hatte. Im Rückblick erinnert sich Hans Tilkowski, es habe im Hotel eine Flasche Bier gegeben, „vielleicht auch zwei, so war das eben“.

Dafür fiel der Empfang daheim umso beeindruckender aus. Um die 300 000 Dortmunder säumten die Straßen um den Borsigplatz, sie feierten vor allem den schüchternen Libuda. Der blieb noch zwei Jahre in Dortmund, ging zurück zu Schalke, wurde dort in den Bundesliga-Skandal verwickelt und starb 1996 , verarmt und verlassen. Rudi Assauer wechselte 1970 nach Bremen und fand später als Manager zurück ins Revier, zu seiner neuen Liebe Schalke 04. Seine schwarz-gelbe Mitgliedschaft hat er bis zum Ende gepflegt.

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