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Lucien Favre ist ein Tüftler, dem der ganz große Wurf bisher aber nicht gelungen ist. Das könnte sich nun ändern.

© Reuters

Lucien Favre bei Borussia Dortmund: In Gladbach haben sie den Erfolg kommen sehen

Lucien Favre wird bei Borussia Mönchengladbach noch immer sehr geschätzt. Sein Erfolg mit Borussia Dortmund überrascht zumindest dort kaum jemanden

Bei Borussia Mönchengladbach sind die Beliebtheitswerte der anderen Borussia, jener aus dem östlichen Ruhrgebiet, traditionell recht überschaubar. Das trifft vor allem auf die Anhänger der Gladbacher zu, aber man liegt vermutlich auch mit der Behauptung nicht falsch, dass der BVB auf der Geschäftsstelle der rheinischen Borussia im Moment ebenfalls nicht allzu gut gelitten ist. Das liegt vor allem daran, dass die Dortmunder etwas haben wollen, was noch den Gladbachern gehört: den Offensivspieler Thorgan Hazard nämlich.

Der Belgier, dessen Vertrag in einem Jahr ausläuft, hat schon verkündet, dass er auf jeden Fall nach Dortmund wechseln werde. Entweder nach dieser Saison oder, falls die Vereine sich nicht einigen, eben ablösefrei nach der nächsten. In Mönchengladbach haben sie sich mit dem Verlust des nächsten Führungsspielers längst abgefunden, aber sie wollen sich nicht damit abfinden, dass der BVB ihn für vergleichsweise kleines Geld bekommt. Das erste Angebot für Hazard haben sie eher als Beleidigung empfunden denn als echte Verhandlungsbasis. Andere Klubs, zum Beispiel aus England, haben bereits deutlich mehr für den 26-Jährigen geboten. Aber Hazard will nicht zu anderen Klubs. Er will nach Dortmund.

In Dortmund würde er die ohnehin mächtige Gladbacher Fraktion noch weiter verstärken. Kapitän Marco Reus hat genauso für die rheinische Borussia gespielt wie Mo Dahoud, und Co-Trainer Manfred Stefes ist sogar in Mönchengladbach geboren. Vor allem aber ist da Cheftrainer Lucien Favre. An diesem Samstag kehrt der Schweizer zum ersten Mal seit knapp vier Jahren an seinen alten Arbeitsplatz zurück, und es wäre eine nette Pointe zum Schluss dieser Bundesligasaison, sollte Favre genau in dem Stadion mit dem BVB Deutscher Meister werden, in dem er vermutlich so sehr geschätzt wird wie an keinem anderen Ort in Deutschland. Borussias Sportdirektor Max Eberl hat schon vor dem Hinspiel im Dezember gesagt, der Aufschwung des BVB „kommt für uns alle, die wir Lucien kennen, nicht überraschend“.

Und kaum jemand kennt ihn besser als Eberl, der Favre im Februar 2011 in schier aussichtsloser Situation für Borussia Mönchengladbach gewinnen konnte; der in viereinhalb Jahren oft genug an ihm und seiner manchmal erratischen Art gelitten hat. Der aber auch immer davon überzeugt war, dass sich das Leiden lohnt. Eberl hat selbst im September 2015, als der Schweizer nach einer Niederlage in Köln zum wiederholten Male seinen Rücktritt einreichte, noch versucht, ihn umzustimmen. In diesem Fall vergebens.

Zusammen mit Eberl hat Favre die moderne Borussia erschaffen. Jene, die nicht mehr jedes Jahr – mal erfolgreich, mal vergebens – gegen den Abstieg kämpft, sondern inzwischen eher unter den Top-Klubs des Landes verortet wird. Als Favre 2011 nach Gladbach kam, war die Mannschaft mit sieben Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz Tabellenletzter und die Lage eigentlich hoffnungslos. Der Schweizer schaffte den Klassenerhalt und führte die Mannschaft gleich in der nächsten Saison in den Europapokal.

Man muss Favre zu nehmen wissen, mit seinen Launen und Zweifeln

Für viele mag der Höhenflug der Dortmunder in dieser Spielzeit überraschend gekommen sein, Max Eberl hat ihn bereits vor der Saison prophezeit: „Ich meine, ich hätte damals schon gesagt, sie könnten Deutscher Meister werden.“ Favres Arbeit mit der Mannschaft, die Akribie bei der Vorbereitung auf den nächsten Gegner, sein taktisch kluges Konzept, all das wird in Mönchengladbach bis heute geschätzt. „Hier weiß jeder, wie Lucien Favre arbeitet: sehr akribisch, sehr detailversessen“, sagt Dieter Hecking, sein Nachnachfolger und so etwas wie der letzte Verwalter seines Erbes. Im Grunde endet Favres Ära in Mönchengladbach erst in diesem Sommer, wenn Marco Rose Heckings Platz einnehmen wird. Ein Trainer mit einer eigenen und klaren Idee vom Spiel – die Favres Idee vom aktiven Fußball gewissermaßen in die Moderne überführt. Das war Eberl wichtig.

Aber so wie die Gladbacher von Favre profitiert haben, so hat auch Favre von Gladbach profitiert. Die Tätigkeit am Niederrhein war nach seinem seltsamen Abgang bei Hertha BSC so etwas wie sein persönliches Resozialisierungsprogramm. In Mönchengladbach hat er sich wieder interessant gemacht für größere Klubs wie den BVB – trotz seines Rufs, ein zerstreuter Fußballprofessor zu sein, ein Nerd, der in seiner eigenen Welt lebt. Seine früheren Mitarbeiter in Mönchengladbach schwärmen noch heute von Favres menschlichem Umgang. Wer allerdings nicht zu seinem Inner Circle gehörte, der konnte Favres Introvertiertheit schnell als verstörend bis abweisend empfinden.

Umso schöner, wenn es mal anders ist: Bei Hertha erinnern sie sich noch an eine Europapokalreise, bei der Favre am Abend ausnahmsweise einmal mit der Delegation entspannt in der Hotelbar saß. Irgendwann stand er auf, ließ sein Handy und sein Portemonnaie auf dem Tisch liegen und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Eine gute Stunde und einige verpasste Anrufe später kam er zurück und setzte sich wortlos wieder auf seinen Platz. Die Runde schaute ihn fragend an. Favre antwortete, ihm sei plötzlich eine Idee gekommen, die habe er unbedingt aufmalen müssen.

So war er, so ist er – das muss man einfach wissen. Vor allem aber muss man Favre zu nehmen wissen, mit seinen Launen und Zweifeln. Auch in Mönchengladbach hat es Zeiten gegeben, in denen sie ziemlich genervt waren und fast schon offen über ihn gelästert wurde. Letztlich aber ist es dem Klub gelungen, vor allem seine Stärken zur Geltung zu bringen. So scheint es auch in Dortmund zu sein.

Manchmal hat man das Gefühl, dass sie sich beim BVB sehr intensiv mit Favre auseinandergesetzt haben. Als der Trainer nach der Derbyniederlage gegen Schalke im Kampf um die Meisterschaft bereits kapitulieren wollte, wurde er von Sportdirektor Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke gleich wieder eingefangen. Und am vergangenen Wochenende war es Geschäftsführer Watzke, der sich nach dem Sieg gegen Düsseldorf vor die Presse setzte, um den Druck auf die Bayern verbal ein bisschen zu erhöhen. Lucien Favre hätte man sich in dieser Rolle nur schwer vorstellen können.

In Mönchengladbach hat er das mal versucht, in seiner zweiten Saison, in der die Borussia lange mit Dortmund und Bayern zu den Top drei gehörte. In einer Mischung aus Stolz, Trotz und Frust stellte er sich nach einer Niederlage vor seine Spieler und verkündete: Jetzt werden wir Deutscher Meister. Auf diese Volte war seine Mannschaft nicht vorbereitet. Sie verlor auch das nächste Spiel und landete am Ende der Saison auf dem vierten Platz.

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