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Viel zu tun. Immerhin werden LSBTI+-Themen inzwischen wahrgenommen - auch in den Verbänden.

© Matthias Koch/Imago

LSVD-Bundesvorstand Christian Rudolph: „Der DFB hat gesehen, dass er uns nicht mehr loswird“

LSVD-Bundesvorstand Christian Rudolph spricht im Interview über fehlende Sensibilisierung, den Geschlechtseintrag divers und die Zusammenarbeit mit dem DFB.

Herr Rudolph, der Berliner Fußball-Verband (BFV) hat auf dem Neujahrsempfang 2011, also vor ziemlich genau zehn Jahren, eine Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband (LSVD) unterzeichnet. Wie ist dieses Projekt, das sich „Soccer Sound“ nennt, zustande gekommen?
Im Grunde ist der BFV auf den LSVD zugekommen. Dort haben die Verantwortlichen – insbesondere der ehemalige Vizepräsident Gerd Liesegang – die LSBTI+-Thematik als wichtig angesehen. Allerdings fehlte es an Expertise, weshalb der BFV den LSVD nach dem richtigen Umgang fragte und einen Ansprechpartner festlegen wollte. Der Ansprechpartner ist schließlich der LSVD Berlin-Brandenburg geworden.

Mit welchen Problemen haderte der BFV hinsichtlich LSTBI+?
Auf dem Feld gibt es ständig Diskriminierungen durch Sprache: Schwuchtel, Kampflesbe, Transe. Das sind gerichtsfähige Beleidigungen. Da fehlt bis heute die Sensibilität. Gleiches gilt auf Fanebene. Hertha beispielsweise, mit der wir seit längerer Zeit zusammenarbeiten, war ziemlich überrascht, wie homophob die eigene Fanszene teilweise sein kann. Deswegen bestand die anfängliche Projektarbeit darin, den Verband und darüber letztlich die Vereine zu sensibilisieren und das Thema sichtbar zu machen. Vielen, die nicht LSBTI+ sind, fehlt einfach ein Verständnis, sie sprechen deswegen nicht darüber.

Welche Folgen kann das haben?
Das führt dazu, dass Ängste und Nöte der Betroffenen nicht erkannt und sie unsicher werden, wie die Stimmung innerhalb eines Vereins oder einer Mannschaft gegenüber LSBTI+ ist.

Was haben der BFV und der LSVD gemeinsam unternommen?
Alle unsere Aktionen werden zuerst einmal am Runden Tisch besprochen, zu dem der BFV und der LSVD jährlich einladen. Dort planen wir gemeinsam mit den Vereinen Aktionen, stellen Kampagnen vor. Das fing an mit der „Roten Karte für Homophobie“, die stark auf sprachliche Diskriminierung angelegt ist. Wir waren gemeinsam auf dem Christopher-Street-Day und beim Berliner Lesbisch-Schwulen Stadtfest, wo wir an einem Stand aufklären und beraten konnten. Viele LSBTI+ interessiert es, bei welchen Vereinen sie problemlos und offen aufgenommen werden.

Gibt es konkret Aktionen, die auf den Jugendbereich abzielen, um schon früh für LSBTI+ zu sensibilisieren?
Wir durften nicht nur beim „11mm“, sondern auch beim „11 Minimeter“-Filmfestival Filme zeigen und haben Kooperationen mit „Lernort Stadion“ durchgeführt. Dadurch haben wir auch Kinder und Jugendliche erreichen können. Eine explizite Initiative gibt es derzeit noch nicht. Es werden allerdings momentan erste Gespräche mit dem Schul- und Leistungssportzentrum Berlin geführt. Das sind wichtige nächste Schritte.

Wo gibt es noch Nachholbedarf im Berliner Fußball?
Nachholbedarf besteht vor allem bei der Qualifizierung, besonders im Bereich der Sprache. Es beginnt im Jugendsport mit der einfachen Frage, die sich junge Menschen stellen: Hast du eine*n Freund*in? Da wird automatisch ein Geschlecht vorgegeben. Man könnte stattdessen fragen: Bist du verliebt oder gibt es da jemanden? Und das Ganze endet bei den Verantwortlichen. Ein Trainer kann ein lasches Training nicht Schwuchteltraining nennen.

Christian Rudolph, 37, engagiert sich seit 2007 im LSVD und sitzt mittlerweile im Bundesvorstand. Seit Januar ist er erster Ansprechpartner für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt beim DFB.
Christian Rudolph, 37, engagiert sich seit 2007 im LSVD und sitzt mittlerweile im Bundesvorstand. Seit Januar ist er erster Ansprechpartner für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt beim DFB.

© LSVD

Herr Rudolph, welche Errungenschaften hat das Projekt „Soccer Sound“ hervorgebracht?
Zehn Jahre sind jetzt zwar schon ein sehr langer Prozess und in zehn Jahren könnte vielleicht auch mehr passieren, aber gemeinsam haben der BFV und der LSVD viel erreicht und eine bundesweite Vorreiterrolle eingenommen. Wir haben das Thema beim BFV etabliert. Das ist der größte Erfolg. Außerdem gibt es hier seit der Saison 20/21 das Spielrecht für trans, inter und non-binäre Personen. Zuvor hatte der BFV zwar die Teilnahme am Spielbetrieb geduldet, allerdings konnten gegnerische Vereine im Ernstfall immer klagen. Es bestand also keine Rechtssicherheit.

Können Sie die fehlende Rechtssicherheit kurz an einem Beispiel erläutern?
Es gab einen Fall, bei dem gegen den Verein „Seitenwechsel – ein Sportverein für FrauenLesbenTrans*Inter* und Mädchen“ geklagt worden ist, weil im Frauenteam angeblich ein Mann im Tor gestanden habe. Dabei handelte es sich aber um eine trans* Frau. Für die ist das nicht nur ein Gerichtsverfahren, sondern eine erhebliche Diskriminierungserfahrung.

Der BFV ist der erste deutsche Fußball-Verband, der das Meldewesen für den dritten Geschlechtseintrag divers geöffnet hat.
Ich bin stolz, dass wir seit Juli 2020 mit Michaela Jessica Tschitschke die erste trans Person in einer offiziellen Position bei einem Fußballverband haben, auch wenn es nur ehrenamtlich ist. Sie hatte entscheidenden Anteil an der Änderung des Meldewesens. Mittlerweile haben die Landesverbände Bremen, Hamburg und Baden ebenfalls explizit Ansprechpersonen für LSBTI+-Themen installiert, in anderen Verbänden wird es diskutiert. Außerdem hat der BFV ein starkes symbolisches Zeichen gesetzt, in dem er nicht nur die Regenbogenflagge vor der Geschäftsstelle gehisst hat, sondern auch das Logo des BFV auf die Flagge gedruckt hat, und sich damit eindeutig zur Offenheit für LSBTI+ bekannt hat. Auch da haben Bremen und Hamburg nachgezogen, und letztlich der DFB.

Seit Jahresbeginn sind Sie nun tätig beim DFB, der eine Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt auf nationaler Ebene eingerichtet hat. Wieso wurde eine solche Stelle erst so spät geschaffen?
Theo Zwanziger war 2011 lange Zeit der erste und einzige, der beim DFB die LSBTI+-Thematik angesprochen hatte. Anschließend passierte nicht viel. Erst seit zwei Jahren gibt es wieder kontinuierlichen Austausch zwischen dem LSVD und dem DFB. Letztlich war der Druck aus der Community zu groß, insbesondere von Initiativen wie dem Baff, das „Bündnis Aktiver Fußballfans“, „Queer Football Fanclubs“ oder „Fußballfans gegen Homophobie“. Der DFB hat gesehen, dass er uns, den LSVD, nicht mehr loswird.

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Geschah es nur auf Druck oder gab es auch ernsthafte Bemühungen seitens des DFB?
DFB-Präsident Fritz Keller hat sich sehr für die Stelle eingesetzt. Letztlich schenkt der DFB dem LSVD großes Vertrauen. Schließlich finanziert er die Stelle, obwohl ich beim LSVD angestellt bin. Genauso müssen wir dem DFB vertrauen, dass wir nicht nur ein Feigenblatt sind. Das ist wichtig, um den unabhängigen und kritischen Austausch aufrecht zu erhalten.

Worin besteht Ihr Tätigkeitsfeld?
Wir wollen Anlaufstellen in allen Landesverbänden schaffen, Kampagnen bundesweit umsetzen, Qualifizierung anbieten und das Meldewesen überall anpassen. Sensibilisierung bleibt dabei die Hauptaufgabe. Derzeit gibt es Überlegungen, geschlechtsneutrale Spielklassen einzurichten. Zudem möchten wir die Anlaufstelle beim DFB zur einer generellen Anlaufstelle gegen Diskriminierung ausbauen. Es gibt da so viele Schnittmengen, Thema Intersektionalität, Stichpunkt Mehrfachdiskriminierung.

Die Stelle ist für anderthalb Jahre als Pilotprojekt angelegt. Was wünschen Sie sich?
Kontinuität; sprich, dass die Stelle angenommen wird und wir sie so festigen und ausbauen können. Wichtig wäre, dass sich mehr Stimmen melden. Nicht nur die Vereine, sondern auch bekannte Spieler*innen, Trainer*innen, Vorstände. Letztlich sind wir alle gefragt. Nicht nur beim Thema LSTBI+, sondern bei allen gesellschaftlichen Themen. Wir müssen eine Haltung einnehmen und diese auch zeigen. Wir wünschen uns alle ein gutes Miteinander und das gehört einfach dazu.

Elias Fischer

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