zum Hauptinhalt
Schutz muss sein: Wer reiten geht, wie diese beiden Sportsfreundinnen in Brandenburg, sollte sich natürlich auch an die Hygieneregeln halten.

© Frank Sorge/Imago

Lockerungen im Freizeitsport: Sogar die Pferde sind wieder entspannt

Im Breitensport ist wieder Gruppentraining möglich. Die Rückkehr zum Alltag tut nicht nur der Sportseele gut, einem Reitklub sichert sie erst die Existenz.

Franziska Schmalenberg steht neben Lu, sie streichelt seinen Hals, mit der rechten Hand hat sie die Zügel umklammert. Doch plötzlich, drei Sekunden lang, sieht es so aus, als müsste sie sich an denen krampfhaft festhalten. Ihre Beine zittern so heftig, dass man Angst bekommt, sie würde im nächsten Moment auf den sandigen Weg stürzen. Theater natürlich, die 33-Jährige will bloß demonstrieren, wie anstrengend gerade die Stunde im Sattel war.

Sie hatte Dressur trainiert, Lu, der Brandenburger, war gut gegangen, aber jetzt schmerzen ihre Muskeln. Die sind beim Reiten ja ständig angespannt, und die Physiotherapeutin hatte acht Wochen pausiert, da ist die erste Stunde nach der Wartepause nicht ohne.

Zwei Meter neben ihr und Lu liegt der Trainingsparcours der Reit- und Fahrgemeinschaft Süd, am äußersten Rand des Berliner Bezirks Tempelhof-Mariendorf, und auf einmal sind die schmerzenden Beine vergessen. Franziska Schmalenberg sagt: „Es war so schön, so entspannend, man konnte wieder die Seele baumeln lassen.“ In so einem Tonfall schwärmt man auch nach einem exzellenten Abendessen im Lieblingsrestaurant.

Es ist Sonnabend 10 Uhr, die tiefe Genugtuung der Franziska Schmalenberg, ihre Freude über eine Stunde Sport, die steht symbolisch für das Gefühl von unzähligen Freizeitathleten. Denn die 33-jährige war nicht allein auf dem Parcours, insgesamt fünf Pferde durchquerten gleichzeitig den weichen Untergrund des Rechtecks.

Nach acht Wochen Corona-Zwangspause hat der Senat wieder Gruppentraining erlaubt. Seit Freitag dürfen Breitensportler wieder im Verein gemeinsam trainieren, unter freiem Himmel zwar erst und mit begrenzter Personenzahl, aber besser als nichts. Dass in Teamsportarten wie Fußball die Trainingsbedingungen trotzdem durchaus problematisch sind, okay, das ist ein eigenes Thema.

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]

In Vereinen wie der Reit- und Fahrgemeinschaft Süd zählt erst mal das Gemeinschaftserlebnis. Natürlich hatten alle im Sattel den nötigen Abstand eingehalten, aber der wird bei Reitern aus Sicherheitsgründen sowieso beachtet, dafür benötigen sie keine speziellen Anweisungen.

Unter dem Vordach des provisorischen Büros auf dem Vereinsgelände lässt Sabine Reichling die Liste mit den Verhaltensregeln unterschreiben. Jeder, der heute kommt, muss erklären, dass er sie einhält. Bei Kindern unterschreiben die Eltern zusätzlich. Ohne Signatur kein Reiten. Maximal acht Personen, Trainer inklusive, dürfen sich auf der Anlage gleichzeitig aufhalten.

Für Marie (Name geändert), die hochgeschossene Zwölfjährige mit dem geflochtenen Pferdeschwanz, der hellgrünen Windjacke und den hohen Stiefeln, wird gleich das Training beginnen. „Es ist toll, dass es wieder losgeht“, sagt sie. „Gut, dass man korrigiert wird, wenn man schief sitzt.“

Zufriedene Rückkehr in den Alltag: Franziska Schmalenberg hat mit Lu eine Stunde Dressur trainiert.
Zufriedene Rückkehr in den Alltag: Franziska Schmalenberg hat mit Lu eine Stunde Dressur trainiert.

© Frank Bachner

Trainerin in ihrer Stunde ist Steffi Illy, seit zehn Jahren im Verein, Polizistin mit kleinem Kind zu Hause, eine junge Frau, die sagt: „Für mich ist dieser Verein ein wichtiger Punkt, um die Akkus aufzuladen. Und zu Hause ist mir irgendwann die Decke auf den Kopf gefallen.“

Selbst die Pferde hat die Corona-Pause irritiert. „Denen hat der Trubel gefehlt, die Ansprache, die haben ja einen Bezug zu den Reitern“, sagt Steffi Illy. Auch Franziska Schmalenberg hat bemerkt, wie „entspannt Lu heute war“.

Aber Lu hat natürlich keine Ahnung, wie entspannt Sabine Reichling erst ist, jetzt, seit der Vereinsbetrieb begonnen hat und wieder Geld in die Vereinskasse fließt, jedenfalls ein wenig. Denn die Reit- und Fahrgemeinschaft Süd gehört zu den Klubs, die wegen der Coronakrise um ihre Existenz fürchten mussten.

[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter „Fragen des Tages“. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]

Die Vereinsvorsitzende legt noch eine andere Liste vor. Auf der sind, in verschiedenen Farben, entgangene Einnahmen, monatliche Verpflichtungen, laufende Personalkosten sowie Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge aufgeführt und, ganz am Ende, in rot: „Monatliches Defizit insgesamt: 7434 Euro.“

Die 14 000 Euro, sagt sie, „die wir von der Investmentbank Berlin erhalten haben, sind quasi schon wieder aufgebraucht.“ Sie hatte Soforthilfe beantragt und auch erhalten, weil der Klub einen angestellten Pferdewirt hat, der morgens füttert, Schäden repariert oder Mist wegfährt. Alle anderen im Verein arbeiten ehrenamtlich.

Der Klub bietet Kindern, die keine reichen Eltern haben, Möglichkeiten zum Reiten. 14 Schulpferde, die dem Verein gehören, stehen im Stall, ein durchschnittlicher Fußballverein hat einen höheren Jahresbeitrag als die Reit- und Fahrgemeinschaft Süd. Geld nimmt sie unter anderem durch Kartenreiten ein; jedes Mitglied kann eine Reitkarte kaufen, für jeweils 15 Euro.

Spezielle Zeiten: Auch bei den Reitprofis in Hoppegarten wird wieder galoppiert. Allerdings ohne Publikum.
Spezielle Zeiten: Auch bei den Reitprofis in Hoppegarten wird wieder galoppiert. Allerdings ohne Publikum.

© Galoppfoto/Imago

Die berechtigt zu einer Stunde Reiten. Bei einer Zehnerkarte ist eine Stunde umsonst. Das ist in der Summe nicht billig, aber für Normalbürger bezahlbar. Viele reiten ja nur ein oder zweimal in der Woche. Vor allem aber fließt Geld durch Feriencamps in die Vereinskasse. Doch der Osterkurs ist schon gestrichen, das Sommercamp fällt wohl auch aus, damit fehlen rund 8000 Euro.

Als das IBB-Geld geflossen ist, ließ der Klub die Zähne von vier, fünf Pferden raspeln, eine dringend nötige Maßnahme. „Wir haben zwei Monate Reserve, dann ist das Konto leer“, sagt Reichling. „Alternativ müssten wir Pferde verkaufen.“

Dana zum Beispiel, ein Pony, das seine Reiterin 2019 zur Berliner Meisterschaft im Springreiten geführt hat. Dana trabt jetzt den Parcours, „mit ruhigem, gleichmäßigem Schritt“, sagt die Trainerin Illy. Dana schnaubt auch viel, wie die anderen Pferde auch. „Das ist ein Zeichen, dass sie entspannt sind“, sagt Illy. Der gewohnte Alltag ist zurück.

Die Rückkehr in diesen sportlichen Alltag hatte Franziska Schmalenberg am Sonnabend begonnen wie ein Kind, das gleich Weihnachtsgeschenke aufmachen darf. „Oh“, sagt sie, „ich war so aufgeregt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false