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Lesenswerte Autobiografie: Ewald Lienen - Rebell für immer

Der frühere Fußballprofi und Trainer Ewald Lienen hat seine Autobiografie veröffentlicht. Das Buch sticht positiv aus der Masse der Fußballermemoiren heraus.

Es gibt kaum ein literarisches Genre, in dem die Qualitätsunterschiede derart gewaltig ausfallen wie bei (Auto-)Biografien von Fußballern. Die Spannweite reicht von lieblos zusammengestoppelten Machwerken, bei denen die einzige intellektuelle Leistung des Autors im Aufrufen diverser Internetseiten und der fehlerfreien synchronen Anwendung der Tasten Strg und C liegt, bis zu beeindruckenden Lebensbeschreibungen, die ein bisschen Licht in eine Branche werfen, die sich mehr und mehr vor der Öffentlichkeit abschottet. Die Autobiografie des früheren Spielers und Trainers Ewald Lienen gehört definitiv zur zweiten Kategorie. Und das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass er sich nicht etwa eines Ghostwriters bedient hat, sondern das Buch offensichtlich selbst geschrieben hat.

Lienen, inzwischen Technischer Direktor beim FC St. Pauli, hat ein Leben gelebt, das er sich als Jugendlicher vermutlich nicht hätte vorstellen können: ein Leben mit dem und für den Fußball. „Eigentlich war eine Hochschulkarriere vorgesehen“, schreibt er. Und trotz der Verstrickung in dieses System, hat er sich die Fähigkeit bewahrt, an und mit der Branche zu leiden. So ist Lienens Autobiografie auch ein Sittengemälde des Profifußballs in den vergangenen 40 Jahren geworden.

Einen kritischen Blick auf diese Branche und ihre fragwürdigen Rituale hatte Lienen schon, als er in den Siebzigern seinen ersten Vertrag bei Arminia Bielefeld unterschrieb. Bereits nach dem ersten Trainingslager hätte er am liebsten wieder gekündigt. Dabei waren die Siebziger und Achtziger im Vergleich zu heute geradezu unschuldige Zeiten: „Wir waren Fußballer und keine Diven.“

"Haben Sie auch mal Fußball gespielt?"

Schon damals hat sich Lienen dem ganzen Gehabe verweigert, weil er „nicht auf den Fußball und schon gar nicht auf meinen Bekanntheitsgrad reduziert werden“ wollte. Allein diese Haltung hat gereicht, um ihm in einer eher konservativen Branche den Ruf des linken Rebellen einzubringen, den er auch in seiner Autobiografie bedient. Trotzdem erzählt er seine Geschichte nicht mit dem Hauch der Verklärung, sondern offen und ehrlich und teilweise auch mit ironischer Distanz. Vor allem aber scheut er nicht vor klaren Urteilen über frühere Weggefährten zurück: über Berti Vogts und Udo Lattek, Peter Közle und Frank Mill, Ilja Kaenzig und Christian Hochstätter. Auch das hebt diese Autobiografie aus der Masse heraus. Als Ewald Lienen neuer Trainer bei Hannover 96 werden sollte, traf er erstmals auf Martin Kind, den starken Mann des Klubs. „Und Sie, Herr Lienen, haben Sie früher auch mal Fußball gespielt?“, fragte Kind. Trainer in Hannover wurde Lienen dann trotzdem.

Dass Ewald Lienen sein eigenes Schaffen als Trainer positiver bewertet als viele seiner Kritiker, wird man ihm kaum vorwerfen können. Und trotzdem sieht er mit dem Wissen von heute vieles anders, als er es damals gesehen hat. Über den jungen Trainer Ewald Lienen schreibt der inzwischen 65-Jährige: „Ich wollte zumeist nur Botschaften loswerden und hörte viel zu wenig zu.“ An manchen Stellen dieses Buches hätte man sich noch mehr Details, noch mehr Tiefe gewünscht. Insgesamt aber ist das eine lässliche Sünde.

- Ewald Lienen: Ich war schon immer ein Rebell. Mein Leben mit dem Fußball. Piper, 432 Seiten, 22 Euro.

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