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Keine Konkurrenz. Nach der Absage des neuen 100-Meter-Weltmeisters Christian Coleman ist Noah Lyles Favorit über 200 Meter.

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Leichtathletik-WM in Doha: Noah Lyles – das schnellste Großmaul der Welt

„Der König ist tot. Lang lebe der König?“: Sprinter Noah Lyles will der Nachfolger von Usain Bolt werden – und das kann der US-Amerikaner auch.

Die Show hat Noah Lyles ohne Frage drauf. So kommt es vor, dass er Sekunden vor dem Start laut losbrüllt, um auf sich aufmerksam zu machen und gleichsam die Konkurrenz zu verschrecken. Wenige Sekunden später, meist als Erster im Ziel angekommen, macht der 22-Jährige gerne aus dem Stand einen Rückwärtssalto. Originell sind auch seine Posen, wenn er vor der Anzeigetafel kniet. Manchmal legt er dann sein Kinn in die Hand und spielt den Grübler. Er will damit andeuten, dass er noch nicht hundertprozentig zufrieden ist. Dass mehr geht.

Auch abseits der Laufbahn mag er gerne wahrgenommen werden. Lyles hat schon ein paar Rap-Songs herausgebracht. Der Mann, so viel ist sicher, liebt die große Bühne. Und Lyles, das ist genauso sicher, hat wahnsinnig schnelle Beine. Am Dienstag (21.40 Uhr/ARD) sollte er im Finale über 200 Meter bei der Leichtathletik-WM in Doha an den Start gehen und es wäre eine große Überraschung, würde ein anderer als der US-Amerikaner dieses Rennen gewinnen.

Wenn jemand im Sprint eine gute Show macht und schnelle Beine hat, dann ist der Verweis auf Usain Bolt nicht fern. Der Jamaikaner war zehn Jahre lang die Überfigur in der Leichtathletik, ehe er im Jahr 2017 zurücktrat. In der jüngeren Vergangenheit waren schon einige Sprinter zum Bolt-Nachfolger erklärt worden. Zu nennen sind Andre De Grasse, Christian Coleman oder auch Wayde van Niekerk. Alle sind sie herausragende Sprinter, aber ihre Auftritte – auch außerhalb der Laufbahn – waren kein Spektakel wie bei Bolt. Der neueste Bolt-Nachfolger, zumindest über die 200 Meter, soll also Lyles heißen.

„Der König ist tot. Lang lebe der König?“, fragte der „Guardian“ in Anlehnung an die Heroldsformel bereits und meinte mit dem neuen König den jungen Lyles. „Ich betrachte Usain Bolt nicht als ein Idol“, sagte dieser schon vor zwei Jahren, als er allenfalls ein Versprechen für die Zukunft war, „denn die Rekorde eines Idols kann man schwer brechen.“ Lyles aber will die Rekorde von Bolt brechen.

Überhaupt scheut sich Lyles nicht vor kernigen Aussagen. Man könnte auch sagen, dass er eine verdammt große Klappe hat. Im vergangenen Jahr behauptete er, dass er die Leichtathletik als Ganzes verändern wolle. „Bei uns in den USA spielt Leichtathletik nur unmittelbar mit den Olympischen Spielen eine Rolle. Das möchte ich verändern.“ Was für ein Großmaul! Aber auch: Was für ein Sprinter!

Lyles rannte eine Fabelzeit nach der anderen

In dieser Saison rannte Lyles über 200 Meter eine Fabelzeit nach der anderen. Am schnellsten war er im Juli in Lausanne, als er in 19,50 Sekunden durchs Ziel raste. Nur Usain Bolt, dessen jamaikanischer Landsmann Yohan Blake sowie der US-Amerikaner Michael Johnson waren in der Geschichte der Leichtathletik schon einmal schneller über diese Distanz. Und mit seinen 22 Jahren ist es wahrscheinlich, dass Lyles seine Zeiten noch verbessern wird. Vielleicht schon am Dienstag in Doha.

„Er hat noch sehr viel Potenzial“, sagt auch Sven Buggel. Der Landestrainer Sprint am Olympiastützpunkt Berlin hat schon vor drei Jahren kommen sehen, dass Lyles bald ganz vorne dabei sein wird. Bei den U-20-Weltmeisterschaften in Bydgoszcz war Buggel damals mit der deutschen Sprinterhoffnung Roger Gurski angereist. Gurski ist ein Sprinter, der in der Kurve schon einmal „einen auspacken kann“, wie Buggel es formuliert. „Aber Lyles war noch viel krasser.“ Der Trainer kommt ins Schwärmen, wenn er über Lyles spricht. „Er läuft so schön, so ökonomisch, so ruhig“, sagt Buggel.

Tatsächlich unterscheidet sich der US-Amerikaner in dieser Hinsicht von fast allen seinen Konkurrenten. Selbst Usain Bolts Bewegungsablauf war verglichen mit jenem von Lyles geradezu hölzern. Das liegt auch daran, dass Lyles mit seinen 70 Kilogramm bei einer Körpergröße von 1,80 Meter ein zierlicher Sprinter ist. „Es ist eine Freude, ihm zuzuschauen“, sagt Buggel. Ob Lyles aber jemals Bolts Weltrekord von 19,19 Sekunden über 200 Meter wird angreifen können? „Von 19,50 auf 19,19 Sekunden sind es schon noch Welten im Sprint“, sagt Buggel. Für Noah Lyles spricht diesbezüglich, dass vor allem einer an ihn glaubt: Noah Lyles.

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