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Stoßgebrüll. Nadine Kleinert musste lange auf den EM-Titel warten, entsprechend laut fiel ihr Jubel in Helsinki aus.

© dpa

Leichtathletik-EM: Kleinert wird Europameisterin im Kugelstoßen

Bei der Leichtathletik-EM in Helsinki holt Nadine Kleinert mit 19,18 Meter den Titel im Kugelstoßen und durchlebt zugleich einen erstaunlichen Sinneswandel.

Sie möge Gold eigentlich gar nicht, hat Kugelstoßerin Nadine Kleinert einmal gesagt, Silber und Bronze stünden ihr viel besser. Das war vor ein paar Jahren, als die Magdeburgerin bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen in regelmäßig auf den Plätzen zwei und drei landete. Bei Europameisterschaften war sie dagegen jedes Mal leer ausgegangen, noch nie hatte sie bei kontinentalen Titelkämpfen auf dem Treppchen gestanden. Bis gestern. Bei der Leichtathletik-EM in Helsinki holte Nadine Kleinert mit 19,18 Meter den Titel und durchlebte zugleich einen metallurgischen Sinneswandel: Das ungeliebte Gold – es war ihr plötzlich das schönste aller Edelmetalle.

„Sonst heule ich immer nur bei Europameisterschaften, weil ich so schlecht war, aber ich kann auch heulen, wenn ich gut war“, sagte Kleinert mit feuchten Augen. Dann schnaufte die 36-Jährige kurz durch und lachte. „Ich strahle mittlerweile heller als die Sonne.“ Auch David Storl durfte sich freuen: Der 21 Jahre alte Kugelstoßer aus Chemnitz tat es Kleinert gleich, 21,58 Meter bedeuteten EM-Gold für den Weltmeister. Mit Silber und Bronze komplettierten die Speerwerferinnen Christina Obergföll und Linda Stahl den starken Auftritt der deutschen Mannschaft am Freitag.

Am heftigsten jubelte allerdings Nadine Kleinert, dabei war sie mit ihrem Wettkampf eigentlich alles andere als zufrieden. Die Siegesweite von 19,18 Meter, die schlechteste bei einer EM seit 46 Jahren, war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. „Wenn ich beweglich genug gewesen wäre, hätte ich mir am liebsten selber in Hintern gebissen“, sagte Kleinert. Woran es gelegen haben könnte, dass sie nicht die ganz großen Weiten abliefern konnte, verriet Disziplinkollegin Josephine Terlecki: „Kleini war ganz schön nervös.“ Kleinert war zwar mit der besten Saisonleistung aller Konkurrentinnen zur EM gereist, doch sie hatte sich früher schon zu oft selbst im Weg gestanden, um die Sache locker angehen zu können.

Erst als die zweitplatzierte Russin Irina Tarasowa sie im letzten Durchgang nicht übertreffen konnte, löste sich die Anspannung. Kleinert riss die Arme nach oben und stieß einen lauten Triumphschrei aus. Als sie ein letztes Mal in den Ring trat, animierte die Magdeburgerin das Publikum zum rhythmischen Klatschen. Dann schnappte sie sich die deutsche Fahne und stürmte auf die Ehrenrunde. Vor dem Wettkampf, so verriet sie später, habe sie die Siegerehrung von Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch miterlebt, der am Tag zuvor Gold gewonnen hatte. „Das war der Wahnsinn“, sagte Kleinert. „Ich habe die Massen gesehen und gedacht: Hoffentlich sind nachher auch so viele da, wenn ich was gewonnen habe.“ Es war die Sehnsucht einer Athletin, die seit 25 Jahren Leistungssport betreibt und die dem Deutschen Leichtathletik-Verband schon acht internationale Medaillen beschert hat, ohne dabei je wirklich im Rampenlicht zu stehen.

„Ich reise mit geschwellter Brust nach London“, sagte Kleinert über ihre Ziele für die Olympischen Spiele, was im Kleinertschen Kosmos schon eine bemerkenswert mutige Aussage ist. Sie wolle ins Finale und dort beste Deutsche werden, mehr war ihr nicht zu entlocken. In Helsinki schaffte sie es mit diesen vergleichsweise bescheidenen Ambitionen sogar ganz nach oben auf das Podium.

Konstantin Jochens

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